Jonas Vingegaard und Tadej Pogacar
Im Anstieg zum Puy de Dôme hielt Spitzenreiter Jonas Vingegaard das Hinterrad von Tadej Pogacar nur ganz kurz. Die nächsten Duelle warten am Grand Colombier und in den Alpen.
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Fausto Coppi gegen Gino Bartali! Jacques Anquetil gegen Raymond Poulidor! Eddie Merckx gegen Bernard Thévenet! Laurent Fignon gegen Bernard Hinault! Greg LeMond gegen Fignon! Jan Ullrich gegen Marco Pantani! Lance Arm-strong gegen Ullrich! Alberto Contador gegen Andy Schleck! Jonas Vingegaard gegen Tadej Pogačar? Am ersten Ruhetag der 110. Tour de France ließ sich trefflich darüber streiten, ob das aktuelle Duell um das Gelbe Trikot mit den großen Duellen der Vergangenheit – deren Auflistung hier wohlgemerkt keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt – seriös zu vergleichen sei.

Das bisherige Kräftemessen zwischen dem dänischen Titelverteidiger und dem slowenischen Gesamtsieger von 2020 und 2021 wurde da und dort schon als episch beschrieben. Die Attacke Vingegaards während der ersten Pyrenäen-Etappe, der Pogačar nicht folgen konnte, der Konter tags darauf, der Pogačar zwar den Tagessieg bei der Bergankunft in Cauterets-Cambasque, Vingegaard aber das Gelbe Trikot bescherte, und schließlich der Showdown am Sonntag am Puy de Dôme, in dem Pogačar dem Kontrahenten weg und bis auf 17 Sekunden ans Führungstrikot heranfuhr.

"Ich bin im Gelben Trikot, und meine Etappen kommen jetzt erst. Deshalb bin ich wirklich zufrieden", sagte Vingegaard am Sonntag und klang fast ein wenig trotzig. Der 26-Jährige, der daheim nach seinem Vorjahrescoup verehrt wird, spürt die zwiespältige Stimmung, die jedem Tour-Führenden entgegenschlägt, sofern er nicht Franzose ist. Der Gelbe wird respektiert, die Sympathien gehören aber meist seinem Verfolger, selbst wenn der für eine Mannschaft unterwegs ist, die wie Pogačars UAE Team Emirates nicht nur wegen der Geldgeber mit Argwohn beobachtet wird.

Fast ein Einzelkämpfer

Auch das einstige Wunderkind aus Komenda in Oberkrain selbst wird noch hinterfragt. Dass der 24-Jährige spektakulärer daherkommt als der Titelverteidiger, steht allerdings außer Frage. Pogačar verfügt dabei nicht über ein derart geschlossen starkes Unterstützerteam, wie es Vingegaard bei Jumbo-Visma zu Gebote steht. Dass sich dem Dänen im Belgier Wout van Aert der vielleicht kompletteste Radprofi der Gegenwart unterordnen muss, sorgt auch für Diskussionen. Pogačar streut Van Aert vermutlich nicht uneigennützig Rosen ("so schnell wie ein Auto"). Ein wenig Missstimmung im Zug des Konkurrenten kann nicht schaden.

Vingegaard lässt sich nicht gerne auf seinen Rivalen ansprechen. Alles bezüglich Pogačar müsse man mit diesem besprechen, sagte er auf die Frage nach einem Mittel gegen dessen Angriffe. Er selbst befasse sich mit seinem Kontrahenten nicht. "Wenn ich mich auf eine Tour vorbereite, denke ich nicht an ihn, sondern daran, wie ich mich verbessern kann." Genau darauf wolle er sich auch bei den nächsten Kräftemessen am Grand Colombier am Freitag und in den Alpen konzentrieren. Aber genau in den Bereichen, in denen ihm Vorteile zugesprochen worden waren, hatte Vingegaard bisher keine. Bergauf wirkt er nicht unantastbar wie 2022. Davon, dass Pogačar bis kurz vor der Tour mit den Folgen eines im April erlittenen Kahnbeinbruchs zu kämpfen hatte, ist auch nichts zu merken.

Schlecks Eindruck

Den TV-Quoten kommt zu gute, dass die Kontrahenten so unterschiedliche Typen sind. "Ich kann mich nicht erinnern, als Favoriten schon einmal zwei so verschiedene Charaktere gesehen zu haben", sagte der frühere Tour-Sieger Andy Schleck in der L’Èquipe: "Tadej hat immer Spaß, macht Witze, spricht viel. Jonas ist total scheu, spricht kaum und strahlt eine gewisse Arroganz aus." Vingegaard ließ ausrichten, dass ihn die Ansichten des Luxemburgers nicht im Geringsten interessieren.

Im Rest des Feldes macht sich abgesehen davon keiner auch nur die geringste Hoffnung, aus dem Streit an der Spitze gleichsam als lachender Dritter ins Gelbe schlüpfen zu können. Der Australier Jai Hindley, der es für Bora zumindest einen Tag lang trug, brachte es auf den Punkt: "Die beiden sind einfach in ihrer eigenen Liga." (Sigi Lützow, 11.7.2023)