Es ist eine Gemengelage, die in Europa alte Erinnerungen weckt. Die deutsche Wirtschaft ist seit Monaten in der Krise, eine Rezession hat Ende 2022 das Land erfasst, und noch ist kein Ende des Abschwungs in Sicht. Im Gegenteil: Der Ifo-Geschäftsklimaindex, der auf der Befragung von 9.000 Unternehmen zur Wirtschaftslage beruht, steht auf einem ähnlich tiefen Stand wie im Frühjahr 2022, als deutsche Unternehmen fürchten mussten, dass ihnen das Gas ausgeht. Die Arbeitslosigkeit steigt, wenn auch nur leicht.

Inmitten dieser trüben Stimmungslage hat die deutsche Ampelregierung, bestehend aus SPD, Grünen und FDP, ein Budget für 2024 verabschiedet, das weitgehende Einsparungen über fast alle Ministerien hinweg vorsieht. Das notwendige Gesetz dürfte im Bundestag erst im Dezember beschlossen werden, Änderungen gelten damit noch als wahrscheinlich.

Europa fährt Achterbahn

Aber die Diskussion um einen Sparkurs der wichtigsten europäischen Volkswirtschaft finden nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa Beachtung. Der künftige Kurs in Berlin gilt als ein maßgebliches Indiz dafür, wie es mit der Wirtschafts- und Haushaltspolitik in Europa weitergeht.

Dabei ist die europäische Finanz- und Wirtschaftspolitik zuletzt Achterbahn gefahren. Noch in der Eurokrise vor etwas mehr als zehn Jahren wurden hohe Staatsausgaben in Krisenländern für vermeintlich alle wirtschaftlichen Probleme im gemeinsamen Währungsraum verantwortlich gemacht. Ex-Kanzlerin Angela Merkel bemühte damals das Bild der guten alten "schwäbischen Hausfrau", die wisse, dass kein Haushalt auf Dauer über seinen finanziellen Verhältnissen leben könne. Es folgte ein Gerangel rund um die Sparpolitik in Europa.

Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) sorgte schließlich dafür, dass der finanzielle Spielraum der Regierungen wieder zunahm. Und mit der Pandemie 2020 begann das große Geldausgeben: Die europäischen Vorgaben fürs Schuldenmachen wurden ausgesetzt, es folgten beispiellose staatliche Hilfspakete. Gerade als die Maßnahmen zurückgefahren werden sollten, begann der Ukrainekrieg. Wieder stiegen die Ausgaben.

Genau damit soll 2024 Schluss sein in Deutschland. Der Antreiber hinter diesem Kurs ist Finanzminister Christian Lindner (FDP). In einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine mit dem Titel "Zeit der Wünsche ist vorbei" warb Lindner für eine Zeitenwende. "Viele Jahre haben Politik und Gesellschaft darauf vertraut, der Staat könne fast alles finanzieren. Vor dem Hintergrund niedriger Zinsausgaben wurden Transferzahlungen erhöht oder neue Leistungen geschaffen. Im Zuge der Pandemie und des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine kamen Krisenhilfen hinzu, die in dieser Dimension zuvor kaum vorstellbar gewesen wären. Die Herausforderungen der Gegenwart aber werden sich nicht mit immer mehr Geld lösen lassen", so Lindner.

Geld ist auch keine Lösung

Vor allem die Inflation ist es, die laut Linder dafür sorgt, dass Geldausgeben allein keinen Sinn ergibt – denn wenn Facharbeiter fehlten, helfe es wenig, wenn neue Schulden gemacht werden, die von der kommenden Generation bezahlt werden müssten.

Kurz nach Lindners Gastbeitrag verabschiedete die Regierung den Haushaltsentwurf. Die staatlichen Ausgaben sinken von heuer 476 auf 446 Milliarden Euro im kommenden Jahr. Die Netto-Kreditaufnahme des Staats geht von 46 Milliarden auf 16,6 Milliarden zurück, das ist der niedrigste Wert seit fünf Jahren. Die Schuldenbremse, in Deutschland im Verfassungsrang, wird damit eingehalten. Damit einher gehen deutliche Ausgabenrückgänge: Das Gesundheitsministerium verliert laut Plan ein Drittel seines Etats, für Bildung gibt es um fünf Prozent weniger. Fast alle Resorts müssen sparen. Mehr Geld gibt es dagegen für den Verteidigungshaushalt. Gemeinsam mit Mitteln aus einem Sondertopf will Deutschland damit im kommenden Jahr das in der Nato paktierte Ziel erreichen, seine Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung zu erhöhen. Mehr Geld gibt es auch für den Bereich Arbeit und Soziales, dort besonders für die Rentenversicherung. Aufgestockt werden die Mittel der Bahn, aber bescheidener als erwartet.

Das Budget sei kein knallharter Sparkurs, auch wenn Lindner diesen Anschein erwecken wolle, heißt es in einer Analyse der Berliner Denkfabrik "Dezernat Zukunft". Vielmehr müssten die meisten Ministerien einen Beitrag zur Konsolidierung leisten, wirkliche Prioritätensetzung sei nicht erkennbar. Aber genau das, diese Rückkehr in eine alte ausgabenpolitische Normalität, sei problematisch, heißt es in der Analyse. Denn angesichts des Klimawandels, der nicht gelösten Energiekrise und der Herausforderungen für die deutsche Autoindustrie sei ein solches "Normalbudget" bemerkenswert zurückhaltend. Und: Andere Industrieländer würden weiter eine expansivere Ausgabenpolitik betreiben (siehe Grafik).

Der deutsche Finanzminister Christian Lindner will einen Kurswechsel vollziehen.
EPA

Notwendig seien die Kürzungen zudem nicht. Deutschland zahle zwar mehr für neue Schulden als noch vor ein oder zwei Jahren. Aber die Realzinsen für Kredite stehen bei null, Deutschland kommt also extrem günstig an Kredite.

Kritik der Arbeitgeber

Kritik kam auch vom Deutschen Gewerkschaftsbund, der Kürzungen als wirtschaftlich und sozial schädlich bezeichnete. Aber unzufrieden ist auch die Arbeitgeberseite: Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, sprach von einer Rückkehr in die Denke der 1990er-Jahre, als man davon ausging, Staatsschulden seien etwas Schlechtes. "Soweit er die Investitionen betrifft, ist der Sparkurs verfehlt. Deutschland benötigt eine strategische Antwort auf die Herausforderungen Demografie und Dekarbonisierung", so Hüther.

Wichtig sind die Entwicklungen in Deutschland auch, weil die Europäische Union derzeit darum ringt, wie es ab 2024 mit den europäischen Budgetvorgaben weitergehen soll. 2023 sind die EU-Regelungen zur Begrenzung der Staatsschulden noch ausgesetzt, die EU-Kommission hat vorgeschlagen, ein flexibleres Regelwerk zu schaffen, das hoch verschuldeten Ländern künftig etwas mehr Spielraum lässt. Die Mitgliedsstaaten und das EU-Parlament müssen sich erst über die vorgeschlagenen Reformen einigen. Von Lindner und seinem österreichischen Amtskollegen Magnus Brunner (ÖVP) kam bereits die Kritik, die Pläne der Kommission seien zu lax.

Deutschlands Finanzminister Lindner will eine neue Ära beim Budget einläuten. Ganz so groß sind die Umwälzungen aber wohl nicht. (Andras Szigètvari, 10.7.2023)