In Österreich werden immer noch riesige Flächen an fruchtbarem Boden täglich versiegelt. Tag für Tag werden elf Hektar verbaut, das entspricht 16 Fußballfeldern. Das führt zu massiven Problemen, denn Äcker werden natürlich für die Ernährungssicherheit der Bevölkerung gebraucht. Der Flächenfraß beschleunigt auch den Klimawandel, weil fruchtbarer Boden neben Wasser auch CO2 speichert. Ist Boden erst einmal versiegelt, wird er auch bei Renaturierungsbemühungen für lange Zeit nicht mehr so, wie er einst war.

Die türkis-grüne Regierung hat sich auf eine neue Bodenschutzstrategie bisher nicht einigen können. Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) sagte am Donnerstag zu Ö1, man wolle mit dem Koalitionspartner im Herbst einen neuen, diesmal erfolgreichen Anlauf starten.

Am Donnerstag traten deshalb Wissenschafterinnen und Wissenschafter an die Öffentlichkeit, um eine schlagkräftige Bodenpolitik einzufordern. Martin Gerzabek von der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien sprach auf Einladung der Wissenschaftsplattform Diskurs und der Scientists for Future über die verschärfte Ernährungssituation angesichts von Pandemie und Ukrainekrieg. 

Durch die Pandemie sei die globale Unterernährung stark angestiegen, der Ukrainekrieg habe die Situation noch einmal verschärft. Auch Österreich könne sich mit vielen Lebensmitteln nicht mehr selbst versorgen. Während Getreide und Erdäpfel bei über 90 Prozent des Selbstversorgungsgrads einnehmen, pendeln sich Gemüse bei 58 und Obst bei 48 Prozent ein. Pflanzlichen Öle liegen bei nur 25 Prozent.

Weniger Ernte im Osten

Der Klimawandel verschärft die Lage zusehends. Einer Studie im Rahmen des Projekts Beat über Boden und Landwirtschaft zufolge könnte die Ertragsfähigkeit der Böden bis 2065 klimabedingt in ganz Österreich um durchschnittlich 19 Prozent abnehmen, sagt Gerzabek. Mit einer weitaus dramatischeren Entwicklung rechnet er im Osten Österreichs. Aufgrund zunehmender Trockenheit werde ein Rückgang an Bodenfruchtbarkeit um 48 Prozent bis 2065 im niederösterreichischen Flach- und Hügelland prognostiziert. Auch im Kärntner Becken ist mit 30 Prozent weniger Ertragsfähigkeit zu rechnen. Der Versorgungsgrad für Weizen würde damit von 94 auf 64 Prozent sinken. Der Westen, konkret Hochalpen und Voralpen, könnte hingegen sogar Ackergebiete gewinnen.

Ausgetrockneter Boden
Eine Studie prognostiziert Österreichs Landwirten im Jahr 2065 bis zu 19 Prozent weniger Erträge.
APA/HELMUT FOHRINGER

Auch die Möglichkeiten für Importe werden weniger. Gerzabek präsentiert eine weitere Erhebung, der zufolge neben Europa auch Südamerika und Afrika bis 2100 an nutzbaren Bodenflächen einbüßen werden. Die Getreideanbaufläche werde sich gen Norden verlagern, da dort die Permafrostböden auftauen und der Boden somit nutzbar wird. Während Europa an Böden verliert, erwartet Gerzabek einen Zuwachs von rund 50 Prozent an nutzbaren Bodenflächen in Russland und rund 30 Prozent in China. "Man kann sich vorstellen, wer dann das Sagen haben wird", sagt Gerzabek.

Der Wissenschafter ist überzeugt, dass Landwirtschaft neu gedacht und neue Kulturarten etabliert werden müssen. Fruchtbare Böden müssten zudem vorrangig für landwirtschaftliche Zwecke genutzt werden. Er fordert dringend Strategien, um der stetigen Bodenversiegelung Einhalt zu gebieten.

Rechtliche Vorgaben

Auch laut der Juristin Leonore Theuer brauche es verbindliche Ziele mit Obergrenzen, was den Bodenverbrauch betrifft. Die Bodenschutzstrategie auf EU-Ebene sieht bis 2050 eine Netto-Null im Bodenverbrach vor, dann müssen sich Verbrauch und Renaturierung ausgleichen. Die Mitgliedstaaten müssen die Zielvorgaben bis 2030 festlegen.

Theuer ist Mitglied von Scientists for Future und fordert, den Bodenverbrauch bis 2030 auf 2,5 Hektar pro Tag zu limitieren. Diese Begrenzung sei bereits im Regierungsprogramm im Jahr 2002 vorgesehen gewesen. Sie kritisiert, dass sich in Österreich Bund, Länder und Gemeinden die Zuständigkeit im Bodenschutz teilen. Dass der Bund etwa für Autobahnen, die Länder etwa für Naturschutz sowie Baurecht und die Gemeinden für Flächenwidmung zuständig sind, führe zu mangelnder Kooperation. Außerdem würden häufig örtliche vor überregionale Interessen gestellt.

Als notwendige rechtliche Maßnahmen fordert Theuer, etwa die Umwidmung in Bauland zu beschränken und in den Gemeinden Siedlungsgrenzen in Ortskernen einzuziehen; sie schlägt außerdem eine Aufstockungspflicht und finanzielle Maßnahmen wie eine Versiegelungsabgabe oder Entsiegelungsprämie vor. Auch die Wohnbauförderung sei nachhaltiger zu gestalten. (Julia Beirer, Lukas Kapeller, 13.07.2023)