Milorad Dodik
Droht unverhohlen: der bosnische Serbenpolitiker Milorad Dodik.
APA/AFP/ELVIS BARUKCIC

Wenn man die jüngsten Meldungen über die Gefahr der Zerschlagung der Föderation Bosnien-Herzegowina durch Abspaltung der serbischen Teilrepublik liest, scheint es sich um die Wiederholung der seit Jahren ausgesprochenen Drohungen des bosnischen Serbenführers Milorad Dodik zu handeln.

Immer wieder hat in den letzten Jahren der korruptionsverdächtige Präsident der Republika Srpska (RS) mit der Abspaltung vom Gesamtstaat gedroht. Manche Kommentare verniedlichen deshalb die Bedeutung des jüngsten Gesetzes der Republika Srpska, das die Beschlüsse des gesamtstaatlichen Verfassungsgerichtes für nichtig erklärt. Sofort erklärte der Hohe Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft, der Deutsche Christian Schmidt, das Gesetz für nichtig. Darüber hinaus, verkündete er, drohen ab sofort Gefängnisstrafen für Handlungen, die die Ordnung des Gesamtstaates gefährden. Darauf antwortete Dodik mit der Drohung, noch in diesem Jahr eine Volksabstimmung zu veranstalten, um den Austritt der RS aus dem Gesamtstaat zu vollziehen.

Bei der Diskussion um die wirkliche Tragweite der jüngsten Eskalation des Machtkampfes fällt mir die berühmte Gleichung des dänischen Philosophen Soren Kierkegaard (1813–1855) ein: "In einem Schauspielhaus geschah es, dass die Kulissen Feuer fingen; der Bajazzo trat vor, um das Publikum davon zu benachrichtigen. Man glaubte, es sei ein Witz, und applaudierte. Er wiederholte die Anzeige: Man jubelte noch lauter. So, denke ich, wird die Welt unter allgemeinem Jubel witziger Köpfe zugrunde gehen, die da glauben, es sei ein Witz."

Neue Spannungen

Nimmt aber Dodik die Zerschlagung Bosniens diesmal ernst? Ist die Warnung des NZZ-Balkanexperten Andreas Ernst vor einer "brandgefährlichen Entwicklung" im Dreieck Serbien, Kosovo und Bosnien berechtigt? Könnte der serbische Präsident Aleksandar Vučić den unvermeidlichen Verlust des Kosovo und der serbischen Minderheit mit dem Gebiet der Republika Srpska kompensieren? Oder sich zumindest in Bosnien als Faktor der Stabilität profilieren und die Anerkennung des Kosovo hinausschieben? Er warnt bereits, in Bosnien braue sich eine "riesige und schwere Krise" zusammen.

Hat möglicherweise der Überfall Russlands auf die Ukraine den mit Wladimir Putin eng verbundenen serbischen Scharfmacher Dodik zur Zerschlagung der wackligen bosnischen Föderation ermuntert? Will Vučić durch die neuen Spannungen in Bosnien und Kosovo von der durch die von den Massendemonstrationen ausgelösten internen Krise ablenken? Hatte Dodik für seine neue Provokation bei seinem letzten Treffen Ende Mai mit Putin in Moskau sogar um Rückendeckung ersucht?

Trotz seiner weitreichenden Vollmachten (auf dem Papier) ist es fraglich, ob Schmidt als Hoher Repräsentant den gewählten Präsidenten des serbischen Teilstaates absetzen könnte. Unabhängige Beobachter werfen dem Westen vor, zu wenig Druck auf Vučić und Dodik auszuüben.

Die von der EU geführte Friedensmission verfügt übrigens nur über 1100 Soldaten. Nach Ende des Bosnienkrieges 1995 sorgten immerhin 60.000 Nato-Soldaten für die Durchsetzung der Friedensbedingungen des Abkommens von Dayton. (Paul Lendvai, 10.7.2023)