Reiner Wandler aus Madrid

Radfahren ist eine hochideologische Frage – zumindest für die spanische Rechte und Ultrarechte. Im südeuropäischen Land werden seit den letzten Kommunalwahlen am 28. Mai über 100 Gemeinden von einer Koalition aus dem konservativen Partido Popular (PP) und der rechtsextremen Vox regiert, darunter 30 Provinzhauptstädte. Überall haben sie eine Koalitionsvereinbarung geschlossen. In mehreren Gemeinden ist einer der Hauptpunkte der innerstädtische Verkehr, und dort das Fahrrad. So etwa in Elche, Valladolid, Palma de Mallorca und Gijón. In diesen Kommunen sollen Radwege abgebaut und Umweltzonen eliminiert werden. Sie seien "schlecht geplant" und würden "den Verkehr stören" – den der Kraftfahrzeuge, versteht sich. Es gelte, "die Freiheit, sich mit dem Auto fortzubewegen", zu verteidigen.

Radfahrer
Radfahrerinnen und Radfahrer stehen in Spanien schwere Zeiten bevor.
EPA/Carlos Ortega

Das zieht bei einem Großteil der rechten Wählerschaft. Was ein guter Spanier oder eine gute Spanierin ist, der nimmt den Pkw. Für viele schwingen sich nur Ökos und Podemitas (Anhänger der linksalternativen Podemos) auf den Drahtesel, um etwa zur Arbeit zu kommen, und behindern damit den Fluss innerstädtischen Straßenverkehrs.

Nicht mit dem Rad zur Arbeit

Wenn überhaupt, rühren auch Rechte den Lenker ihres Fahrrads nur dann an, wenn die größte Kaufhauskette Spaniens zum Tag des Fahrrads ruft. Zu Tausenden strampeln sie dann einige Meter mit Kind und Kegel durch die Innenstädte. Und selbst die Mittelklasse radelt nicht zur Arbeit. Sie schnallen das Fahrrad, meist ein Mountainbike, am Wochenende auf ihre SUVs und machen die Berge unsicher – ein meist männliches Vergnügen, versteht sich. Die größten Fans des Drahtesels fahren Rennrad – ausdauernd trainieren sie. Aber auch für sie bleibt das Rad ein Sportgerät, das im Alltag nur wenig Platz hat.

"Radwege sind weder links noch rechts, sondern eine gesamtgesellschaftlich transversale Infrastruktur", mahnt der Professor für Soziologie an der Universität Córdoba, David Moscoso, gegenüber der Tageszeitung "El País". "Vox ist gegen die Radwege, um ihre Position zum Klimawandel zu stärken und zu versuchen, Stimmen von wütenden Bürgern zu gewinnen, die glauben, dass es die Freiheit geben muss, zu fahren, wohin sie wollen und wann sie wollen", fügt er hinzu.

Einfahrbeschränkungen zurückgenommen

Als gute ultrarechte Partei leugnet Vox den Klimawandel schlechthin. Auch im PP stößt sie damit bei vielen auf Zustimmung. Kaum ein PP-Kommunalpolitiker hat deshalb Probleme mit Koalitionsvereinbarungen gegen Radwege und Umweltzone. In der Hauptstadt Madrid, wo der PP im Alleingang regiert, wurde ebenfalls ein Teil der Einfahrbeschränkungen, die die aktuelle Stadtverwaltung vor etwas mehr als vier Jahren von der linksalternativen Vorgängerregierung erbte, zurückgenommen.

Für die größten Schlagzeilen sorgt der Abbau eines Radwegenetzes in Elche, einer Stadt in der Region Valencia. Das 370.000 Euro teure Projekt wurde im vergangenen Herbst mit einem Umweltpreis des Verbands der Gemeinden Spaniens als vorbildliche Umweltmaßnahme ausgezeichnet. Jetzt sollen dort wieder die Autos rollen. Außerdem sollen 1.490 neue innerstädtische Parkplätze entstehen. Gerade einmal 300 Menschen beteiligten sich an einer Fahrraddemo gegen diese Maßnahmen Ende Juni. Elche hat 230.000 Einwohner.

Millionenstrafen drohen

Wenn es um Ideologie geht, spielt für die Rechte Geld keine Rolle. Die Politik gegen Umweltzonen und Radwege kann die Gemeinden teuer zu stehen kommen. Denn die meisten Projekte erhielten Zuschüsse aus den Corona-Aufbaufonds der Europäischen Union. Die spanische Zentralregierung genehmigte die Gelder ausdrücklich mit der Auflage, dass die Projekte – wie Radwege – mindestens fünf Jahre lang beibehalten werden müssen. Bei den Umweltzonen könnte es noch teurer werden. Denn Spanien wurde bereits mehrmals aus Brüssel wegen der schlechten Luftqualität angemahnt. Millionenschwere Bußgelder drohen, sollte sich das nicht ändern. (Reiner Wandler aus Madrid, 11.7.2023)