Im Gastblog erzählt Hilde K. aus Wien von ihrem bisherigen Weg, mit der Demenzerkrankung umzugehen. Marianne Buchegger berichtet von der Wichtigkeit flächendeckender Angebote für Betroffene.

"Vor vielen Jahren bin ich aus Vorarlberg nach Wien zurückgekommen, weil meine Mutter schwer krank war und ich mich um sie kümmern wollte. Bis dahin war ich Religionslehrerin. Der Glaube ist mir wichtig, ich bin eine Kirchenrevoluzzerin … In meiner Gemeinde dürfen Frauen predigen, das Kirchenvolksbegehren habe ich mitinitiiert. Das macht mich stolz!

Dann war ich also in Wien, aber Religionslehrerin wollte ich nicht mehr sein, das hat sich nicht mehr passend angefühlt. Ich war ja auch schon Anfang fünfzig damals. Ich habe also meine Mutter bis zum Schluss begleitet und bin dann als Seelsorgerin aktiv gewesen. Zuerst in einem Pensionistenheim im Wienerwald, dann, nach meiner Pensionierung, in Wien. Ich habe das geliebt. Mit den alten Menschen über den Glauben zu reden, Spiritualität zu leben und zu feiern.

Vor etwa zwei, drei Jahren habe ich bemerkt, dass meine Vergesslichkeit sich anders anfühlt als früher. Irgendwie 'fester', nicht revidierbar. Ich habe mit meinem Sohn gesprochen, er lebt auch schon lange in Wien, und er hat mir eine Neurologin empfohlen. Nach einiger Zeit bin ich dann zu ihr gegangen, und sie hat bestätigt, was ich befürchtet habe. Demenz.

Eine Gruppe älterer Menschen sitzt im Kreis in einem Zimmer
"Ich habe Demenz. Und ich lebe ein gutes Leben, mit allen Höhen und Tiefen."
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Ich war erschüttert. Ich habe niemandem etwas erzählt. Niemandem. Ich habe weiterhin als Seelsorgerin gearbeitet, mittlerweile ehrenamtlich. Ich hatte weiterhin meine fixen Tage, an denen ich Dienst hatte. Das war sehr wichtig für mich. Ich bin doch nicht blöd, habe ich mir gedacht. Ich sage es niemandem, dann ist es auch nicht da – das war der Versuch von mir.

Geklappt hat das nicht so gut. Ich habe über die Monate gemerkt, dass es nicht besser wird, nicht wieder weggeht. Vor etwa einem Jahr, mit 74, habe ich dann meine Einstellung zu meiner Demenz verändert. Ich habe mir gedacht: Das kann doch nicht sein. Ich will etwas tun. Im dritten Bezirk hat zu diesem Zeitpunkt die Promenzgruppe 1030 eröffnet. Ich war beim Eröffnungsfest und bin am Rand gestanden. Ich habe mir die Menschen angesehen und war erstaunt, dass die alle recht zufrieden ausgesehen haben. Mit einigen habe ich gesprochen und bin ab Oktober jede Woche zu den Gruppentreffen gegangen. Anfänglich habe ich hauptsächlich zugehört. Habe mir angehört, was die anderen über ihre Krankheit erzählt haben, vor allem der junge Mann und die junge Frau – beide haben auch Demenz. Mit den beiden habe ich viel gesprochen, wir haben uns unterhalten, wie wir unser Leben leben und wie unangenehm das Vergessen ist. Aber auch über die guten Seiten der Demenz. Dass man Dinge und Menschen, die einen ärgern, schlechte Filme einfach vergisst.

Das tut mir gut – ich fühle mich wohl

Anfang des Jahres habe ich bemerkt, dass es mir immer weniger schwerfällt, von 'meiner Demenz' zu sprechen. Ich habe ein paar mir vertraute Menschen, mit denen ich meine Belastungen bespreche, und ich habe die Promenzgruppe. Ich habe auch mit Gedächtnistraining in einem Tageszentrum begonnen. Das tut mir gut – ich fühle mich wohl.

Das Wichtigste ist mir, dass ich etwas tun kann. Dass ich für andere und mit anderen sein kann. Im Juni bin ich mit anderen aus meiner Promenzgruppe auf der Bühne des Demenz Meet in Wien gestanden und habe meine Geschichte erzählt. Ich war nervös, obwohl ich es gewohnt bin, vor Menschen zu sprechen. Und wissen Sie, was passiert ist? Ich bin auf der Bühne gestanden und habe gesagt: 'Ich habe Demenz. Und ich lebe ein gutes Leben, mit allen Höhen und Tiefen.' Die Menschen haben applaudiert – ich habe mich stark gefühlt.

Ich will, dass dieses Gefühl bleibt. Ich bin stark, ich werde, solange es geht, ehrenamtlich arbeiten und Menschen begleiten. Es ist mir wichtig, wirksam zu sein. Ich bin Teil einer Arbeitsgruppe für Menschen mit Demenz der Gesundheit Österreich. Wir besprechen regelmäßig, wie Menschen mit Demenz in der Gesellschaft den ihnen angestammten Platz einnehmen können. Ich trete für Menschen wie mich ein und möchte für die sprechen, die das nicht mehr können. Natürlich habe ich dabei Unterstützung. Das ist notwendig, wenn man Demenz hat. Vieles geht gut, einiges weniger gut, und manches geht nicht mehr gut. Um das auszugleichen, habe ich meine Unterstützerin und meine Familie. Meine Kinder mit einzubeziehen ist nicht leicht, ich will ihnen nicht zur Last fallen – sie haben ihr eigenes Leben. Gleichzeitig weiß ich, dass es ihnen wichtig ist, mit mir gemeinsam meinen Weg zu gehen.

Was kommen wird, weiß ich, und gleichzeitig weiß ich es nicht. Ich sollte mir wahrscheinlich mehr Gedanken machen oder mehr planen. Ein Teil von mir will das aber nicht – das ist jener Teil, der die Demenz verflucht und bitterbös ist. Der andere Teil in mir weiß aber natürlich, dass es wichtig ist, zu planen, was ich wie haben will, solange ich das noch gut sagen kann. Wie ich das angehen werde, weiß ich noch nicht.

Einfach ist es nicht – ich bleibe dran." (Hilde K.)

Von der Verunsicherung zur Selbstwirksamkeit

Die Diagnose Demenz ist für viele Menschen gleichbedeutend mit Tod und Sterben. Die Angst vor dem Verlust des Geistes, vor dem 'Verblöden' und die starke Verunsicherung, die mit einer Demenzdiagnose einhergeht, sind überwältigend. Als Reaktion auf die Diagnose ziehen sich Menschen mit Demenz häufig von ihren sozialen Kontakten zurück und isolieren sich. Dieser Rückzug kann zu einem rascheren Voranschreiten der Erkrankung führen, dies wiederum zu noch weiterem Rückzug, eine Abwärtsspirale setzt sich in Gang.

In ihrer Geschichte beschreibt Hilde ihre Entwicklung weg von der starken Verunsicherung hin zum Empowerment. Sie beschreibt, wie wichtig ihr soziales Engagement und die Auseinandersetzung mit anderen Menschen sind, über diese Interaktionen erfährt sie sich als eigenständige, wirksame Person. In der Promenzgruppe erlebt sie andere Menschen mit derselben Diagnose und erlebt deren Strategien, um mit der Demenz umzugehen und trotzdem ein gutes Leben zu führen. Die Promenzgruppe und alle anderen (unterstützten) Selbsthilfegruppen ermutigen die Teilnehmenden, von anderen zu lernen, erfolgreiche Strategien nachzuahmen und damit wiederum Selbstwirksamkeit zu erleben. Im Austausch mit anderen Menschen verarbeitet Hilde K. Erfahrungen und Erlebnisse, die sie bewegen und beschäftigen, und tritt ihrer Erkrankung dadurch aktiv entgegen.

Das Erleben von Ermutigung, Austausch, Entlastung und der eigenen Wirksamkeit als Person ist zentral, um Menschen mit einer Demenzdiagnose zu stärken und den Verlauf der Erkrankung zu verzögern. Wichtige Begleitmaßnahmen für Menschen mit Demenz sind deshalb: frühe Hilfe, Begleitung bei und nach Diagnosestellung, Unterstützte Selbsthilfe, ehrenamtliche Demenz(weg)begleitung und Freizeitbuddies, Tageszentren, Wohngemeinschaften und Betreutes Wohnen. Sie geben Struktur, Orientierung und Halt, ermöglichen Gemeinschaft, Gesellschaft und das Erleben der eigenen Person in einem sozialen Gefüge. All diese Angebote wirken präventiv gegen Akutsituationen und haben dadurch enormes Entlastungspotenzial für das gesamte Gesundheitswesen. Aus diesen Gründen ist es so wichtig, dass alle diese Angebote flächendeckend finanziert, gefördert und ausgebaut werden. Demenz geht uns alle an. (Marianne Buchegger, 27.7.2023)