Softdrink-Dosen in unterschiedlichen Farben
Aspartam wird unter anderem zum Süßen von Softdrinks eingesetzt. Auf der Zutatenliste scheint der Zusatzstoff unter dem Kürzel E 951 auf.
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Eigentlich wurde Aspartam von der EU-Lebensmittelbehörde lange als völlig unbedenklich eingestuft – und die Studienlage gab bisher keinen Anlass, das zu ändern. Jetzt könnte die WHO den Süßstoff doch als "möglicherweise krebserregend" einstufen, am 14. Juli werden wohl neue Daten dazu veröffentlicht. Was das zu bedeuten hat:

Frage: Was ist Aspartam genau?

Antwort: Ein künstlich hergestellter Süßstoff, den man unter dem Kürzel E 951 in den Zutatenlisten auf Softdrinks, Marmeladen, Kaugummis oder Milchprodukten findet. Oft liest man, dass Aspartam kalorienfrei sei, tatsächlich hat Aspartam fast so viele Kalorien wie Zucker. Nur ist der Süßstoff 200-mal so süß wie herkömmlicher Zucker, deshalb braucht man wesentlich weniger davon. Der STANDARD berichtet hier ausführlich.

Frage: Worum geht es bei der Einschätzung der WHO?

Antwort: Eigentlich geht diese wahrscheinliche Neueinschätzung von der Krebsforschungsagentur IARC aus. Deren Aufgabe ist es unter anderem, mögliche Auslöser von Krebs zu benennen – die vonseiten der WHO dann in einem weiteren Schritt eingestuft werden. Grundsätzlich unterscheiden die Fachleute der Weltgesundheitsorganisation zwischen vier Klassifikationen: 1. definitiv krebserregend, 2. wahrscheinlich krebserregend, 3. möglicherweise krebserregend und 4. zu wenig Evidenz, um eine Aussage machen zu können.

Diese vier Gruppen richten sich danach, wie handfest die aktuelle Evidenz zu einer Substanz ist – und nicht danach, wie gefährlich sie tatsächlich ist. Als "möglicherweise krebserregend" werden etwa auch rotes Fleisch, Nachtarbeit oder hochfrequente elektromagnetische Felder, die mit der Benutzung von Handys einhergehen, eingestuft. "Die dritte Stufe ist also noch sehr vage. Dazu gibt es Hinweise aus Tierstudien, aber noch keine klaren Beweise. Ich denke, es geht der WHO hauptsächlich darum, ein Zeichen zu setzen und auf der sicheren Seite zu sein, wenn künftig in Langzeitstudien etwas nachgewiesen werden sollte. Die Klassifikation soll auch dazu motivieren, mehr Studien zu dieser Substanz durchzuführen", glaubt Bettina Wölnerhanssen, Co-Leiterin der metabolen Forschung am St.-Clara-Spital in Basel. Die Hauptbotschaft der WHO sei nach wie vor, dass Zucker gesundheitlich schädlich ist und man den Zuckerkonsum reduzieren sollte. "Außerdem sollte der süße Geschmack generell reduziert werden und der Zucker eben nicht 1:1 mit Süßstoffen wie Aspartam ersetzt werden", betont die Expertin.

Frage: Und wie ist die Studienlage aktuell? Macht Aspartam nun krank oder nicht?

Antwort: Bis heute ist die Datenlage unklar. Dass Aspartam möglicherweise das Krebsrisiko erhöht, deutete bereits eine Tierstudie in den frühen 2000ern an. Manche Krebsarten bei den damals untersuchten Mäusen und Ratten konnten mit der Einnahme von Aspartam in Verbindung gebracht werden. "Aber da wurde den Tieren relativ viel Aspartam zugeführt. Diese Mengen entsprechen nicht dem, was ein Mensch zu sich nimmt, wenn man etwa einen halben Liter Softdrink konsumiert", erklärt Tilman Kühn, Professor für Public Health Nutrition an der Med-Uni Wien. In der Wissenschaft blieb die Frage, ob die Ergebnisse überhaupt auf den Menschen übertragbar sind, lange offen. Und zum Teil ist sie das auch heute noch. "Aber mittlerweile gibt es einige weitere Tierstudien mit deutlich geringeren Zufuhrmengen. Auch da zeigte sich, dass das Krebsrisiko durch Aspartam zumindest leicht erhöht wurde", berichtet Kühn.

Vergangenes Jahr wurde außerdem eine unter Fachleuten vielbeachtete Humanstudie zu Aspartam veröffentlicht. Das Ergebnis: Erwachsene hatten mit zunehmendem Konsum eine "leicht erhöhte Krebswahrscheinlichkeit". Im Vergleich zu denjenigen, die kein Aspartam konsumierten, war ihr Risiko, an Krebs zu erkranken, 1,15-mal so hoch. Das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, war bei den Probandinnen und Probanden 1,22-mal so hoch und bei Krebs in Zusammenhang mit Adipositas 1,15-mal so hoch wie bei den Erwachsenen, die kein Aspartam zu sich nahmen.

Frage: Warum wurde das nicht weiter im Detail erforscht?

Antwort: Weil das irrsinnig schwierig ist. Fachleute, die in Studien herausfinden wollen, ob Süßstoffe ungesund sind, stehen vor einer Herausforderung: Denn Bevölkerungsgruppen, die viel Süßstoffe konsumieren, sind eher übergewichtig und leiden eher an Diabetes. Daraus kann man allerdings keinen kausalen Zusammenhang herstellen, weil die Menschen, eben auch gerade weil sie an diesen Krankheiten leiden, Zuckerersatzstoffe konsumieren. Genau vor diesem Dilemma steht man in der Forschung auch bei Aspartam. "Man kann aus den vorliegenden Daten keinen kausalen Zusammenhang herstellen", betont Anne Christin Meyer-Gerspach, Ernährungswissenschafterin und ebenfalls Co-Leiterin der metabolen Forschung am St.-Clara-Spital in Basel.

Frage: Macht Aspartam süchtig?

Antwort: Auch das weiß man noch nicht so genau. Bei Zucker ist der Suchtfaktor gut erforscht. Er dockt ähnlich wie Drogen an die Rezeptoren von Dopamin an und ist somit eine psychoaktive Substanz. Was man von einzelnen Süßstoffen weiß: Sie aktivieren Gehirnareale, die mit einer vermehrten Nahrungsaufnahme assoziiert werden. "Aber auch hier weiß man nicht genau, wie sehr sich die Aktivierung dieser Areale am Ende wirklich auf die Menge der Nahrung, die man zu sich nimmt, auswirkt", sagt Meyer-Gerspach.

Nach der aktuellen Datenlage sind künstliche Süßstoffe jedenfalls immer noch gesünder als Zucker, stellt Meyer-Gerspach klar. Aber sie haben nicht gar keinen Effekt auf den Stoffwechsel, wie man das früher dachte. "Man weiß heute, dass jede Substanz, die man zu sich nimmt, einen Effekt auf den Körper hat", sagt die Expertin. Aber bisher konnte keine Studie eindeutig belegen, dass Süßstoffe schädlich seien, berichten die Expertinnen. Es gibt jedoch Hinweise, dass sie sich bei regelmäßigem Konsum negativ auf die Darmflora, den Blutzuckerspiegel und somit auf den Stoffwechsel auswirken könnten. Wie genau der Süßstoff Aspartam im Körper wirkt, wurde bisher nur wenig untersucht. "Wenn man einen halben Liter normale Cola trinkt, nimmt man damit 50 Gramm Zucker zu sich. Das ist bei regelmäßigem Konsum definitiv schädlich für den Körper. Trotzdem muss man auch das Risiko, das von Zusatzstoffen wie Aspartam ausgehen könnte, ernst nehmen", sagt Public-Health-Wissenschafter Kühn.

Frage: Was ist bei der Einschätzung der WHO Ende der Woche zu erwarten?

Antwort: Es könnten neue Ergebnisse aus Humanstudien präsentiert werden. In der Fachwelt ist man gespannt. "Vielleicht geben die Daten mehr Aufschluss", sagt Meyer-Gerspach. Solange es nicht mehr Untersuchungen zu Aspartam gibt, rät der Public-Health-Experte Kühn jedenfalls zu einem sehr achtsamen Genuss: "Wenn man ganz vorsichtig ist, kann man natürlich die Finger davon lassen und statt Softdrinks lieber zu Wasser, ungesüßten Tees oder gespritzten Fruchtsäften greifen." (Magdalena Pötsch, Mitarbeit: Jasmin Altrock, 10.7.2023)