Menschen demonstrieren gegen Gewalt in Manipur und halten Schilder und Plakate in die Luft.
In vielen Teilen Indiens gehen Protestierende auf die Straßen, um Solidarität mit den Menschen in Manipur zu zeigen. Bei Gewaltausbrüchen sind dort bereits über 130 Menschen gestorben. Die Regierung wirkt hilflos.
AFP/SAM PANTHAKY

Am 3. Mai kam es in Manipur im Nordosten Indiens zu brutalen Zusammenstößen zwischen zwei Ethnien. Allein in den ersten 36 Stunden, zählte der lokale Bischof Dominic Lumon wenige Wochen später auf, seien fast 250 Kirchen niedergebrannt worden. Das trat eine tödliche Gewaltwelle los, die bis heute kein Ende findet. Auf der einen Seite sind die Meitei, die zum großen Teil Hinduisten sind und den größten Anteil der Bevölkerung von Manipur ausmachen. Auf der anderen Seite stehen die mehrheitlich christlichen Kuki. Bei den Zusammenstößen zwischen den zwei Gruppen starben seit Anfang Mai mindestens 130 Menschen, über 60.000 Personen mussten in Camps in Sicherheit fliehen.

Religion spielt bei der Krise sicher eine Rolle, und doch ist der Konflikt in Manipur um vieles komplizierter: So geht es vor allem um ethnische Zugehörigkeit, um Clanreibereien zwischen jenen Gemeinschaften, die in den Bergen leben – den Kuki – und jenen in den Ebenen, den Meitei.

Manipur ist ein kleiner Bundesstaat, der an das krisengebeutelte Myanmar grenzt. Aufgrund der großen Diversität mit 35 verschiedenen Ethnien wird die Region am Fuß des Himalaja auch "Mini-Indien" genannt. Seit Jahrzehnten fordern dort Gruppen immer wieder die Unabhängigkeit von Indien. Gerade die vergangenen Jahre waren aber vergleichsweise ruhig.

Minderheitsrechte gefährdet

Die Meitei leben im Imphal-Tal, wo auch die Hauptstadt liegt, und kontrollieren traditionell die lokale Politik. Die Kuki und Nagas in den Bergen fühlen sich seit langem diskriminiert. Um deren Minderheitsrechte zu schützen, dürfen Meitei aber zum Beispiel kein Land in den Bergregionen besitzen.

Das wollten die Meitei nun ändern: In dem Staat, der vom BJP-Politiker Biren Singh regiert wird, sollten auch die Meitei Sonderrechte erhalten. Am 3. Mai hatten Kuki und Nagas daher zu Demos in Imphal aufgerufen. Wie es zum Gewaltausbruch kam, ist bisher unklar. Sowohl Kuki als auch Meitei werfen sich gegenseitig vor, damit begonnen zu haben. In den folgenden Tagen griffen bewaffnete Mobs Häuser, Autos und Kirchen der Kuki an. Die Wucht der Gewalt überraschte jedenfalls viele. Systematisch seien die Mobs vorgegangen, beschrieben andere. Bischof Lumon erzählte, dass Kirchen "mit großer Präzision innerhalb von 36 Stunden nach Beginn der Gewalt" von Meitei-Mobs zerstört worden wären.

Und doch kam der Konflikt nicht plötzlich. So hatten viele Kuki in den Monaten zuvor ihre Heimatdörfer verlassen müssen, weil diese in geschützten Waldzonen liegen würden. Mit den Zwangsumsiedelungen wollte man außerdem gegen illegalen Opiumanbau vorgehen, hieß es von Behördenseite.

Auch der Bürgerkrieg im benachbarten Myanmar spielt eine Rolle: So flüchten immer mehr Menschen von dort nach Manipur. Unter den Meitei wuchs die Sorge, in Manipur zur Minderheit zu werden.

Internetsperre

Gleich nach Ausbruch der Gewalt stockte die indische Armee Personal in der Region auf. Wie auch schon in anderen Unruheregionen verhängte Delhi eine Internetsperre, die erst langsam aufgehoben wird. Anfang Juni reiste schließlich Innenminister und BJP-Hardliner Amit Shah nach Manipur. Seitdem finden hochrangige Krisentreffen statt, bei denen auch Premier Narendra Modi eingebunden ist.

Dass aber auch zwei Monate danach kein Ende der Krise in Sicht ist, empört immer mehr Menschen. Vor allem irritiert viele Modis anhaltende Zurückhaltung. Die Situation ist längst zum landesweiten Politikum angewachsen, der bekannte Oppositionelle Rahul Gandhi reiste vergangene Woche nach Manipur – ganz in Wahlkampfmanier, denn nächstes Jahr finden in Indien Parlamentswahlen statt. Chief Minister Singh ließ es sich nicht nehmen, zu tweeten: "Rahul and responsibility never travel together."

Echte Lösungen bleiben allerdings aus. Erst vor drei Tagen gab es erneut drei Tote zu beklagen, die Lage bleibt unübersichtlich. Singh will nun alle Bunker in Manipur zerstören lassen. Am Mittwoch sollen außerdem die Schulen wieder aufsperren. Die Situation bessere sich laut Singh langsam. Viele teilen diese Meinung allerdings nicht. Innenminister Shah ordnete Singh jüngst an: Er müsse sich mehr anstrengen, wieder Frieden zu schaffen. (Anna Sawerthal, 5.7.2023)