Hinter diesem Schild auf der Donauinsel lauern: nackte Menschen.
Martin Tschiderer

Gleich hinter dem Schild ist immer Ruhe. Deswegen bleibt er auch genau hier, sagt Walter, dessen gut gebräunter, nackter Körper bäuchlings auf einem Handtuch liegt. "Aber da vorn", sagt der 54-Jährige und deutet auf die Baumreihen flussaufwärts, "da rennt eh scho des Klumpat umananda." Mit "Klumpat" meint Walter, helles Lachen, dunkel gefärbtes Haar, nicht etwa die Nudistinnen und Nudisten, die auf diesem Abschnitt der Wiener Donauinsel so gerne ausgiebig der Sonne frönen. Sondern die, die auch immer irgendwo ums Eck sind, sobald Schilder und Bodenmarkierungen den FKK-Bereich ausweisen. "Die Spechtler" nennt sie Walter.

Neues Phänomen

"I sag’s ehrlich, mir san die eh wurscht", erklärt der Museumsaufseher, der schon seit bald 25 Jahren an den Nudistenstrand auf der nördlichen Donauinsel kommt. "Ich hab in all den Jahren eigentlich nie eine schlechte Erfahrung mit ihnen gemacht." Einmal habe einer "ein bissl was versucht". Aber er habe das nicht als Belästigung empfunden. "Der hat bei mir sowieso ka Chance", sagt Walter und zieht an seiner E-Zigarette. "Außerdem hat er ein Niveau g’habt. Der wollt halt ins Gespräch kommen."

Die Spechtler, die zumindest gelegentlich zwischen den Bäumen und Büschen umherziehen, vor allem im Frühjahr und Herbst, sind aber nicht nur generell ein konstanter Begleiter der FKK-Fans. Sie haben auch so etwas wie eine brandaktuelle Dimension. Und das liegt an einer Seilbahn.

Gestörte Intimsphäre

Ein privater Investor hat im Frühjahr die Idee für eine solche vorgestellt. Hinter den Plänen steckt eine Projektgesellschaft, die sich im Eigentum der Betreiber der Erlebniswelt Kahlenberg befindet. Vor einem Jahr erteilte das Bundesverwaltungsgericht den Entwicklern des Projekts den Zuschlag zum Seilbahnbau von Heiligenstadt auf den Kahlenberg. 70 Millionen Euro wollen die Privaten dafür ausgeben.

Was das mit den FKK-Freunden zu tun hat? Ein Abschnitt der Trasse soll auch entlang der Donauinsel geführt werden – zwischen Jedleseer Brücke und dem Floridsdorfer Stadtteil Strebersdorf. Und genau dort befindet sich: die Nudistenzone der Donauinsel Nord.

In der Floridsdorfer FKK-Gemeinde regt sich deshalb Widerstand. So manch passionierter Naturist fürchtet um seine Intimsphäre. Diese werde mit Gondeln über der FKK-Zone schwer gestört, hieß es nach der Präsentation der Pläne aus der Community. Vor allem Handykameras künftiger Gondelpassagiere bereiten Sorgen – und dass die geschossenen Fotos im Netz landen könnten.

"Ned wegen die Spechtler"

Walter, der inzwischen den Dampf einer neuen E-Zigarette inhaliert, findet das übertrieben. Umso mehr, da der Investor versprochen hat, die Gondelfenster könnten über dem FKK-Bereich automatisch zu Milchglas mutieren. "Es braucht halt immer ein bissl einen Kompromiss", sagt Walter. Eine Attraktion für Wien könne die Seilbahn allemal werden. "Ist ja so schön da", sagt er und zeigt auf das satte Grün der Donauinsel.

Ganz anders sehen das Christiane und ihre Inselfreundin Sonja. "Wir sind total gegen die Seilbahn", sagt Christiane: "Aber ned wegen die Spechtler."

Das Projekt sei "einfach eine Verschandelung der Umwelt. Und ich will da keine Masten herumstehen haben." Auch für die Vögel seien die schließlich gefährlich. Die Ausflügler sollten zu Fuß, mit dem Auto oder dem Bus auf den Kahlenberg fahren. "Und auf der Insel braucht wirklich kein Mensch eine Gondel", sind sich die 65-Jährige und ihre 57-jährige Bekannte einig.

Nur in Teilen der Wiener Naturistenszene herrscht Alarmstimmung wegen Hobbyfotografen mit Smartphones.
Martin Tschiderer

Hobbyfotografen im Anflug

Aber die schöne Aussicht? "Die hat man vom Kahlenberg und vom Donauturm ja auch", sagt Christiane, die schon seit Jahrzehnten zum FKK-Baden an die Donau kommt. "Der Mensch wird ja auch nicht mit Gewand geboren, sag ich immer." Und die Spechtler? "Die kennen wir eh alle schon", witzelt Sonja. "Die kriegen von uns die verbale Breitseite, und das war’s", ergänzt Christiane. Störenfriede sind sie nicht? "Aber geh, die tun uns ja in Wahrheit leid", sagt Sonja. "Wenn die sich an uns zwei Alten aufgeilen müssen, san s’ eh arm."

Aber was ist mit den Smartphone-Kameras der potenziellen Hobbyfotografen in Seilbahngondeln? "Da muss man schon ein wunderbares Smartphone haben", sagt Christiane, "dass die Aufnahmen aus 50 Meter Höhe was fürs Internet sind."

Nacktheit zelebrieren

Ernst, Anfang 50, sitzt nackt auf dem Sattel seines Rads. Wir radeln ein Stück zusammen. "Manche zelebrieren das mit dem FKK ja aus großer Überzeugung", sagt er. "I mach’s nur, weil i am ganzen Körper braun werden will." Die sonnengegerbte Haut würde Dermatologinnen zwar Sorgen bereiten. "Aber es ist ja ned des Schlechteste", sagt Ernst, "wenn gewisse Körperregionen auch a bissl a Sonnenlicht kriegen."

Dass die Seilbahn jemals abheben wird, glaubt Ernst nicht. Auch innerhalb der Bezirksvertretung Floridsdorf gibt es Widerstand. Zuletzt wurde eine parteiübergreifende Resolution gegen das Projekt verabschiedet. Anfang Juli wurde bekannt, dass das Umweltministerium einen Antrag zur gesetzlichen Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) für die Seilbahn auf den Kahlenberg bei der Stadt Wien eingebracht hat.

Wiener Wurschtigkeit

Falls sie doch kommt, würden Ernst aber selbst Teleobjektive in den Gondeln keine Sorgen bereiten. Auch sonst herrscht bei den Naturistinnen und Naturisten der nördlichen Donauinsel, gefragt nach der Fotogefahr aus der Höhe, vor allem eines: gepflegte Wiener Wurschtigkeit. Auch bei Sara und Mato, einem älteren Ehepaar mit kroatischen Wurzeln. Die beiden haben sich gerade ein Badetuch um die Schultern gelegt und spazieren die Inselböschung hinauf, als daneben ein Mann mit wallendem Haar, weit geöffneten Armen und Blick Richtung Himmel eine Art halben Sonnengruß ausführt. "I waß ned, is des Yoga?", fragt ein anderer Nackter, der auf der Böschung liegt.

Sonnengrüße sind das eine, Spechtler das andere – und bei Letzteren ist das Ehepaar unbesorgt. "Wenn die von der Seilbahn schauen wollen, sollen sie schauen", sagt Mato. "Von den Schiffen schauen sie ja auch", sagt seine Frau. "Aber vom Wasser und da oben sieht man bei uns eh nix so genau." Oder wie es Museumswärter Walter formuliert: "Die werden uns scho nix wegschauen." (Martin Tschiderer, 19.7.2023)