Karl Nehammer
Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) greift FPÖ-Chef Herbert Kickl scharf an. Nur: Wie glaubhaft ist das?
APA/Georg Hochmuth

Was wir in diesen Wochen erleben dürfen, ist der originellste Versuch einer Koalitionsanbahnung zwischen Türkis und Blau seit Jahrzehnten, und davon gab es einige, die als skurril in Erinnerung geblieben sind. Er übertrifft an Verlogenheit und Heuchelei alles, was sich abspielte, als diese Koalitionen ihr klägliches Ende fanden. Die beiden Hauptdarsteller dieses Rührstücks entzweit nur die Kleinigkeit eines (Volks-)Kanzleranspruchs, aber es verbindet sie auf das Engste der Kampf gegen alles, was in diesem Land nicht normal denkt.

Nach dem Gezappel des noch amtierenden Kanzlers in der ZiB 2 von Mittwoch möchte man bei ihm nicht in die Rhetoriklehre gegangen sein. Sein Versuch, den FPÖ-Chef als außenpolitisches Sicherheitsrisiko zu brandmarken, ist zu offensichtlich von dem Bedürfnis geleitet, einen lästigen Konkurrenten um den Job loszuwerden, aber sich seinen Anhang für eine Koalition warmzuhalten. Ohne Kickl alles paletti! Man muss schon sehr verzweifelt und/oder sehr ratlos sein, zu glauben, die FPÖ würde um Nehammers willen von einem Obmann abfallen, der ihnen mit seiner unappetitlichen Politik Zugang zu Landesämtern und Wonnen verschafft, die ihnen so lange verschlossen waren.

Sicherheitsrisiko

Wer den immerwährenden Alu-Hut aufhat, braucht keinen Sky Shield. Freiwillig schutzlos will er die eigenen Landsleute feindlichen Raketen und Drohnen ausliefern, schwärmt die Verteidigungsministerin in höchstem Gruselfalsett von der Gefahr, die von diesem – sprechen wir doch aus, was gemeint ist – Vaterlandsverräter ausgeht. Und von der neu entdeckten Möglichkeit, dramatisch vom eigenen Unvermögen abzulenken.

Dass Kickl seit Jahren ein innenpolitisches, die Demokratie gefährdendes Sicherheitsrisiko darstellt, hat die Türkisen hingegen weniger gestört. Die tröpferlweise abgesonderten Bekenntnisse diverser Regierungsmitglieder, unter einem Kanzler Kickl nicht dienen zu wollen, machen die ÖVP insgesamt nicht glaubwürdiger, wenn gleichzeitig ihre Landeshauptleute dessen Gefolgsleute umarmen, vor denen ihnen bis auf den Tag davor gar so gegraust hat. Der Wille zu Schwarz-Blau überwindet die stärkste persönliche Abneigung, auf beiden Seiten. Freiheitliche Männlichkeit nimmt dafür sogar die doppelte Schmach auf sich, als Fraustellvertreter mitregieren zu müssen.

Mit seiner Charakterisierung Kickls hat Nehammer in Erinnerung gerufen, welch ein Sicherheitsrisiko innenpolitischer Natur die ÖVP selber darstellt. Aus ihren Reihen kam zuletzt die Idee, die Bevölkerung in normaldenkende Wesen und eben andere zu separieren, wobei sich die von Frau Mikl-Leitner angelegten Entscheidungskriterien an Wissenschaftlichkeit oder wenigstens Plausibilität in nichts unterscheiden von solchen, wie sie hierzulande schon einmal angelegt wurden, wenn es galt, Sündenböcke zu finden, auf die man berechtigten Zorn von sich ablenken konnte. Zu preisen ist in diesem Fall Werner Kogler, der sich vom Beschwichtigungslarifari nicht einlullen ließ, sondern den Finger dorthin legte, wo die geistige Leere am Dampfen ist: Präfaschistoid nannte er den Austronormalismus aus St. Pölten.

So weit sind die Normalitätskriterien unserer Präfaschistoiden und Postfaschistoiden nicht auseinander, dass keine Koalition möglich wäre. Kickl hin oder her. (Günter Traxler, 14.7.2023)