Peter Hacker
Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker will in Wien auch Privatunis unterstützen, um die Zahl der Medizinstudierenden zu erhöhen.
Heribert Corn

Der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) rechnet damit, dass sich der Zustand des Gesundheitssystems in Österreich weiter verschlechtern wird. "Wir sind erst am Beginn eines wahren Ärztemangels", sagte Hacker im Interview mit dem STANDARD. Der SPÖ-Politiker verwies auf eine drohende Pensionierungswelle bei den Medizinern. Hacker fordert, dass die Ausbildungsplätze an den Medizinuniversitäten fast verdoppelt werden, und nahm die türkis-grüne Bundesregierung in die Pflicht. "In zehn Jahren werden wir einen Ärztemangel haben, da wird rückblickend der heutige Pflegemangel wie ein kleines Lercherl im Vergleich dazu ausschauen", sagte er. In Wien werde zudem überlegt, Privatunis zu unterstützen, um die Zahl von Medizinstudierenden zu erhöhen. Um das schon jetzt geforderte medizinische Personal in den Spitälern zu halten, werden auch Prämienzahlungen ein Thema.

STANDARD: In der Klinik Ottakring haben Ärztinnen und Ärzte wegen des Personalmangels vor einem Ausfall der Notaufnahme gewarnt. In der Klinik Favoriten fehlt die Hälfte der Anästhesisten. Ist das die neue Normalität in den Wiener Krankenhäusern?

Hacker: Das ist eine schon seit längerem bestehende und nicht gewünschte Normalität, teilweise in ganz Mitteleuropa. Es gibt Probleme in der Anästhesie, der Chirurgie, der Notfallmedizin, der Kinderpsychiatrie – teilweise in der Radiologie. In der Anästhesie in Favoriten haben wir die Möglichkeit geschaffen, dass wir zusätzlich externe Anästhesisten beschäftigen können. Derzeit wird das aber nicht gebraucht.

STANDARD: Weil Anästhesisten aus anderen Spitälern einspringen müssen.

Hacker: Genau. Flexibilität ist der Sinn großer Organisationen. Dass man einspringt, wenn woanders jemand ausfällt.

STANDARD: Es gibt aber schon viele Löcher zu stopfen. In der Klinik Donaustadt musste wegen des Pflegeengpasses die Neurochirurgie in die Notaufnahme übersiedeln. Ärzte sagen, dass die bisher gewohnte medizinische Versorgung in Wien nicht mehr gewährleistet ist. Teilen Sie diesen Befund?

Hacker: Dass wir im gesamten Gesundheitssystem unter Druck stehen, unterschreibe ich. Deshalb streiten wir ja auch mit dem Bund über eine Gesundheitsreform und werden im Moment ehrlich gesagt nur papierlt. Wir brauchen politische Weichenstellungen. Die kann nur der Stadtrat nicht allein treffen. Das Problem ist der niedergelassene Sektor: Da gibt es einen Rückgang an Ärzten quer durch alle Fächer. Deshalb kommen mehr Personen ins Spital, und diesen Druck spüren unsere Mitarbeiter.

STANDARD: Auf welche Situation muss sich die Bevölkerung im kommenden Herbst und Winter einstellen?

Hacker: Wir haben zu wenige Ärzte, und das ist erst der Anfang. Wir sind erst am Beginn eines wahren Ärztemangels. Das wird aber von entscheidenden Playern noch immer nicht wahrgenommen. Wie sich Uni-Rektoren hinsetzen und sagen können, dass sie eh genug ausbilden, ist mir ein wirkliches Rätsel.

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In der Klinik Favoriten gibt es vor allem in der Anästhesieabteilung ein Personalproblem: Hier fehlt aktuell die Hälfte der Anästhesisten, und Ärztinnen und Ärzte aus anderen Spitälern müssen einspringen.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Die Ärztekammer hat schon 2021 gesagt, dass ein Drittel der Ärzteschaft über 55 Jahre alt ist. Eine Pensionierungswelle droht. Warum hat sich die Politik, dazu gehören auch Sie, zu spät darauf vorbereitet?

Hacker: Ich bin erst seit fünf Jahren Stadtrat. Ich ernte das alles. Ich war nicht dabei bei Entscheidungen, die vor Jahren nicht getroffen wurden.

STANDARD: Woher sollen so schnell die Ärzte kommen, die schon jetzt händeringend gesucht werden?

Hacker: Wir müssen sie ausbilden.

STANDARD: Aber das dauert Jahre.

Hacker: Ja eh. In zehn Jahren werden wir einen Ärztemangel haben, da wird rückblickend der heutige Pflegemangel wie ein kleines Lercherl im Vergleich dazu ausschauen. Wir brauchen uns nur die Statistik der Ärztekammer anschauen. Uns werden österreichweit 7000 Ärzte bis 2035 fehlen. Da muss Wissenschaftsminister Martin Polaschek handeln.

STANDARD: Was fordern Sie?

Hacker: Es braucht eine wesentliche Erhöhung der Ausbildungsplätze an den Medizinuniversitäten. Wir können nicht 15.000 Bewerberinnen und Bewerber haben – und nehmen nur 1850 davon. Wir müssen über mindestens 1500 zusätzliche Plätze pro Jahr reden. In zehn Jahren ist das Pensionsloch bei den Ärztinnen und Ärzten riesig. Es sind auch bei den Wahlärzten schon jetzt wesentlich mehr Personen im Pensionsalter, als wir bisher angenommen haben.

STANDARD: Was machen Sie, um den Ärztemangel in den Griff zu bekommen?

Hacker: Da ist der Wissenschaftsminister verantwortlich. Wir beschäftigen uns aber mit der Unterstützung der Privatunis. Das ist mir nicht sympathisch, weil ich an sich kein Freund von kostenpflichtigen Studien bin. Aber es hilft nichts. Wir brauchen die fertigen Medizinstudierenden, um sie dann zu Ärzten auszubilden.

STANDARD: Heißt das, die derzeit in Wien gewohnte Gesundheitsversorgung wird es mittelfristig nicht mehr geben?

Hacker: Wenn sich nichts ändert, ja. Es muss was passieren bei der Ausbildung von zusätzlichen Studierenden. Und wir Länder wollen Verantwortung übernehmen für den Ausbau im niedergelassenen Bereich. Ein Beispiel: Höchstens die Hälfte aller Frauen in Wien hat eine gynäkologische Versorgung bei einem Kassenmediziner. Das ist nicht zu akzeptieren.

STANDARD: In der Klinik Ottakring wurde ein Warnstreik von Ärzten abgehalten. Rechnen Sie mit weiteren Streiks?

Hacker: In dem Zustand, in dem die Wiener Ärztekammer gerade ist, rechne ich mit allem.

Warnstreik Klinik Ottakring
Ende Juni hielten Ärztinnen und Ärzte der Zentralen Notaufnahme der Klinik Ottakring auch aufgrund von Personalknappheit einen symbolischen Warnstreik ab.
APA/HELMUT FOHRINGER

STANDARD: In den städtischen Spitälern sind seit Monaten 140 Posten für Ärztinnen und Ärzte sowie 550 Stellen im Bereich Pflege offen. Warum versagt die Rekrutierung von Personal?

Hacker: Das stimmt so nicht. In absoluten Zahlen haben wir im Gesundheitsverbund so viele Mitarbeiter wie nie zuvor. Aber wir brauchen noch mehr Absolventen der Medizin-Unis. Ein Arzt muss zudem mehr Personal ausbilden können als bisher. Da ist Gesundheitsminister Johannes Rauch am Zug.

STANDARD: Ist mehr Geld ein Thema? In der Klinik Favoriten soll Anästhesisten laut Ärztekammer eine Prämienzahlung in Höhe von 4400 Euro in Aussicht gestellt worden sein. Können Sie das bestätigen?

Hacker: Das Management des Wigev hat die Möglichkeit, Prämien auszuschütten – gemeinsam mit den ärztlichen Direktoren. Das ist grundsätzlich möglich. Da ist auf Arbeitnehmerseite aber die Personalvertretung der entscheidende Faktor und nicht die Ärztekammer.

STANDARD: Bereits im Jahr 2019 kündigten Sie an, aufgrund des Pflegemangels Pflegekräfte aus dem Ausland – namentlich von den Philippinen – zu rekrutieren. Was ist vier Jahre später daraus geworden?

Hacker: Es zieht sich, aber wir sind viele Schritte weitergekommen. Parallel laufen auch mit Niederösterreich sehr gute Gespräche zu Pflegekräften aus Vietnam. Auch Indien ist ein Thema. (David Krutzler, 6.7.2023)