Jens Stoltenberg hinter dem Rednerpult.
Jens Stoltenberg, Ex-Premier von Norwegen, ist seit 2014 Nato-Chef.
Reuters / Ints Kalnins

Hätte die Welt sich gedreht, wie Jens Stoltenberg es sich wünschte, wäre er am Dienstag wohl in der norwegischen Zentralbank gesessen. Der 64-jährige studierte Wirtschaftswissenschafter und gelernte Diplomat wurde von der Regierung in Oslo bereits im Dezember 2021 zu deren Präsident ernannt.

Das ist im Vergleich mit dem Job eines Nato-Generalsekretärs ein gemütlicher, gutbezahlter Posten. Aber der Norweger kann vorläufig nicht weg aus Brüssel, wo er seit 2014 als Chefmanager des stärksten Militärbündnisses der Welt tätig ist.

Schuld daran ist Wladimir Putin, der im Februar 2022 einen Eroberungskrieg gegen die Ukraine begonnen hat. Ab da galt Stoltenberg im Weißen Haus in Washington und in Europas Regierungszentralen als unabkömmlich.

Seine Amtszeit wurde um ein Jahr verlängert, erst vor ein paar Wochen erneut. Deshalb "musste" Stoltenberg am Dienstag im Kongresszentrum von Vilnius den 36. Nato-Gipfel auf Ebene der Staats- und Regierungschefs eröffnen – ein historisches Treffen. Mit dem Beitritt von Schweden wird die Norderweiterung der Allianz vollendet, die Neutralität rund um die Ostsee beendet.

"Maschinist" im westlichen Bündnis

Die Nato setzt wegen der russischen Aggression in der Ukraine nun Pläne zu starker Remilitarisierung und Verteidigung in Osteuropa um. Und schließlich reiste auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zum Nato-Gipfel in Vilnius an. Es wird über Militärhilfe der Nato-Staaten geredet, über eine Beitrittsperspektive, über einen Nato-Ukraine-Rat.

Dazu hat Stoltenberg viel beigetragen. Vilnius markiert wohl den Höhepunkt seiner Karriere. Als "Maschinist" im Bündnis sorgte er dafür, dass der freie demokratische Westen zusammenhält, Freiheit und Demokratie verteidigt werden.

Der Vater zweier Kinder, mit einer Diplomatin verheiratet, gilt wegen seiner ruhigen, sachlichen Art als einer der exzellentesten Verhandler. Als langjähriger Premierminister von Norwegen, der auch Finanzminister war, ist er ausgesprochen erfahren. Wegen seiner besonnenen Reaktion auf den Amoklauf eines Rechtsradikalen im Ferienlager auf Utøya, wo 2011 69 Menschen starben, wurde er legendär.

Politik war ihm von Kindheit an vertraut, stammt er doch aus einer prominenten Politikergroßfamilie. Sein Vater Thorvald war Verteidigungsminister. Schon als Bub saß er dabei, wenn hochrangige Gäste zum Kaffee kamen. Beim Nato-Gipfel sitzt er ganz vorn, neben US-Präsident Joe Biden. (Thomas Mayer, 11.7.2023)