Im Süden nichts Neues. Die extremistische Al-Shabab-Miliz überfällt in der somalischen Region Lower Shabelle Ende Mai ein Lager der afrikanischen Friedensmission Atmis und tötet 54 ugandische Soldaten. Wenige Tage später greifen die islamistischen Kämpfer einen Stützpunkt der somalischen Armee in der Region Galguduud an und bringen nach eigenen Angaben 149 Soldaten um.

Soldaten der Mission Atmis in Mogadischu. Bis Ende 2024 werden sie das Land verlassen.
APA/AFP/MUSTAFA ABDI

Wieder ein paar Tage später stürmen die Al-Kaida-Verbündeten ein Lager äthiopischer Truppen in der Grenzstadt Doolow: Dort sollen mehr als 200 Soldaten aus dem Nachbarland getötet oder verwundet worden sein. Zwischendurch schlagen Al-Schabab-Kommandos auch mehrmals in der Hauptstadt Mogadischu zu. Einmal stürmen sie das Pearl Beach Hotel am Lido und nehmen mehrere Gäste als Geiseln. Ein andermal jagen sie das Fahrzeug eines hochrangigen Polizeibeamten in die Luft.

EU kürzt Gelder

Die Kette an Gewalttaten der "Jungs" (al Schabab auf Arabisch) ereignete sich innerhalb eines Monats, zwischen Ende Mai und Ende Juni. Zur selben Zeit muss die afrikanische Friedensmission Atmis um 2.000 Soldaten verkleinert werden, weil die Finanziers, allen voran die Europäische Union, ihre Zuwendungen kürzen. Bislang trug die EU fast 90 Prozent der Kosten für die jährlich 300 Millionen US-Dollar teure Mission. Ende des kommenden Jahres sollen die Zahlungen ganz eingestellt werden.

Die Aussicht, dass die bald 17-jährige Mission bald vollständig abgewickelt wird, treibt manchem Somalier den Angstschweiß auf die Stirn: "Der Plan ist unbedacht und überstürzt", schimpft der Vizepräsident der Jubaland-Region, Mohamud Sayid Aden, gegenüber dem Radiosender Voice of America. "Das wird genauso schiefgehen wie in Afghanistan", ist der ehemalige Vizechef des Geheimdienstes, Abdisalam Yusuf Guled, überzeugt.

Ginge es nach den Plänen der Atmis-Kommandeure, sähe die Lage in Somalia heute anders aus. Vergangenen August setzten die Friedenssoldaten mit dem ungewöhnlich kriegerischen Mandat gemeinsam mit somalischen Truppen zu einer Offensive an: Innerhalb weniger Monate befreiten sie große Teile des somalischen Hinterlandes aus der Hand der Extremisten.

Extremisten konnten sich neu formieren

Mehr als 3.000 Extremisten sollen getötet worden sein, darunter auch einer der Gründer der Miliz, Abdullahi Yare. In einer zweiten Phase der Offensive wollten die Alliierten "die Jungs" in diesem Jahr vollends ausschalten. Doch ihr Feldzug geriet ins Stocken – unter anderem, weil die Besetzung eines neuen Atmis-Kommandeurs lange umstritten war. Die Miliz hatte Zeit, sich neu zu organisieren und selbst wieder zum Angriff überzugehen.

Werde die Mission mit einer Verkleinerung geschwächt, drohten "Jahrzehnte menschlicher und materieller Opfer" zunichte gemacht zu werden, warnt der einstige Geheimdienstoffizier Abdullahi Ali Ma'ow. Mit Verlusten von mehr als 3.500 Soldaten in ihrer bald 17-jährigen Geschichte ist die Friedensmission die tödlichste der Weltgeschichte.

Bei der Entsendung der ersten ugandischen Truppen im Jänner 2007 kontrollierten die Islamisten noch fast das gesamte Land. Das Einflussgebiet der Übergangsregierung war auf wenige Straßenzüge in Mogadischu beschränkt. In jahrelangem Häuserkampf gelang es den zunächst knapp 8.000 ugandischen und burundischen Soldaten der damals noch Amisom genannten Mission unter Aufsicht der Afrikanischen Union (AU), die Extremisten aus der Hauptstadt zu vertreiben: Im Juli 2011 mussten sich "die Jungs" aus der einstigen "Perle am Indischen Ozean" verziehen.

Auch Nachbarn schickten Soldaten

Zug um Zug nahmen die Amisom-Soldaten auch die anderen Städte des Landes ein. Allerdings blieben große Teile der ländlichen Regionen unter der Kontrolle der Islamisten, die immer wieder zu blutigen Anschlägen in den Städten auftauchten. Nach und nach schlossen sich dem Kampf gegen die Extremisten auch die Nachbarstaaten Kenia, Äthiopien und Dschibuti an, bis Amisoms Truppenstärke auf mehr als 20.000 Soldaten und 1.000 Polizisten angewachsen war.

Den Löwenanteil des Einsatzes bezahlte die EU, bislang insgesamt 2,4 Milliarden Euro. Schon seit Jahren drängen die Europäer auf eine schrittweise Abwicklung der Friedensmission, die im vergangenen Dezember mit dem Abzug von 2.000 Atmin-Soldaten beginnen sollte. Daraus wurde allerdings nichts – auch weil die beteiligten afrikanischen Regierungen für die Entsendung ihrer Soldaten bezahlt werden.

Die EU kürzte ihre Zuschüsse im Jahr 2022 bereits auf 140 Millionen Euro, bezahlt in diesem Jahr 85 Millionen und will im kommenden Jahr nur noch 33 Millionen zur Verfügung stellen. Angesichts ihres auf mehr als 50 Millionen Euro angewachsenen Schuldenbergs sah sich Atmis jetzt gezwungen, mit der Abwicklung zu beginnen: Im Juni wurden 2.000 Soldaten nach Hause geschickt, im September werden 3.000 weitere folgen.

Regierung für Ende der Mission

Somalias Regierung hat gegen ein Ende der Mission nichts einzuwenden – ihr war die Einschränkung ihrer Souveränität durch die ausländischen Hilfstruppen schon lange ein Dorn im Auge. Die von Atmis, europäischen und US-Ausbildern trainierte neue Armee des Landes werde mit den "Jungs" schon selber fertig, meint Ex-Geheimdienstchef Yasin Abdullahi Mohamud: "Es ist die richtige Zeit für die Abwicklung der Mission."

Sein Abschiedsgruß ist allerdings mit einem Vorbehalt verbunden: dass das von der Uno über Somalia verhängte Waffenembargo aufgehoben und die somalische Armee mit Finanzen aus dem Ausland augestattet wird. Also auch in dieser Hinsicht: Im Süden nichts Neues. (Johannes Dieterich, 11.7.2023)