Johannes Dieterich aus Johannesburg

Die Frage ist so alt wie das Ende des Kolonialismus. Erholen oder "entwickeln" sich gründlich zerstörte Gesellschaften eher von "unten" oder von "oben"? Indem dörfliche Gemeinschaften zur Sicherung ihrer nötigsten Bedürfnisse befähigt werden oder schwächelnde Staatsgebilde die Industrialisierung vorantreiben?

Lithium Afrika
Lithium – ein globales Billionengeschäft.
REUTERS/WASHINGTON ALVES

Bei den im Jahr 2000 verabschiedeten Millennium-Zielen war der erste Ansatz en vogue: Harvard-Professor Jeffrey Sachs suchte damals zehn über den afrikanischen Kontinent verbreitete Dörfer – die sogenannten Millennium-Dörfer – aus, die sich mittels erhöhter ausländischer Entwicklungsgelder aus der Armutsfalle befreien sollten. Was sie dazu brauchten, seien vor allem Düngemittel, verbessertes Saatgut und Moskitonetze, befand Professor Sachs. Und bessere Straßen zu den Märkten sowie Schulspeisungen für die Jungen.

Die Millennium-Dörfer erhielten zehn Jahre Zeit, sich zu bewähren: Im Jahr 2015 wurde Bilanz gezogen. Obwohl die Ernteerträge in den meisten der Dörfer tatsächlich gesteigert und die Zahl der Malaria-Erkrankten vermindert werden konnte, fiel die Schlussrechnung ernüchternd aus: Eine Fortsetzung oder gar Ausweitung des Projekts bot sich nicht an.

Sachs machte für die Enttäuschung den Geiz der Industrienationen verantwortlich, die ihren Versprechen zur umfangreicheren Unterstützung nicht nachgekommen seien: Außerdem sei den Millennium-Dörfern ausgerechnet ihr Erfolg zum Verhängnis geworden. Viel zu viele Nachbarn hätten sich in die Vorzeigedörfer gedrängelt, um von deren Vorzügen zu profitieren, und sie auf diese Weise regelrecht erstickt. Dass die einzelnen Dörfer von einem Meer der Armut umgeben waren, stellte sich als fatal heraus.

Entwicklung von unten

Die Lehre, die daraus zu ziehen war: Entwicklung lässt sich nicht nur mit Vorzeigeprojekten von unten erzielen. Dem Mikrofortschritt muss ein Makrowandel mindestens zur Seite stehen. Womöglich ist der große Wurf auch wesentlich effektiver, weil etwa mit der Industrialisierung ganze Gesellschaften und nicht nur einzelne Dörfer aus der Armut errettet wurden. Wie einst die asiatischen Tiger.

In den meisten Staaten Afrikas hat Industrialisierung niemals stattgefunden oder scheiterte wie in Nigeria kläglich. Das Fehlen von Fabriken macht sich in den rohstoffreichen Staaten des Kontinents besonders bemerkbar: Dort werden die Bodenschätze meist völlig unverarbeitet exportiert, die Wertschöpfung wird anderswo erzielt.

Was den afrikanischen Staaten dabei verlorengeht, ist am Beispiel der Wertschöpfungskette von Lithium-Batterien abzulesen. Wenn in einem Jahr für die Batterieherstellung nötige Metalle wie Lithium, Kobalt, Mangan oder Nickel im Wert von elf Milliarden US-Dollar aus dem Boden geschürft werden, sind diese nach der ersten Veredelung, dem Schmelzen oder der Raffinierung, bereits den vierfachen Preis wert. Zum Material verarbeitet, das für die Produktion von Batterie-Zellen nötig ist (im Fall von Lithium etwa Lithiumcarbonat), werden 271 Milliarden Dollar fällig, und die Hersteller dieser Zellen streichen für ihre Produkte 387 Milliarden Dollar ein. Die fertigen Batterien kosten 1,2 Billionen Dollar, und in Fahrzeuge eingebaut sind die Energiespeicher schließlich sieben Billionen Dollar wert. Elf Milliarden von sieben Billionen: Das sind 0,0057 Prozent des Werts der Endprodukte, die Rohstoffstaaten für ihre Bodenschätze bekommen.

Das Problem mit den Rohstoffen

Vor allem der südliche Teil des Kontinents verfügt über einen Großteil der Rohstoffe, die zur Herstellung von Lithium-Batterien nötig sind. Die Demokratische Republik Kongo deckt derzeit 70 Prozent des weltweiten Kobalt-Bedarfs ab, aus Südafrika werden 36 Prozent der globalen Nachfrage nach Mangan bedient. In Namibia und Simbabwe gibt es größere Lithium-Vorkommen, und aus Sambia und dem Kongo kommen elf Prozent des in aller Welt verarbeiteten Kupfers. Außer in Südafrika werden in keinem der Staaten die Bodenschätze auch nur geringfügig veredelt, von Fabriken zur Herstellung von Batterien natürlich ganz zu schweigen.

Das soll nun allerdings anders werden. Simbabwe erließ kürzlich ein Gesetz, wonach kein unverarbeitetes Lithium mehr das Land verlassen darf: Mindestens dessen erste Veredelung muss in Simbabwe erfolgen. Sambia und der Kongo haben sogar beschlossen, eine gemeinsame Batterieproduktion in ihren Ländern in die Wege zu leiten: Unterstützt von der Afreximbank und der UN-Wirtschaftskommission für Afrika sollen Investoren aus dem In- oder Ausland in steuerbegünstigten Sonderwirtschaftszonen ihre Schmelzen, Raffinerien und Manufakturen hinstellen.

Rückenwind bekämen die Großprojekte auch von der Afrikanischen Freihandelszone AfCFTA, die für einen möglichst weitgehenden zollfreien Handel innerhalb des Kontinents sorgen soll. Doch ob der Industrialisierungsboom tatsächlich zustande kommen wird, steht auf einem anderen Blatt: Solange der Markt elektronischer Fahrzeuge in Afrika so kümmerlich wie gegenwärtig bleibt, ist für Batteriehersteller aus diesem Standort kein Kapital zu schlagen. Entwicklung ist ein anspruchsvolles Ding, ob von oben oder unten. (Johannes Dieterich, 09.7.2023)