Bunte, kaum aufgeblasene Luftballons, die an Spermien erinnern
Ein Penisring drückt die Hoden näher an den Körper, dadurch erwärmen sie sich, und die Spermienproduktion wird eingeschränkt.
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Die Zahlen sind eindeutig: Frauen sind pillenmüde. Immer mehr kehren der hormonellen Verhütung den Rücken, und noch mehr würden das gerne tun. Aber die Optionen sind überschaubar, und Verhütung ist in den allermeisten Heterobeziehungen immer noch Frauensache. Dabei gäbe es auch für Männer längst mehr Alternativen als das Kondom, die Vasektomie oder den Coitus interruptus – zumindest wenn es nach Aktivisten aus Frankreich geht.

Dort hat sich eine Gruppe von Männern formiert, die beschlossen haben, auf eigene Faust – und vor allem auf eigene Gefahr – mit einem Penisring zu verhüten. Und immer mehr Männer tun es ihnen gleich, wie die Verkaufszahlen des sogenannten Andro Switch zeigen. Bisher sollen rund 20.000 Ringe verkauft worden sein, neben Frankreich vor allem nach Belgien, in die Schweiz, nach Deutschland und Österreich.

Auch auf sozialen Medien wird der Silikonring beworben. Allerdings mangels medizinischer Zulassung nicht als Mittel zur Verhütung, sondern als Kunstobjekt. "In Erwartung des Zertifikats für die Zulassung als Medizinprodukt und als Hommage an die testikuläre (den Hoden betreffend, Anm.) Empfängnisverhütung bietet die Künstlerin LSF eine Reihe von Dekorationsgegenständen an, die direkt vom Uranus kommen: die reversiblen Talismane", heißt es auf der Webseite, über die der Andro Switch für 39 Euro vertrieben wird.

Screenshot eines Shops für Penisringe
Der Andro Switch wird als Talisman auf einer französischen Webseite verkauft.
Scrennshot/poem

Dazu kommen sehr einschlägige Hinweise, wie man das Kunstobjekt positionieren sollte, damit es am besten zur Geltung kommt. Ohne blumige Umschreibung bedeutet das: Der Mann stülpt den Ring über den Penis und zieht die Hodensackhaut, quasi den "leeren" Hodensack, ebenso durch den Ring, sodass die beiden Hoden oberhalb des Silikonrings im Leistenkanal bzw. Bauchraum liegen. Der Ring sollte jeden Tag für etwa 15 Stunden getragen werden, so die Empfehlung. Dadurch kriegen die Hoden mehr Körperwärme ab und liegen in einem wärmeren Milieu als normalerweise im Hodensack. Die Erwärmung um etwa ein Grad reicht aus, damit die Spermienproduktion aussetzt. Oder anders ausgedrückt: "Die Hoden sind dann in derselben Position, wie wenn man in kaltem Wasser baden geht", erklärt Jannik (35). Er verwendet den Verhütungsring selbst seit knapp zwei Jahren.

Methode ist Fachleuten kaum bekannt

Für den zweifachen Papa ist die Familienplanung noch nicht abgeschlossen und Vasektomie damit noch kein Thema. "Und hormonelle Verhütung ohnehin schon lange nicht mehr", sagt er. Jannik ist Sexualpädagoge, er hat aber nicht etwa aus seinem beruflichen Umfeld von dem Verhütungsring erfahren, sondern via Facebook. Ein Freund habe über den Ring gepostet, erinnert er sich. "Erst war ich ungläubig, dass es so was geben soll. Schließlich hatte ich in dem Themenbereich studiert."

Dass Wärme Einfluss auf die Spermienproduktion hat, weiß man schon lange. Wenn Männer etwa Fieber haben, ist ihre Fruchtbarkeit stark eingeschränkt. In den 1950er-Jahren gab es erste klinische Versuche mit Hodenbaden. Männer hielten ihre Hoden mehrere Minuten pro Tag in Warmwasser, um die Spermienproduktion zu beeinflussen. In den 80er-Jahren gab es erste Untersuchungen mit wärmenden Verhütungsslips. "Aber nur die wenigsten Urologen und Urologinnen wissen, dass Wärme für die Verhütung genutzt werden kann", berichtet Franka Frei. Für ihr Buch "Über. Fällig. Warum Verhütung auch Männersache ist" recherchierte sie intensiv zu thermischer Verhütung, also Verhütung durch Wärme. Mittlerweile gibt sie Workshops zu dem Thema – auch für Ärztinnen und Ärzte.

Axel Merseburger, Direktor der Klinik für Urologie an der Uniklinik Schleswig-Holstein, findet den Ansatz spannend. Es bräuchte dringend eine Alternative zur Pille für die Frau, die mit allerlei Nebenwirkungen für den weiblichen Körper und die Umwelt daherkommt. Aber "so ganz das Nonplusultra" der männlichen Verhütung sei der Ring noch nicht. "Dafür sind für mich noch zu wichtige Fragen offen", sagt er und meint damit die Sicherheit, gesundheitliche Risiken und die Reversibilität, sprich: Könnte durch die Methode die Spermienproduktion dauerhaft geschädigt und Anwender somit unfruchtbar werden? Um diese Fragen endgültig beantworten zu können, bräuchte es dringend mehr klinische Studien, aber bisher gibt es nur vereinzelt Untersuchungen mit wenig Probanden. "Die Industrie hat kein Interesse daran, eine Zulassung würde Millionen kosten", sagt Autorin und Aktivistin Frei.

Belastbare Zahlen fehlen

Was man aus der Forschung weiß: dass Buben mit Hodenhochstand später ein höheres Risiko haben, an Hodenkrebs zu erkranken. Und der Ring erzeugt quasi einen Hodenhochstand. Wie sich das auf das individuelle Risiko auswirkt, dazu gibt es noch keine Daten, sagt Merseburger. "Man weiß nicht, ob ein 17-jähriger Mann nach ein paar Jahren Anwendung dann mit Ende 20 Hodenkrebs kriegen könnte."

Für Jannik sind die gesundheitlichen Risiken trotz fehlender Daten überschaubar. Von den tausenden Anwendern hätte bisher niemand "etwas Krasses" berichtet. "Ja, es gibt die Möglichkeit, dass ich dadurch Schaden ziehe, aber ich schätze das Risiko im Moment als sehr klein ein, und dieses kleine Risiko gehe ich bewusst ein", sagt er. Schließlich wisse man bei der Pille für Frauen über das Thromboserisiko bestens Bescheid, trotzdem nehmen viele Frauen das Mittel zwangsläufig.

In Sachen Reversibilität gäbe es bis dato nur einen Fall von einem Mann, bei dem die Spermienproduktion nach zwölf Jahren Anwendung nicht wieder angelaufen ist. Aber Jannik plant ohnehin den Ring nicht länger als vier Jahre zu tragen: "Wenn dann die Familienplanung abgeschlossen ist, werde ich mich vasektomieren."

Und auch was die Wirksamkeit, also den Pearl Index, des Produkts angeht, hat Jannik Vertrauen. Er habe sich jede der bisher durchgeführten Studien zum Andro Switch genau durchgelesen. Insgesamt wurden in den Studien bisher 1.300 Ovulationszyklen beobachtet. "Bis jetzt gibt es nur eine dokumentierte Schwangerschaft, aber da hat der Typ danach angegeben, dass er den Ring sieben Wochen nicht getragen hat", berichtet Jannik.

Spermiogramm kann zeigen, wie zuverlässig der Ring funktioniert

Merseburger rät Männern, die diese Verhütungsmethode ausprobieren möchten, zu einem Spermiogramm – vor Tragen des Rings und dann noch einmal nach ein paar Wochen Anwendung. Können in einem Milliliter unter eine Million Spermien nachgewiesen werden, wäre das ungefähr vergleichbar mit der Wirkung der Antibabypille. Aber am Ende könnte auch ein einziges Spermium zu einer Schwangerschaft führen. "Wenn nach ein paar Wochen Anwendung im Spermiogramm keine lebenden Spermien mehr vorhanden sind, kann man mit dieser Methode verhüten", sagt der Experte. Jannik hat genau das gemacht. Zu Beginn hat er alle drei Monate ein Spermiogramm machen lassen. Vor der Anwendung konnten bei ihm über 100 Millionen motile, also bewegliche Spermien nachgewiesen werden, nach sieben Wochen Anwendung keine einzige mehr.

Jannik hatte den Ring gewissenhaft getragen, so wie empfohlen: jeden Tag 15 Stunden. "Vielleicht waren es manchmal gar 18 Stunden oder in Ausnahmen auch mal nur 14", sagt er. Aber es ist jedenfalls zur Routine geworden wie das Zähneputzen: "Morgens ziehe ich den Ring an, abends vorm Zubettgehen wieder aus." Andere Anwender tragen den Ring lieber in der Nacht. Aber da besteht das Risiko, dass sie – etwa aufgrund von unruhigem Schlaf – morgens ohne Ring aufwachen und sie dann nicht genau wissen, wie viele Stunden er wirklich getragen wurde.

Ihm mache es nichts aus, den Ring tagsüber zu tragen. "Es ist wie eine Armbanduhr. Man merkt das echt nicht", erzählt Jannik. Es gibt nur wenige Alltagssituationen, in denen der Ring stören kann. Wenn er aus der Hocke etwas Schweres aufheben möchte etwa, da zwickt es manchmal. Und hin und wieder juckt das Silikon auf der Haut, vor allem wenn er schwitzt. "Oder wenn die Kinder auf mir herumturnen, kann es schmerzhaft sein", erzählt er. "Die würden allerdings auch ohne den Ring hin und wieder auf die Hoden treten, durch den Ring liegen die Hoden eben relativ weit oben, möglicherweise passiert es dadurch häufiger." Auch Rad fahren, vor allem auf dem Rennrad, kann ein bisschen unangenehm sein. Wobei: Während des Fahrradfahrens verhütet man ohnehin thermisch, weil die Hoden dabei an den Körper gedrückt werden. "Wenn man nicht gerade ein Kunstturner ist, der ständig Spagate macht, gibt es im Alltag keine Einschränkungen", sagt Jannik.

Wie lange bis zur Gleichstellung in Sachen Verhütung?

Aktivistin und Autorin Franka Frei findet Anwender wie Jannik "beachtlich", sagt sie. "Diese Männer reden nicht nur davon, dass sie ihre Partnerinnen gerne unterstützen möchten, die tun auch wirklich was." Denn für die Gleichstellung bei der Verhütung brauche es am Ende die Männer. "Wir können jetzt noch 40 Jahre über die Nebenwirkungen der Pille für die Frau jammern und darauf aufmerksam machen, aber es wird nichts ändern, wenn nicht auch Männer bereit dazu sind, aktiv und laut für alternative Mittel einzustehen."

Merseburger ist optimistisch, was die Verhütung für den Mann betrifft – nicht nur wegen Projekten wie Andro Switch. In den nächsten fünf bis zehn Jahren könnte es vielleicht eine marktreife Pille für den Mann geben, sagt er. "Aber das ist nur mein Bauchgefühl." (Magdalena Pötsch, 7.7.2023)