Als der Journalist Phil Cunningham vor wenigen Tagen seinen Meinungsartikel in der Hongkonger "South China Morning Post" las, war er etwas überrascht: Da fehlte plötzlich ein ganzer Absatz. Sein Artikel handelte von John Kerrys bahnbrechender Reise nach Peking, wo der US-Sondergesandte den Klimadialog mit China wiederaufnehmen würde. Was bedeutet dieser Schritt für die angeschlagene US-China-Diplomatie? Und wie kam es zur Eiszeit? – Derartige Fragen wälzte der China-Veteran Cunningham in dem Text.

China Außenminister
An diesem Tag wurde Qin zum letzten Mal öffentlich gesehen, hier mit dem russischen Vize-Außenminister Andrej Rudenko in Peking.
AP

Eigentlich erwähnte er auch die lange Absenz von Qin Gang, Chinas Außenminister, der seit drei Wochen bei keinem öffentlichen Auftritt mehr gesehen worden war. Sein Fehlen wäre bei dem dreitägigen Treffen besonders bedauerlich, könnte doch gerade Qin, der früher Botschafter in Washington war, ein wichtiger Brückenbauer bei dem Dialog sein – so hatte es Cunningham eigentlich geschrieben.

Als langjähriger freier Journalist kennt er die Dynamiken des Redigierens, da fällt schon mal ein Satz weg, zumeist aufgrund von Platznöten. "Aber das Fehlen von Außenminister Qin Gang ist für den Artikel, den ich über den Kerry-Besuch geschrieben habe, zu zentral, als dass man es einfach weglassen könnte. Und es ist nicht nur eine Zeile, sondern fünf ganze Sätze. Sein Name wurde komplett aus dem Artikel gestrichen", erklärte Cunningham im Nachhinein auf seinem Blog.

Das Beispiel ist nur eines von vielen, in denen Qin Gang aus Veröffentlichungen gestrichen wird. Wer im chinesischen Nachrichtendienst Weibo nach "Wo ist Qin Gang?" sucht, bekommt als Antwort "No Results", berichtet der "Guardian".

Letzter Auftritt Ende Juni

Zuletzt war Qin am 25. Juni beim Treffen mit Vetreter Sri Lankas, Russlands und Vietnams in Peking gesehen worden. Seitdem standen eigentlich mehrere hochrangige Besuche auf dem Terminkalender des Außenministers. So war vergangenen Woche US-Finanzministerin Janet Yellen in Peking, ohne Qin zu treffen. Diesen Juli hätte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell anreisen sollen, die Reise wurde aber von Peking kurzfristig abgesagt. Und zum regional wichtigen Asean-Treffen (Verband südostasiatischer Nationen) in Indonesien erschien Qin auch nicht.

China Außenminister Qin Gang
US-Klimagesandter John Kerry wird in Peking von Wang Yi in Empfang genommen, nicht von Qin Gang.
AFP/FLORENCE LO

An seiner Stelle fungierte stets sein Vorgänger Wang Yi, der mittlerweile zum Außenbeauftragten der Kommunistischen Partei Chinas aufgestiegen war – eine Rolle, die noch über Qins Chefposten im Außenministerium steht. Bereits als Außenminister prägte Wang die chinesische Außenpolitik gravierend mit. Nun ist er als Ober-Außenpolitiker abermals gefragter denn je.

Qin gilt als "wolf warrior"

Der 57-jährige Qin wiederum gilt als einer der sogenannten "wolf warriors", also als einer jener chinesischen Diplomaten, die unter Präsident Xi Jinping in zunehmend aggressiver und oft realitätsverdrehender Weise weltweit Meinungsmache für Xis Politik in China machen. In den vergangenen Monaten ist es ruhiger um diese Sorte Diplomaten geworden. Qin galt jedenfalls als direkter Protegé von Xi. Nach relativ kurzer Zeit als Botschafter in den USA wurde er im Dezember von Xi zum Außenminister gemacht.

Was nun hinter seinem Verschwinden steckt, ist nicht bekannt. Das Außenministerium erklärte die Abwesenheit des Chefs mit gesundheitlichen Gründen, allerdings wollen viele nicht so recht daran glauben. Im Netz etwa kursieren Spekulationen, dass Qin über eine außereheliche Affäre mit einer Fernsehmoderatorin gestolpert sei. Andere spekulieren wiederum, dass er politisch in Ungnade gefallen sei. Andere nehmen die Causa wiederum weniger ernst und fallen mit Satire-Posts auf:

In jedem Fall sind die Aussagen in Pekings Polit-Kreisen äußerst undurchsichtig: Vom angeschlagenen Gesundheitszustand bis hin zur politischen Intrige bleibt als Erklärung alles plausibel.

Die Kollegen übernehmen

Während seiner Abwesenheit übernehmen Qins Kollegen jedenfalls die wichtigen diplomatischen Gespräche. US-Klimagesandter Kerry wird mit seiner Delegation noch bis Mittwoch in Peking residieren. Am Dienstag betonte er Wang Yi gegenüber, dass er hoffe, dass das Zusammentreffen "der Beginn einer neuen Definition der Zusammenarbeit und der Fähigkeit sein kann, die Differenzen zwischen uns zu lösen". Der Klimadialog zwischen den zwei konkurrierenden Großmächten war eingeschlafen, nachdem die damalige Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, im vergangenen August Peking damit verärgerte, dass sie nach Taiwan reiste.

Spätestens seitdem Antony Blinkens Reise nach Peking Mitte Juni nachgeholt worden war, steigen die Hoffnungen auf Tauwetter. Und am Dienstag wurde gar bekannt, dass der mittlerweile 100-jährige Henry Kissinger, Pionier einer freundlichen US-amerikanischen China-Politik ab den 1970ern, zu einem inoffiziellen Besuch in Peking eingetroffen war. Dort traf er den chinesischen Verteidigungsminister Li Shangfu.

Aber auch Wang sprach von Kerry als "meinen alten Freund", auch er setzt sich für eine "gesunde, stabile und nachhaltige Beziehung zwischen China und den USA" ein. So ist die Klimakrise eines der wenigen Themen, bei denen die USA und China noch gemeinsame Nenner finden. Neben Wang war unter anderem auch Chinas Premierminister Li Qiang bei den Gesprächen anwesend. In Xinjiang, im Nordwesten Chinas, wurden am Sonntag 52,3 Grad Celsius gemessen. (Anna Sawerthal, 18.7.2023)