Es ist eine breite Allianz, die sich von Vorarlberg bis ins Burgenland zusammengetan hat. Gemeinsam mit dem Verkehrsclub Österreich (VCÖ) und dem Städtebund fordern 237 Städte und Gemeinden Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) zum Handeln auf: Die Straßenverkehrsordnung soll dahingehend geändert werden, dass "Städte und Gemeinden ohne Einschränkungen und Hindernisse Tempo 30 als Höchstgeschwindigkeit innerorts dort umsetzen können, wo sie es mit Hinblick auf die notwendige Verkehrswende für sinnvoll erachten". Denn viele Gemeinden wünschen sich Tempo 30 im Ortsgebiet nicht nur auf Gemeindestraßen, scheitern aber am notwendigen, laut ihnen zu aufwendigen Genehmigungsprozess.

Ein Auto fährt in eine Ortschaft ein. Eine fix montierte Geschwindigkeitskontrolle zeigt 80 km/h.
Hornstein im Burgenland und 236 weitere Gemeinden wollen nicht nur auf Gemeindestraßen selbst entscheiden, wo im Ort Tempo 30 gelten soll.
Guido Gluschitsch

So können Kriterien in Bezug auf Klimaschutz sowie Lebens- und Aufenthaltsqualität speziell in Ortszentren, Wohngegenden und vor Schulen aktuell nicht als Begründung für Tempo 30 herangezogen werden.

Das sorgt etwa in der Vorarlberger Marktgemeinde Lustenau für Unmut. Denn die Gemeinde im Rheintal liegt an einer Verkehrsache, an der internationaler wie regionaler Schwerverkehr abgewickelt wird – zwischen 2000 und 3000 Lkws sind es am Tag. Gleichzeitig sei man bis heute Sanierungsgebiet nach dem Immissionsschutzgesetz Luft, wie Bürgermeister Kurt Fischer (ÖVP) nicht müde wird zu betonen. Weil es permanent Grenzwertüberschreitungen gibt, laufe auch seit Jahren ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich.

Vorbild ohne Nachahmer

In Vorarlberg, das mit 50 Gemeinden besonders stark auf der Unterzeichnerliste vertreten ist, blicken alle nach Wolfurt. Denn die in der Nähe von Bregenz gelegene Gemeinde verfügt über die bisher einzige Begegnungszone auf einer Landesstraße im Ländle. Was vor zehn Jahren als Pilotprojekt startete und damals auch als Vorbild für andere Gemeinden dienen sollte, fand keine Nachahmer. Im Gespräch mit dem ORF Vorarlberg betonte Bürgermeister Christian Natter, dass auch schon das Ausreizen der derzeitigen Möglichkeiten notwendige Veränderung schaffe. Denn die Möglichkeit, Begegnungszonen auf Landesstraßen einzurichten, gebe es seit einiger Zeit.

"Wir arbeiten gerade einen Gesetzesvorschlag aus, um das Anliegen der Petition voranzutreiben und möglichst schnell in Umsetzung zu bringen."
Leonore Gewessler, Umweltministerin

Zeit ist auch das Argument der Gegner von Tempo 30. Die verlorene nämlich – auch wenn diese noch so überschaubar gering ist. Gewonnene Sicherheit hingegen ist noch vor dem Umweltschutz das Hauptargument der Befürworter. Beträgt der Anhalteweg eines Pkw mit 50 km/h rund 24 Meter, sind es bei Tempo 30 weniger als die Hälfte, elf Meter, rechnet der VCÖ vor. Zudem steige mit der gefahrenen Geschwindigkeit das Tötungsrisiko bei einer Kollision: von 30 auf 50 km/h um das Vier- bis Fünffache. Und die Zahl der bei Verkehrsunfällen im Ortsgebiet getöteten Menschen ist laut VCÖ im Vorjahr österreichweit um zehn Prozent auf 109 gestiegen. 26.550 Menschen wurden bei Verkehrsunfällen in Ortschaften verletzt.

"Wir wollen seit Jahren auf der B70 rund um den Kindergarten und die Volksschule ein 30er-Limit. Aber von der Behörde kommt als Antwort, dass wir den Bedarf verkehrstechnisch nachweisen müssen, was sehr teuer ist", sagt Stefan Helmreich, ÖVP-Bürgermeister im steirischen Lieboch.

Ähnlich sind die Sorgen von Bürgermeisterin Maria Knauder (SPÖ) in St. Andrä im Lavanttal: "Im Stadtkern befinden sich zwei Volksschulen und zwei Pflegeheime. Im Hinblick auf die Priorität der allgemeinen Verkehrssicherheit ist es uns ein großes Anliegen, durch Tempo 30 wesentlich zur Sicherheit von Groß und Klein beizutragen."

Bundesländervergleich

Während in Niederösterreich 56 Gemeinden die Forderung unterschrieben haben, waren es in Kärnten nur elf und damit gleich viele wie in Salzburg. Das Bundesland mit der geringsten Anzahl an unterstützenden Gemeinden ist das Burgenland. Dort tragen nur zehn Kommunen den öffentlichen Wunsch nach einem selbstbestimmten Tempo 30 mit. Eine davon ist die Gemeinde Neufeld.

"Wir haben im ganzen Ort auf Gemeindestraßen Tempo 30", sagt Bürgermeister Michael Lampel (SPÖ). Aber gerade die Straße am Eingang zum Strandbad Neufelder See ist eine Landesstraße. 120.000 Badegäste verzeichne man dort, darum wäre es für den Bürgermeister eine Überlegung, dort zumindest temporär die Höchstgeschwindigkeit zu senken.

Bei Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) stößt die parteiübergreifende Forderung auf Verständnis. Darum arbeite man inzwischen auch an einem entsprechenden Gesetzesvorschlag, um das Anliegen möglichst schnell umsetzen zu können.

Beim Städtebund indes legt man inzwischen weiter nach und fordert, auch den Öffi-Ausbau finanziell und rechtlich abzusichern. Fahrgastzahlen im städtischen öffentlichen Verkehr steigen – genauso wie die Energie- und Personalkosten. Um die steigenden Betriebskosten stemmen zu können, würden in der Folge Investitionen zurückgefahren, erklärt Thomas Weninger, Generalsekretär des Städtebundes. Er fordert über den Finanzausgleich mehr Geld vom Bund für die Öffis, wenn die Mobilitätswende gelingen soll. (Guido Gluschitsch, Lara Hagen, 17.7.2023)