Das Rätselraten über den Verbleib hochrangiger Politiker hat in China eine gute Tradition. In autoritären Systemen mit wenig Transparenz der politischen Klasse sind die Bürger und Bürgerinnen auf das Interpretieren von modernen "Rauchzeichen" angewiesen. Als der chinesische Präsident Xi Jinping Ende September 2022 für einige Tage nicht gesehen wurde, machten sogar Putschgerüchte kurz die Runde. Dieses Mal ist es der chinesischen Außenministern Qin Gang, über dessen Absenz spekuliert wird.

Der nämlich ward seit dem 25. Juni nicht mehr gesehen. Am vergangenen Freitag hätte Qin eigentlich in Peking Josep Borrell, den EU-Beauftragen für Außenpolitik, treffen sollen. Dazu kam es nicht. Die chinesische Regierung sagte das Treffen zwei Tage vorher ab.

Auch Qins Teilnahme an dem am Donnerstag startenden Treffen der Asean-Staaten in Indonesien ließ das chinesische Außenministerium nun absagen. Dort hätte Qin auf seine Amtskollegen Antony Blinken aus den USA und Sergej Lawrow aus Russland treffen sollen. Es wäre das erste Zusammentreffen der drei Außenminister dieser Art. Das chinesische Außenministerium sprach von "gesundheitlichen Gründen". Im Netz wurde über eine Covid-Erkrankung spekuliert. Das allerdings scheint unwahrscheinlich, denn demnach wäre der Außenminister seit über zwei Wochen schwer krank.

Seit Ende 2022 im Amt

Qin hatte im Dezember nach einer Kabinettsumbildung das Amt des Außenministers übernommen. Der 57-Jährige war zuvor Botschafter in den USA gewesen. Viele hatten sich von der Berufung Qins eine Verbesserung der chinesisch-amerikanischen Beziehungen erhofft. Dazu ist es bisher aber nicht gekommen. Die beiden größten Volkswirtschaften der Welt liefern sich gerade einen Wirtschaftskrieg um Halbleiter und seltene Erden. Die Beziehungen leiden zudem unter dem Ukraine-Konflikt. Die USA beschuldigen Peking, nicht klar Stellung zu beziehen und Russland insgeheim zu unterstützen. Dass Qin Gang ausgerechnet jetzt ausfällt, ist so gesehen nicht gerade einer Entspannung zuträglich. Immerhin aber war US-Finanzministerin Janet Yellen vergangene Woche in Peking gewesen und hatte über die wirtschaftlichen Beziehungen debattiert.

In die Lücke springt nun Chinas Chefdiplomat und Amtsvorgänger Wang Yi. Wang ist der außenpolitische Beauftragte der Kommunistischen Partei Chinas und steht in der Hierarchie über seinem Nachfolger Qin. Der hatte in den vergangenen Tagen bereits eigentlich für Qin geplante Termine mit Amtskollegen aus Laos und Gabun wahrgenommen.

Ob wirklich gesundheitliche Gründe hinter Qin Gangs Abwesenheit stecken, weiß niemand. Die Wirkmechanismen im Inneren des Parteiapparats sind Außenstehenden verborgen. Da in China wichtige Persönlichkeiten immer wieder für einige Zeit "verschwinden", sprießen schnell Gerüchte. Der prominenteste Fall ist Alibaba-Gründer Jack Ma. Nach einer Rede, in der er das chinesische Bankensystem scharf kritisiert hatte, "verschwand" der Multimilliardär für mehrere Monate. Als er wieder auftauchte, gab er sich geläutert und zog sich aus der Führung des Konzerns völlig zurück. (Philipp Mattheis, 11.7.2023)