Der CMS-Detektor ist eines der beiden großen Experimente des Teilchenbeschleunigers LHC, das auf die Entdeckung neuer Teilchen ausgelegt ist. Doch er könnte sich nun als zu klein erweisen, um neue Teilchen zu finden.
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Elektronen sind rund – davon berichtet eine neue Studie im Fachjournal "Science". Bei einem Teilchen, das nach heutigem Verständnis als fundamental und nicht weiter teilbar gilt, könnte man das für eine Selbstverständlichkeit halten. Doch die Genauigkeit, mit der diese Eigenschaft nun gemessen wurde, hat eine Reihe von Implikationen, von denen manche für große Teilchen-Experimente ein Problem darstellen.

Gelungen ist die Messung nicht in einem der großen Teilchenphysik-Experimente wie dem LHC, dem größten Teilchenbeschleuniger der Welt am Kernforschungszentrum Cern, sondern durch eine Untersuchung der Verbindung Hafniumfluorid, das in einem kleinen Labor in einer Vakuumkammer für etwa zwei Sekunden in Schwebe gehalten wurde. Durch das Anlegen eines extrem starken Magnetfelds ließen sich die Atome in dem Material umdrehen. Weil im Inneren extreme elektrische Felder herrschen, ließ sich indirekt darauf schließen, ob Elektronen rund sind oder ein sogenanntes Dipolmoment haben, also ihre Ladung nicht gleichmäßig verteilt ist.

"Das ist ein fantastisches Resultat", freut sich der Physiker John Doyle von der Universität Harvard, der mit seiner Gruppe ein ähnliches Experiment durchführte, gegenüber "Science". Die neue Studie bestätigt seine Ergebnisse, ist aber noch deutlich genauer. "Weil die Methoden so unterschiedlich waren, ist das eine starke Bestätigung des Resultats." Für die Theoretische Physik wird es dadurch aber noch schwieriger, zu erklären, warum es im Universum mehr Materie als Antimaterie gibt.

Das Universum enthält zu viel Materie

Diese Ungleichverteilung – in unserem Alltag sehen wir überhaupt keine Antimaterie, das Universum besteht praktisch nur aus Materie – ist eines der großen Rätsel der Physik. Eigentlich war das Universum kurz nach dem Urknall von Licht in verschiedener Form erfüllt. Mit der Zeit zerfielen die Lichtteilchen in je ein Materie- und ein Antimaterieteilchen. Es sollte also von beiden Sorten gleich viel geben. Irgendwie scheinen die Naturgesetze nicht vollkommen symmetrisch zu sein.

Die Frage, wie rund das Elektron ist, hat wesentlich mit dieser Frage zu tun. Es geht um ein Phänomen, das die Physik Brechung der CP-Symmetrie nennt. Antimaterie ist physikalisch gesehen Materie, die sich in der Zeit rückwärts bewegt. Ohne sich in die unzähligen Fragen zu vertiefen, die dieser faszinierende und verwirrende Aspekt aufwirft, lässt sich sagen, dass das Verhältnis von Materie und Antimaterie im Universum davon bestimmt wird, ob Vorwärts- und Rückwärtsbewegung in der Zeit gleich funktioniert, oder ob es Unterschiede gibt.

Ein Positron, das Antiteilchen des Elektrons, ist demnach im Rahmen des Standardmodells der Teilchenphysik ein Elektron, das sich in der Zeit rückwärts bewegt. Elektronen, die nicht rund sind und ein Dipolmoment haben, würden sich in ihrer Vor- und Rückwärtsbewegung in der Zeit geringfügig unterscheiden.

Von Quarks, den Bausteinen der schwereren Neutronen und Protonen, aus denen sich Atomkerne zusammensetzen, ist bekannt, dass sich ihre Vor- und Rückwärtsbewegung in der Zeit unterscheidet. Doch diese Abweichung ist nicht groß genug um zu erklären, warum das Universum nur aus Materie besteht.

Neue Teilchen als Hoffnungsträger

Eine mögliche Erklärung dafür wären bisher unbekannte, schwere Elementarteilchen, die ebenfalls diese Eigenschaft besitzen. Auch wenn sie zu schwer wären, um mit Teilchenexperimenten wie dem LHC entdeckt zu werden, würde sich ihre Existenz indirekt über die Eigenschaften von Elektronen bemerkbar machen. Weil sie selbst nicht vollständig rund wären, würden sie dafür sorgen, dass auch Elektronen nicht perfekt rund sind. Das liegt daran, dass Elementarteilchen nie ganz isoliert voneinander sind. Analog zur guten Tradition bestimmter buddhistischer Lehren ist in der Elementarteilchenphysik alles mit allem ein klein wenig verbunden. Elektronen schleppen quasi immer eine Andeutung aller anderen möglichen Teilchen mit sich herum. Das würde sich auf ihr Dipolmoment auswirken.

Bevor wir hier in der Poesie landen (Albert Camus warf das der modernen Physik in seinem "Mythos des Sisyphus" prominent vor), lässt sich festhalten, dass die Form der Elektronen große Konsequenzen für die Teilchenphysik hat und daher seit Jahrzehnten intensiv beforscht wird. Das neue Ergebnis legt nahe, dass es keine neuen Elementarteilchen gibt, die leichter sind als etwa drei bis vier Teraelektronenvolt, eine in der Teilchenphysik übliche Maßeinheit. Das würde bedeuten, dass sie etwa doppelt so schwer sind wie die schwersten Teilchen, die aktuell mit dem LHC nachgewiesen werden können. Einzige Einschränkung: Es könnte leichtere unbekannte Teilchen geben, die sich in der Zeit gleich vor- wie rückwärts bewegen. Doch diese würden nicht erklären, warum es mehr Materie als Antimaterie gibt. (Reinhard Kleindl, 9.7.2023)