Flüchtlinge aus Darfur rund um ein Pferdefuhrwerk mit Decken und anderen Habseligkeiten.
Flüchtlinge aus Darfur in der Grenzregion zwischen Sudan und dem Tschad.
REUTERS/ZOHRA BENSEMRA

Nach Berichten über schwere Menschenrechtsverbrechen und die Existenz von Massengräbern in Darfur hat der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag (IStGH) jetzt die Aufnahme neuer Ermittlungen über die jüngsten Ereignisse in den berüchtigten sudanesischen Unruheprovinzen bekannt gegeben. In einem Schreiben an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen teilte der Chefankläger der Strafbehörde, Karim Khan, mit, sein Büro verfolge die "außergerichtlichen Hinrichtungen", das "Anzünden von Häusern und Märkten" sowie die "Plünderungen" in el Geneina, der Hauptstadt der Provinz West-Darfur, genauso aufmerksam wie "die Tötungen und Vertreibungen von Zivilisten" in der Provinz Nord-Darfur.

Er habe die Anwälte seines Büros angewiesen, besonderes Augenmerk auf Verbrechen gegen Kinder und Frauen zu richten, heißt es in dem Schreiben weiter. Außerdem bezögen sich die Ermittlungen nicht nur auf Akteure aus den Provinzen, sondern auch auf Personen im Ausland, die an den Verbrechen beteiligt seien oder sie unterstützten. Die Gewalttäter müssten sich bewusst sein, dass sie für ihre Taten zur Verantwortung gezogen werden, sagte Khan.

Erschütternde Berichte

In den vergangenen Tagen hatten die Vereinigten Nationen, Menschenrechtsorganisationen und Journalisten über Hinweise auf die Existenz von Massengräbern in West-Darfur berichtet. Am 20. und 21. Juni habe ein Lastwagen an einem Ort in der Nähe el Geneinas insgesamt 87 Tote in eine flache Grube abgeladen, teilte das Genfer UN-Menschenrechtskommissariat mit. Das Fahrzeug sei im Auftrag der Miliz "Rapid Support Forces" (RSF) unterwegs gewesen, die seit vier Monaten in schwere Gefechte mit den sudanesischen Streitkräften verwickelt sind. In Darfur gelten die Angriffe der RSF allerdings nicht den Regierungssoldaten, sondern vor allem Angehörigen des "afrikanischen" Volks der Massalit, denen die "arabische" RSF-Miliz bereits seit zwei Jahrzehnten feindlich gegenübersteht. Die Miliz ging aus der Dschandschawid genannten Reitertruppe hervor, die maßgeblich an dem 2003 begonnenen Völkermord beteiligt war. Ihm fielen mehr als 300.000 vor allem afrikanisch-stämmige Sudanesinnen und Sudanesen zum Opfer.

Die Existenz des Massengrabs bei el Geneina wurde von einem Augenzeugen bestätigt, der BBC-Reportern in einem Flüchtlingslager im Tschad davon Fotos und Videos zeigte. Er sei gemeinsam mit anderen jungen Männern von RSF-Milizionären gezwungen worden, in el Geneina Leichen aufzusammeln, die dort teilweise schon seit Tagen in den Straßen gelegen hätten, sagte der Augenzeuge. Mit seinem Handy aufgenommene Fotos zeigen, wie der Lastwagen die Leichen in das Massengrab schüttete. Nach den Schilderungen der BBC-Reporter sei in einem Videoclip auch ein noch lebender Mann zu sehen gewesen, der seit acht Tagen schwer verletzt zwischen den Leichen auf der Straße gelegen habe. Der Mann habe seines ausgetrockneten Mundes und seiner aufgerissenen Lippen wegen kaum sprechen können, hieß es. Was aus ihm wurde, ist nicht bekannt. UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk äußerte sich "erschüttert" über die "kaltschnäuzige und respektlose Art" der Behandlung sowohl der Toten wie ihrer Angehörigen.

Kein neues Mandat

Ferner richteten nach Berichten der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) "mehrere Tausend" RSF-Milizionäre am 28. Mai ein Blutbad in der 45 Kilometer von el Geneina entfernten Stadt Misterei an. Dabei sollen fast 100 Angehörige des Volks der Massalit getötet worden sein. Die Angreifer hätten Häuser geplündert und das Vieh mitgenommen, bevor sie die Stadt in Flammen setzten, teilte HRW-Rechercheur Jean-Baptiste Gallopin mit. Die Ereignisse erinnerten an "den Horror, die Vernichtung und Verzweiflung", die Darfur bereits vor zwanzig Jahren erlebt habe.

Nach den Worten des Chefanklägers Karim Khan braucht der Haager Gerichtshof für seine Ermittlungen kein neues Mandat des Sicherheitsrats, weil diese noch vom ursprünglichen Mandat aus dem Jahr 2005 abgedeckt seien. Die damalige Untersuchung führte zur Anklage von vier Sudanesen wegen Kriegsverbrechen und Völkermord: Neben dem Ex-Staatspräsidenten Omar al-Bashir waren das zwei seiner Minister und der Kommandant der Dchandschawid, Ali Kosheib. Bislang steht lediglich Kosheib in Den Haag vor Gericht. Al-Bashir und einer seiner ehemaligen Minister sitzen angeblich in Sudans Hauptstadt Khartum im Gefängnis, dem anderen Minister soll die Flucht gelungen sein. Eine Auslieferung der beiden Häftlinge nach Den Haag steht zumindest derzeit nicht an. (Johannes Dieterich, 14.7.2023)