Hört man Katharina Schönauer zu, bekommt man ein Gefühl dafür, was für ein gewaltiges Projekt hinter dem sperrigen Begriff "EU-Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen" steckt. Schönauer ist Beraterin bei KPMG Österreich und ab Oktober 2023 Partnerin für den ESG-Bereich. Seit vielen Jahren beschäftigt sie sich mit den neuen EU-Regeln, die auf Österreichs 2000 größte Unternehmen ab 2024 zukommen. Sie sagt: Viele unterschätzen, wie genau sie die Auswirkungen ihres Geschäftsmodells auf Klima- und Umwelt bald beziffern müssen.

Gibt ein Unternehmen an, bis zu einem bestimmten Jahr klimaneutral zu sein, muss es belegen, wie es das schaffen will. Im Fall von Kreuzfahrten heißt das zum Beispiel: Anbieter müssen konkret zeigen, wie sie an klimaneutralen Treibstoff kommen wollen.
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STANDARD: Es heißt, in den neuen Regeln für die Berichterstattung liegt ein Hebel für den Klima- und Umweltschutz. Was ist dort geplant?

Schönauer: Unternehmen müssen deutlich mehr Informationen über ihre Nachhaltigkeit offenlegen. Und zwar ganz zentral in ihrem Jahresabschluss zusammen mit ihrem finanziellen Kennzahlen. Sie müssen dann etwa ihre CO2-Emissionen berichten und beweisen, wie sie ihre Klimaziele erreichen werden. Außerdem müssen sie offenlegen, wie stark die Erderhitzung, Umweltschäden oder soziale Veränderungen das Geschäftsmodell des Unternehmens treffen.

STANDARD: Für welche Unternehmen gilt die Richtlinie?

Schönauer: Einerseits für alle börsennotierten Konzerne. Außerdem gelten die Regeln für alle Unternehmen, die über 250 Mitarbeiter haben, einen Umsatz von 40 Millionen Euro schreiben oder auf eine Bilanzsumme von 20 Millionen kommen – wenn ein Unternehmen zwei dieser drei Kategorien erfüllt, muss es nach den neuen Auflagen berichten.

STANDARD: Inwiefern hilft es, wenn Betriebe "nur" berichten müssen?

Schönauer: Man hofft, dass durch die neue Transparenz ein gewisser Sog entsteht. Es wird vergleichbar, wie gut oder schlecht ein Unternehmen performt. Daran ist auch die Kapitalvergabe gekoppelt. Banken müssen sich ja künftig ebenfalls nach diesen Informationen richten, und auch Investoren haben mehr Informationen. Das soll die Kapitalströme in nachhaltigen Aktivitäten lenken. Allein schon, weil Unternehmen, die nicht nachhaltig ausgerichtet sind, ein höheres Risiko eingehen. Zum Beispiel, weil CO2 zukünftig viel stärker bepreist wird. CO2-intensive Unternehmen haben ein hohes finanzielles Risiko.

Katharina Schönauer ist Beraterin bei KPMG und ab Oktober ESG-Partnerin.
KPMG Österreich

STANDARD: Vieles davon steht auch heute in Nachhaltigkeitsberichten, und die werden oft als Greenwashing kritisiert. Was ändert sich jetzt?

Schönauer: Der Gesetzgeber hat klare Standards für alle ausgearbeitet, welche die Informationen vergleichbar machen. Es gibt damit deutlich definierte Inhalte, wir kommen weg von prosaartigen Veröffentlichungen. Außerdem müssen Unternehmen konkret zeigen, wie sie ihre Ziele erreichen wollen.

STANDARD: Wenn etwa ein Unternehmen, das Kreuzfahrten anbietet, sagt, dass es bis 2050 klimaneutral ist – müsste es beweisen, wie es seine Schiffe dann antreiben will?

Schönauer: Genau. Wenn ein Unternehmen sagt, dass es bis zu einem bestimmten Jahr klimaneutral wird, dann können alle bald nachvollziehen, wo das Unternehmen auf dem Weg dorthin steht. Welche Maßnahmen plant es? Und wenn es die Erwartungen vom vorherigen Jahr nicht erfüllt, muss es das ebenfalls offenlegen. Bisher ist zu oft unklar, wie ein Unternehmen die eigenen Ziele eigentlich erreichen will.

STANDARD: Neben Emissionen muss auch über Umweltschäden berichtet werden, inklusive Folgen für die Artenvielfalt. Wer soll das messen?

Schönauer: Für den einheitlichen Standard wurden sogenannte Key Performance Indicators, KPIs, festgelegt. Das sind Kennzahlen zu Klimawandel, Energieverbrauch oder Biodiversität. Am Ende wird der Bericht von Wirtschaftsprüfern geprüft.

STANDARD: Profitieren Wirtschaftsprüfer am Ende vielleicht am meisten, wenn so viele neue Aufträge kommen?

Schönauer: Die Gewinner sind hoffentlich wir alle. Wir kommen der Klimaneutralität näher und können besser beurteilen, was eine gute Wertschöpfung ist und wer sich auf Kosten anderer bereichert.

STANDARD: Die Richtlinie betrifft die 2000 größten Unternehmen. Darunter fallen damit auch weniger große Betriebe. Wie sind sie vorbereitet?

Schönauer: Das wird tatsächlich noch eine große Herausforderung. Vor allem zum Beispiel für Unternehmen, die zwar eine hohe Bilanzsumme haben, einen hohen Umsatz, aber wenige Mitarbeitende. Auch sie müssen ab 2025 berichterstatten, aber haben meistens kaum Leute, die sich mit dem Thema auskennen. Viele beginnen jetzt, langsam Informationen zu den Kennzahlen zu sammeln. Einfach wird es wohl nicht.

STANDARD: Wie sieht es weltweit aus? Ist Europa Vorreiter oder gibt es anderswo mögliche Vorbilder?

Schönauer: Ich werde oft gefragt, ob wir in Europa nicht zu viel regulieren, zu viel Bürokratie schaffen mit solchen Auflagen. Tatsächlich beobachten wir aber eine internationale Bewegung. Immer mehr global tätige Unternehmen werden mehr offenlegen müssen. So wird etwa in den USA ebenfalls ein neuer Standard entwickelt. Genauso drängt auch Japan sehr stark in Richtung erhöhter Transparenz. Investoren weltweit wollen mehr Informationen sehen. (Alicia Prager, Philip Pramer, 6.7.2023)