Türkischer Präsident Erdoğan (links) schüttelt dem schwedischen Ministerpräsidenten Ulf Kristersson (rechts) die Hand, während Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zusieht
Stoltenberg (mitte) sagte am Freitag bei der Ankündigung des Treffens mit Erdoğan (links) und Kristersson (rechts), dass er auf ein Ende der türkischen Blockade setze.
AP/Yves Herman

Istanbul – Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat nach Angaben von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg seine Blockade des Bündnisbeitritts von Schweden aufgegeben. Erdoğan habe bei einem Treffen mit dem schwedischen Premier Ulf Kristersson zugestimmt, das Beitrittsprotokoll so bald wie möglich dem türkischen Parlament vorzulegen, sagte Stoltenberg am Montagabend in Vilnius. Kristersson sprach von einem "sehr großen Schritt" seines Landes in Richtung Nato-Mitgliedschaft.

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Der schwedische Premier betonte zugleich, dass sein Land keine weiteren Verpflichtungen eingegangen sei, sondern lediglich die volle Erfüllung des beim Nato-Gipfel im Vorjahr mit der Türkei und Finnland beschlossenen Abkommens zugesagt habe. US-Präsident Joe Biden begrüßte die Einigung und kündigte an, Erdoğan am Dienstag beim Gipfel bilateral treffen zu wollen.

Erdoğan hatte wenige Stunden zuvor eine überraschende zusätzliche Forderung gemacht. Vor dem Abflug zum Nato-Gipfel sagte Erdoğan am Montag in Istanbul an die EU-Länder gerichtet: "Ebnet zunächst den Weg der Türkei in die Europäische Union, danach ebnen wir den Weg für Schweden, so wie wir ihn für Finnland geebnet haben."

Stoltenberg: "historischer Schritt"

In Vilnius kam der türkische Präsident dann nicht nur mit Stoltenberg und Kristersson zusammen, sondern auch mit EU-Ratspräsident Charles Michel. Dieser teilte daraufhin mit, die Beziehungen mit der Türkei beleben zu wollen. Er habe mit Erdoğan "Möglichkeiten erörtert, die Zusammenarbeit der EU und der Türkei in den Vordergrund zu rücken und unsere Beziehungen wieder in Schwung zu bringen", schrieb Michel.

Stoltenberg veröffentlichte auf Twitter ein Foto, das ihn beim gemeinsamen Händedruck mit Erdoğan und Kristersson zeigt und schrieb von einem "historischen Schritt, der alle Nato-Verbündeten stärker und sicherer macht". Bei der Pressekonferenz wich der Norweger jedoch der Frage aus, wann der Beitritt Schwedens vollzogen sein könnte. Er wiederholte nur, dass es eine klare Zusicherung gebe, die Ratifikationsdokumente dem Parlament zuzuleiten.

Neben der türkischen ist auch die ungarische Ratifizierung des Nato-Beitritts ausständig. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán hatte erst am Freitag bei einem Besuch in Wien betont, dass seine Regierung den Nato-Beitritt Schwedens unterstütze. Das von Orbáns rechtsnationaler Fidesz kontrollierte Parlament hatte die Ratifizierung der Beitrittsurkunde zuvor aber nicht auf die Tagesordnung der letzten Sitzung vor der Sommerpause gesetzt.

Vorgehen gegen PKK

Schweden und Finnland hatten im Mai 2022 unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine die Mitgliedschaft in der Nato beantragt. Finnland ist bereits Anfang April zum 31. Mitglied des Bündnisses geworden.

Die türkische Führung blockiert den schwedischen Beitritt seit gut einem Jahr. Sie verweist darauf, dass das skandinavische Land nicht ausreichend gegen "Terrororganisationen" vorgehe - dabei geht es ihr vor allem um die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK. Dass Ende Juni erstmals seit Monaten wieder ein Koran bei einer Demonstration in Stockholm angezündet worden war, belastete das Verhältnis zu Ankara zuletzt zusätzlich.

Stoltenberg hatte am Freitag bei der Ankündigung des Treffens mit Erdoğan und Kristersson deutlich gemacht, dass er auf ein Ende der türkischen Blockade setze. Alle weiteren Verzögerungen würden nur von der PKK und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin willkommen geheißen, sagte er. Am Montag blieb er vor dem Treffen trotz Erdogans Vorstoß zum Thema EU-Mitgliedschaft weiter optimistisch und sprach von einer möglichen "positiven Entscheidung".

Orbán in "ständigem Kontakt" mit Stoltenberg

In Stockholm hatte man lange Zeit das Ziel ausgegeben, die türkische Blockade bis zum Gipfel in Vilnius lösen zu wollen. Wann genau es nach Erdoğan positivem Signal nun so weit ist, ist noch offen. Die nächste Sitzung des türkischen Parlaments ist für Dienstag angesetzt, womit es zumindest theoretisch seine Zustimmung während des Gipfels geben könnte. Wenn dann auch das ungarische Parlament zügig ratifiziert, dann könnte Schweden schon bald offiziell 32. Mitglied der Nato werden.

Orbán hatte diesbezüglich auf eine Frage der APA bei seinem Besuch in Wien gesagt, er sei "in ständigem Kontakt" mit Stoltenberg und der Türkei. "Wenn wir etwas zu tun haben, werden wir handeln. Die ungarische Regierung zögert die Entscheidungen nicht hinaus", betonte er.

Unklar ist, ob Erdoğan durch Michels Aussagen in seinen EU-Forderungen zufrieden gestellt werden konnte. Für diese hatte er umgehend Absagen kassiert. Neben der deutschen Regierung sprachen sich auch die USA - seit Jahren Unterstützer der türkischen EU-Ambitionen - gegen ein Junktim mit dem schwedischen Nato-Beitritt aus. Österreich bekräftigte sein Nein zu einer türkischen EU-Mitgliedschaft. "Die österreichische Position zu einem türkischen EU-Beitritt ist hinlänglich bekannt und hat sich auch nicht verändert", teilte das Außenministerium der APA am Montagnachmittag auf Anfrage mit. Scharfe Kritik kam von SPÖ und FPÖ, die Erdoğan Erpressung vorwarfen. (APA, red, 10.7.2023)