Arm- und Handprothesen, die sich über noch vorhandene Restmuskeln und Nervenbahnen steuern lassen, sind mittlerweile weitverbreitet. Wenn die Amputation allerdings den ganzen Unterarm und den Arm über den Ellbogen hinaus umfasst, wird es schwierig. Denn im Normalfall stehen zu wenige Muskelstränge zur Verfügung, um den künstlichen Arm und die Hand feinmotorisch zu bedienen, also etwa einzelne Finger zu bewegen oder multiple Griffe durchzuführen.

Bionische Hand hält einen Ball.
Bei einem 51-Jährigen wurde die Prothese bereits erprobt, der Prozess wurde wissenschaftlich begleitet.
Zbinden et al., Sci. Trans. Med., 2023./Chalmers University of Technology/Anna-Lena Lundqvist

Ein Forschungsteam, angeführt vom Bioniker Max Ortiz Catalan von der Chalmers University of Technology in Schweden, verspricht mit einem neuartigen Ansatz nun Abhilfe. Wie bei bestehenden Lösungen wird die Prothese myoelektrisch gesteuert. Um solche bionischen Arme und Hände zu bedienen, sind Elektroden in der Prothese verbaut, die die Kontraktion der im Stumpf noch vorhandenen Muskeln erfassen und in definierte Hand- oder Fingerbewegungen übersetzen können. Damit die Feinmotorik aber auch bei weiter oben am Arm amputierten Menschen funktioniert, sind einige Kniffe notwendig.

Implantate und Transplantationen

Um die fehlenden Muskelstränge auszugleichen, die für eine differenzierte Steuerung notwendig sind, wird zunächst das durch die Amputation entstandene, verdichtete Nervengewebe entfernt. Die verbleibenden Nervenstränge werden in mehrere Nervenbündel, sogenannte Faszikel, aufgeteilt. Einzelne Faszikel werden zu verbleibenden Muskeln im Stumpf verlegt. Die auf diese Art wieder mit elektrischen Impulsen versorgten Muskeln werden mit Elektroden ausgestattet, die ins Bindegewebe oder direkt in den Muskel implantiert werden.

Die bionische Hand im Alltag
Der 51-jährige Mann zeigt, wie sich alle Finger einzeln und simultan bewegen lassen.
Center for Bionics and Pain Research

In einem weiteren Schritt werden die noch ungenutzten Nervenbündel mit Muskeltransplantaten verbunden und ebenfalls mit Elektroden ausgestattet. Weitere Elektroden werden in unbehandelte Muskelmasse sowie direkt am Nervenbündel platziert. Über die direkt im Knochen implantierte Aufhängung, an der die Prothese befestigt wird, laufen die Signale aller Elektroden zusammen. Für die Übersetzung in Greif- und Drehbewegungen kommt künstliche Intelligenz (KI) und maschinenbasiertes Lernen zum Einsatz.

Das Besondere an der Lösung, die bereits an Testpersonen erprobt und im Journal "Science Translational Medicine" vorgestellt wurde, ist, dass die Verwendung einzelner Finger intuitiv möglich sein soll. Die Betroffenen müssen sich folglich nur die Bewegung vorstellen, damit die Prothese reagiert. Durch den verbauten Sensor bekommen die Personen auch ein taktiles Feedback, wenn sie ein Objekt oder eine Oberfläche berühren. Der Signalweg funktioniert folglich in beide Richtungen.

Papier greifen, Glas einschenken

Definitiv geklappt hat das bei einem 51-Jährigen, bei dem die mehrfachen Eingriffe in einem Zeitraum von 15 Monaten durchgeführt wurde. In mehreren Videos demonstriert er, wie sich einzelne Finger bewegen lassen und er mit der speziellen Prothese Objekte greifen, aufheben und benutzen kann. Neben dem Einschenken eines Wassergefäßes kann er auch ein Blatt Papier aufheben und umdrehen, was eine simultane Kontrolle von Daumen und Zeigefinger sowie eine Armdrehung beinhaltet. Auch die Verwendung eines Schraubenziehers gelingt dem Mann.

Intuitive Kontrolle von Handbewegungen
Wie das Implantat funktioniert, veranschaulicht das Video der Forschenden.
Center for Bionics and Pain Research

Um herauszufinden, ob die Vorgangsweise tatsächlich zum erwünschten Erfolg führt, wurde der Mann zwei Jahre lang im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie begleitet. In regelmäßigen Abständen wurde gemessen, ob die Aufteilung der Nervenbündel und deren Verknüpfung mit bestehenden und transplantierten Muskeln funktioniert und zu messbaren myoelektrischen Signalen an den Elektroden führt. Während das bei noch vorhandenen Restmuskeln bereits kurz nach dem Eingriff der Fall war, klappte es nach fünf beziehungsweise elf Monaten auch bei den Muskeltransplantaten.

Chirurg kein Unbekannter

Der komplexe neuromuskuläre Eingriff fand unter der Leitung von Paolo Sassu am Sahlgrenska University Hospital in Schweden statt. Sassu ist kein Unbekannter, was spektakuläre Operationen betrifft. So führte er in Skandinavien auch die erste komplette Transplantation einer Hand durch. Durch die Kombination von neuesten mikrooperativen Techniken und hochentwickelten Sensorenimplantaten seien Prothesen mit einzeln beweglichen Fingern und sensorischem Feedback möglich. "Patienten und Patientinnen, die eine Armamputation erleiden mussten, könnten nun in eine hoffnungsvollere Zukunft blicken", kommentierte Sassu die Innovation. (Martin Stepanek, 13.7.2023)