Adelheid Wölfl aus Sarajevo

Seit 16 Jahren treibt er die westlichen Staaten mit Drohungen und Erpressungen vor sich her. Und bisher gingen sie immer vor ihm in die Knie. Nun hat Putins bester Mann auf dem Balkan, der völkisch denkende Sezessionist Milorad Dodik, dramatische politische und rechtliche Schritte gesetzt, um den Staat Bosnien-Herzegowina zu zerstören und den Landesteil Republika Srpska (RS) abzuspalten.

Bosnische Polizeieinheit Sipa in schwerer Bewaffnung und mit Uniformen. 
Die bosnische Sicherheitspolizei Sipa durchsuchte nach Dodiks Erlässen die Räumlichkeiten des Amtsblatts der Republika Srpska.
REUTERS

Das RS-Parlament, in dem Dodiks Partei SNSD die Mehrheit hat, beschloss kürzlich ein Gesetz, wonach die Entscheidungen des bosnischen Verfassungsgerichts nicht mehr umgesetzt werden, was einen schweren Bruch der bosnischen Verfassung darstellt. Manche Fachleute sprechen von einem Staatsstreich. Weiters hat das RS-Parlament ein Gesetz beschlossen, wonach die Entscheidungen des Hohen Repräsentanten – zurzeit Christian Schmidt – nicht mehr im Amtsblatt der RS veröffentlicht werden.

Der Hohe Repräsentant hat die Aufgabe, das Friedensabkommen von Dayton zu überwachen und den Staat Bosnien-Herzegowina vor Angriffen völkischer Nationalisten wie Dodik zu schützen. Schmidt erklärte die verfassungswidrigen Entscheidungen des RS-Parlaments in der Folge für ungültig und erließ ein Dekret, wonach jene Personen, die sich nicht an seine Entscheidungen halten, mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden können. Doch Dodik scherte sich nicht darum und bestätigte als Präsident der RS, dass die Nichtanerkennung der Verfassungsurteile und die Nichtveröffentlichung der Dekrete von Schmidt gültig seien. Er brachte sogar eine Strafanzeige gegen Schmidt ein, mit der Begründung, dass "dieser sich seit langem unbefugt mit den Angelegenheiten des Hohen Repräsentanten befasst".

Staatsanwälte ermitteln

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Dodik, und die Sonderpolizei Sipa untersuchte das Amtsblatt der RS. Doch es bleibt offen, ob die bosnischen Institutionen und der Hohe Repräsentant stark genug sind. Der Grazer Völkerrechtler Josef Marko führt ins Treffen, dass die Gesetze der RS und das Vorgehen Dodiks "der allerletzte Schritt vor der Sezessionserklärung" sind. "Wenn eine Einheit sagt, dass die Gesetze der anderen Einheit, der man angehört, nicht mehr gelten, wird die gesamte Rechtsordnung, auf der die Entscheidungen der Verfassung beruhen, nicht mehr anerkannt." Marko glaubt, dass Schmidt Dodiks Partei SNSD wegen verfassungswidrigen Handelns verbieten könnte. Dies könnte zumindest kurzfristig für einen politischen Schock sorgen. Schmidt hätte auch die Möglichkeit, Dodik abzusetzen, aber dies wagt er offenbar nicht.

Dodik und Putin in Moskau.
Milrad Dodik zu Gast bei seinem Förderer, Russlands Präsident Wladimir Putin.
EPA

Der Verfassungsexperte Jens Wölk von der Universität Trient sagt, es sei sehr gefährlich, dass Dodik sich so sicher fühle, dass er die internationale Gemeinschaft als Gegenpartei diffamiere. Dies sei aber auch eine Bestätigung dafür, dass der Westen nicht einerseits das Ziel verfolgen könne, einen funktionierenden Staat Bosnien-Herzegowina zu schaffen, und andererseits Äquidistanz zu allen Parteien halten, egal ob sie diesen Staat unterstützten oder bekämpften wie Dodik. "Zu lange haben alle die Augen zugemacht und das nicht sehen wollen", so Wölk. Dodik zum Einlenken zu bringen gehe "nur über totale politische Isolation und Druck auf internationaler Ebene", sagt er. "Das Recht scheint mir – fast – am Ende."

Geld und Richter

Jenseits von seinen Großserbien-Träumen will Dodik, dass das ungeklärte Staatseigentum nicht dem Gesamtstaat zugutekommt, sondern der RS. Er braucht nämlich dringend Geld, um eigene Kredite zurückzuzahlen. Zurzeit arbeitet eine Expertengruppe an dem Thema. Zudem verlangt Dodik, dass drei internationale Richter aus dem Verfassungsgericht abgezogen werden.

Der US-Beauftragte für den Balkan, Gabriel Escobar, räumte nun ein, dass ihn die Situation in Bosnien-Herzegowina in bestimmten Teilen an die Vorkriegssituation in den 1990er-Jahren erinnere. Schmidt selbst sagte kürzlich bei einer Veranstaltung in Dubrovnik: "Dodik geht immer weiter. Ich weiß nicht, welche Drogen er nimmt." Das EU-Parlament forderte diese Woche mehrheitlich "gezielte Sanktionen gegen destabilisierende politische Akteure in Bosnien-Herzegowina". (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 15.7.2023)