Etwas mehr als eine halbe Million Menschen arbeiten in der österreichischen Tourismusindustrie. Die Mehrzahl von ihnen, rund 60 bis 70 Prozent laut Gewerkschaft, sind als Arbeiterinnen und Arbeiter angestellt. Für diese Gruppe gibt es eine Besonderheit: Niemand kann genau sagen, welche Kündigungsfristen für sie gelten – nur zwei oder ganze sechs Wochen?

Das ist gerade in Österreich, einem Land, in dem der Staat oder die Sozialpartner jede Kleinigkeit regeln, sehr außergewöhnlich. Aber Wirtschaftskammer und Gewerkschaft streiten seit Jahren über die Kündigungsfristen: Eine gesetzliche Änderung, mit der die kürzeren Kündigungsfristen der Arbeiterinnen und Arbeiter an jene der Angestellten hätten angepasst werden sollen, gilt laut Gesetzesauslegung der Wirtschaftskammer im Tourismus nicht. Deshalb empfiehlt die Kammer ihren Betrieben, nur eine zweiwöchige Frist einzuhalten. Die Dienstleistungsgewerkschaft Vida sieht das anders und bietet Rechtshilfe an, um bei Bedarf die längeren Fristen per Gericht durchzusetzen.

Diese für den heimischen Arbeitsmarkt einmalige Ungewissheit trägt zum schlechten Ruf der Tourismusindustrie als Arbeitgeber bei. Aktuell ist eine Initiative mit dem Ziel angelaufen, dieses Bild zumindest für einen Teil der Branche zu korrigieren. Die Jufa-Hotelgruppe und die Gewerkschaft Vida haben sich nach längeren Verhandlungen auf einen Kollektivvertrag (KV) geeinigt, der von jenem für die Branche abweicht und für die 1.000 Beschäftigten der Jufa-Hotels mehrere Verbesserungen bringt. Auch für den Arbeitgeber sind einige Vorteile ausgehandelt worden.

So ist in dem neuen Kollektivvertrag klar geregelt, dass die Kündigungsfristen für Arbeiter und Angestellte gleich sind, hier profitieren also alle Beschäftigten von den längeren Fristen, die in der übrigen Branche umstritten bleiben. Dazu wird der Mindestlohn angehoben: Ab September, wenn der KV in Kraft tritt, sind 1.900 Euro Minimum vorgeschrieben. Im Rahmenkollektivvertrag der Tourismusindustrie, der seit Mai gilt, sind 1.800 Euro die Unterkante. Ebenfalls neu: Erstmals gibt es in einem Tourismus-KV einen Zuschlag, und zwar in Höhe von 25 Prozent für Sonntagsarbeit.

Ein Wochenende frei

Fixiert wird in der Vereinbarung auch, dass Arbeitnehmer an zumindest einem Wochenende pro Monat frei haben müssen. Zu den Goodies aus Sicht der Arbeitgeber gehört, dass die Normalarbeitszeit von neun auf zehn Stunden ausgedehnt wird, erst darüber fallen also Überstunden an. Die Probezeit wird von zwei auf vier Wochen verlängert, das macht schnelle Trennungen zu Beginn einfacher. Der Durchrechnungszeitraum wird für Teilzeitkräfte verlängert, was den Ausgleich für Überstunden ohne Zuschläge erleichtert.

Aus Sicht sowohl der Gewerkschaft als auch der Arbeitgeber ist der Kollektivvertrag ein ungewöhnlicher Schritt. Gewerkschaften sind zurückhaltend, wenn es um Vereinbarungen auf Betriebsebene geht. Macht das System Schule, droht eine Zersplitterung der Vereinbarungen. Auf Arbeitgeberseite wiederum musste die Österreichische Hoteliervereinigung (ÖHV) unterschreiben, damit der Kollektivvertrag gelten kann. Die ÖHV, ein freiwilliger Zusammenschluss von Hotelbetrieben, hat 1991 die Befugnis zugesprochen bekommen, Kollektivverträge zu schließen, hat aber noch nie einen unterschrieben, das macht die Wirtschaftskammer. Was also bewog beide Seiten dazu, tätig zu werden? "Seit Jahren verändert sich beim Rahmenkollektivvertrag nicht sehr viel. Darum haben wir gesagt, wenn es willige Betriebe gibt, werden wir mit ihnen reden, auch wenn es uns lieber wäre, Verbesserungen für die gesamte Branche durchzusetzen", sagt Berend Tusch, der bei der Vida die Tourismusagenden verantwortet. Mit Jufa sei ein solcher Betrieb gefunden worden, das Unternehmen kam auf die Gewerkschaft zu. Die Vida hofft, dass sich weitere Unternehmen ein Beispiel nehmen und dem Regelwerk beitreten.

Im neuen Kollektivvertrag gibt es erstmals in der Hotellerie vereinbarte Sonntagszuschläge.
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Bei der Österreichischen Hoteliervereinigung hofft Generalsekretär Markus Gratzer ebenfalls auf Impulse für die ganze Branche. Der neue Kollektivvertrag bringe nicht nur Vorteile für Arbeitnehmer, er bringe auch dem Arbeitgeber mehr Flexibilität. Solche Lösungen könnten für andere Betriebe interessant sein.

Enge Bindung

Jufa betreibt in Österreich 50 Hotels, rund die Hälfte davon in der Steiermark. Die Gruppe steht im Eigentum zweier Stiftungen, der Jufa Privatstiftung und der Gemeinnützige Privatstiftung der Jufa Hotels. Für die Hotelgruppe dient der Kollektivvertrag auch dazu, sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren, der auf Mitarbeiterbindung Wert legt, sagte Unternehmensgründer und Vorstandsvorsitzender Gerhard Wendl bei der Vorstellung des neuen Kollektivvertrags. Aktuell sind in der Unternehmensgruppe 40 bis 50 Stellen offen. Hotellerie und Gastronomie beklagen seit Monaten laut, dass sie zu wenige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fänden. Laut Zahlen von Mai waren rund 14.500 Stellen in der Branche beim AMS als offen gemeldet  – bei insgesamt etwa 117.000 offenen Stellen. (András Szigetvari, 18.7.2023)