Eigentlich hätte dieser Donnerstag für Pita Limjaroenrat der bisherige Höhepunkt seiner politischen Karriere werden sollen. Der 42-jährige Chef der thailändischen Move Forward Party (MFP) konnte am 14. Mai vollkommen überraschend die meisten Stimmen bei der Parlamentswahl in Thailand auf sich vereinen. 38 Prozent der Wähler und Wählerinnen stimmten für die progressive MFP, sie landete deutlich vor der zweitplatzierten – ebenfalls oppositionellen – Pheu Thai mit 29 Prozent. Weit abgeschlagen kam die regierende UTN von Ex-General Prayut Chan-ocha auf nur 12,5 Prozent.

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Pita Limjaroenrat war im Mai der Überraschungssieger der Parlamentswahl in Thailand.
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Schon im Vorfeld hatten viele mit einem Wahlsieg der Opposition gerechnet, hatte sich in Thailand doch eine tiefe Unzufriedenheit über den regierenden Ex-General breitgemacht. Prayut war schon satte neun Jahre an der Macht. Die meisten Analysten setzten aber auf die oppositionelle Pheu Thai, die mächtige Politbonzen hinter sich stehen hat. Dass die MFP das Rennen machte, überraschte alle – nicht zuletzt wohl auch die jungen Progressiven selbst.

Die MFP gilt als Partei, die deutlich mit dem bisherigen Politsystem bricht. Es sind vor allem junge Wähler und Wählerinnen, die sich von "Move Forward" repräsentiert fühlen. Viele von ihnen nahmen an den großen Protesten im Spätsommer 2021 teil. Getrieben von der Covid-Krise und dem damit einhergehenden Wirtschaftseinbruch – Thailand ist stark vom Tourismus abhängig – brach damals an vielen Orten Unmut über das regierende System aus: Vor allem forderten junge Demonstranten und Demonstrantinnen erstmals eine Überarbeitung des Majestätsparagrafen. In Thailand wird Majestätsbeleidigung nämlich streng geahndet. Wer den König beleidigt, kann bis zu 15 Jahre ins Gefängnis kommen.

Widerstand vor der Wahl zum Premier

Es ist jene politische Linie, auf der der Erfolg der MFP aufbaut. Doch wie sich gleich nach den Wahlen im Mai zeigte, würden die politischen Gegner die Manege nicht so schnell übergeben: Am Donnerstag soll im Parlament die wichtige Wahl zum Regierungschef über die Bühne gehen. Ob es tatsächlich dazu kommt, dass Pita gewählt wird, ist äußerst fraglich. Diverse Faktoren machen es Pita nämlich schwer, tatsächlich an die Macht zu kommen.

Da ist zum einen die thailändische Verfassung mit den reservierten Sitzen für das Militär: Pita müsste die Mehrheit des 500-sitzigen Unterhauses und des Senats mit 250 Sitzen erhalten. Der Senat ist durch das Militär beschickt, und dieses ist naturgemäß äußerst MFP-kritisch. Ein Teil der Kritik von MFP richtet sich gegen Prayut selbst, der sich 2014 an die Macht geputscht hatte. 2019 konnte er sich bei Wahlen schließlich im Amt bestätigen. Allerdings kritisierten internationale Beobachter die Wahlen damals übereinstimmend als nicht fair. Bisher hat Pita die Unterstützung von 312 Abgeordneten. 376 sind allerdings notwendig.

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Noch-Premier und Ex-General Prayut Chan-ocha gab am Dienstag bekannt, dass er sich aus der Politik zurückziehen will.
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Gegenkandidaten wird es am Donnerstag wohl keinen geben. Aber nicht nur das Militär, auch andere haben bereits öffentlich bekanntgegeben, die MFP nicht zu unterstützen – eben wegen der Causa Majestätsbeleidigung.

Am Mittwoch kam der nächste Rückschlag: Bevor es überhaupt zur Wahl kommt, könnte Pita gar als Abgeordneter suspendiert werden. Die Wahlkommission hat am Mittwoch formal der Bitte stattgegeben, beim Verfassungsgericht Pitas sofortige Suspendierung anzufragen. Hintergrund dazu sind gleich zwei Beschwerden gegen den (Noch-)Oppositionsführer.

Da sind zum einen Ermittlungen über angebliche Aktienanteile an einem Medienunternehmen, die Pita während seiner Kandidatur besessen haben soll. Zum anderen wird ihm vorgeworfen, dass er mit dem Plan, das Gesetz zur Majestätsbeleidigung zu reformieren, versucht hätte, "das demokratische Regierungsregime mit dem König als Staatschef zu stürzen". Das dementiert er. Ob die Entscheidung der Wahlkommission Pita davon abhält, sich morgen im Parlament der Wahl zu stellen, blieb bisher offen. Er selbst gab, an, die Entscheidung sei "unfair" und "überstürzt": "Einen Tag vor der Wahl zum Regierungschef sollte das nicht passieren."

Demos in Bangkok angekündigt

Noch für Mittwochabend haben MFP-Unterstützer Demos in Bangkok angekündigt. "Es muss Vergeltung für den Versuch geben, die Demokratie zu zerstören", sagte ein prominenter Protestführer. "Wie auch immer es ausgeht, lasst alle wissen, dass der Kampf begonnen hat."

Noch-Regierungschef Prayut hat wiederum am Dienstag bekanntgegeben, sich überhaupt aus der Politik zurückzuziehen. Allerdings fügte er hinzu, dass er bleiben werde, bis es eine neue Regierung gibt.

Wie diese aussehen wird, ist somit völlig unklar. Allerdings wird sie so oder so nicht nur für Thailand wegweisend sein. Thailand hat sich unter Prayut immer mehr zum regionalen Hardliner entwickelt. In Myanmar nahm sich die Junta, die sich im Februar 2021 zurück an die Macht putschte, ein Vorbild am semidemokratischen System Thailands; gegen Flüchtlinge aus Myanmar ging man in Thailand zunehmend hart vor.

Gleichzeitig galt Thailand somit als umstrittener Brückenbauer zum kriegsgebeutelten Nachbarland. So war es der thailändische Außenminister Don Pramudwinai, der sich jüngst nach eigenen Angaben mit Myanmars entmachteter De-facto-Regierungschefin, der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, getroffen hat. Die 78-Jährige wurde bei einem Schauprozess zu mehreren Jahren Haft verurteilt, Treffen mit ausländischen Regierungsvertretern sind sonst quasi unterbunden. (Anna Sawerthal, 12.7.2023)