Sofia – Bulgarien und die Ukraine arbeiten laut mehreren Medienberichten offenbar an der Fertigstellung eines brisanten Atomdeals. In Sofia ist man laut einem Bericht des "Wall Street Journal" offenbar bereit, Teile für die Fertigstellung zweier ukrainischer Atomreaktoren an die Ukraine zu liefern, die man selbst nicht mehr benötigt. Sie stammen vom seit Jahrzehnten umstrittenen Atomkraftwerksprojekt im bulgarischen Belene, dessen Fertigstellung die bulgarische Regierung nach der russischen Invasion in der Ukraine endgültig auf Eis legte. Belene hätte mit russischer Atomtechnologie betrieben werden sollen und war in Bulgarien daher innenpolitisch höchst umstritten. Auch nun hat sich um den Verkauf der Reaktorteile in Sofia ein massiver Streit zwischen den Parteien entsponnen.

Atomkraftwerk Pernik in Bulgarien.
Das bulgarische Kohlekraftwerk Pernik. Das bestehende AKW Kosloduj nutzt Brennstoff aus Russland. Künftig will Sofia unabhängiger werden – alte Bauteile könnte man an die Ukraine verkaufen.
AP Photo/Valentina Petrova

Die Verhandlungen zwischen den beiden Staaten laufen offenbar schon seit Monaten. Die Berichte über den Verkauf hatten aber in der vergangenen Tagen in bulgarischen Medien Fahrt aufgenommen, nachdem das Parlament in Sofia eilig mit der Angelegenheit befasst worden war. Dieses stimmte laut Berichten des "WSJ" und des bulgarischen Mediums "Novinite" kürzlich zu – sehr zum Ärger der großteils prorussischen Opposition. Diese wirft der Regierung vor, die Energiesicherheit des Landes zu gefährden.

"Passt perfekt zusammen"

Der Bau der Reaktorblöcke in Belene war in Bulgarien seit den 1980er-Jahren äußerst umstritten. Prowestliche Parteien und Politiker warnen wegen der Möglichkeit wachsender Abhängigkeit in der Energiepolitik vor dem Projekt – immerhin müsste dann auch der nukleare Brennstoff aus Russland bezogen werden, so wie das derzeit etwa auch für viele AKWs in der Slowakei oder in Ungarn der Fall ist. Auch viele andere westliche Staaten sind von russischem Brennstoff abhängig. Prorussische Gruppierungen beharren hingegen wegen der günstigen Konditionen und der möglichen Abhängigkeit von europäischen Energielieferungen auf dem Bau. Die prowestliche bulgarische Regierung entschied sich 2022 dafür, statt der Fortsetzung des Baus in Belene Reaktoren westlicher Bauart vom US-Hersteller Westinghouse am bereits bestehenden AKW-Standort Kosloduj errichten zu lassen.

Die Ukraine hingegen laboriert seit Ende der 1980er-Jahre an nicht fertiggestellten Atomreaktoren russischer Bauart am Standort Chmelnyzkyj in der Westukraine. Wie Vertreter beider Seiten im Bericht des "WSJ" sagen, lagern in Bulgarien genau jene Teile, die in der Ukraine noch fehlen. Die Dinge würden "perfekt zusammenpassen", zitiert die Zeitung den Abgeordneten Delyan Dobrev von der Mitte-rechts-Partei Gerb. Genauer wollte sich laut dem Bericht aber noch niemand offiziell zur Sache äußern, auch die Modalitäten für die Zusammenarbeit sind noch offen. Möglich wäre etwa, dass Bulgarien einen Teil der Betreiberfirma von Chmelnyzkyj erwirbt und die Teile über diesem Weg dorthin gelangen. 

Symbol der Energie-Unabhängigkeit

Für die Ukraine wird aus Chmelnyzkyj ohnehin zunehmend ein Symbol der Energiesicherheit. Seit Beginn des Krieges liefen eilige Überlegungen, wie das AKW an das europäische Stromnetz angeschlossen werden kann. Schon vor dem Angriffskrieg Moskaus, im November 2021, war man im Grundsatz mit Westinghouse übereingekommen, an dem Standort auch den ersten ukrainischen Reaktor westlicher Bauart zu errichten. (mesc, 6.7.2023)