Wirecard war ein Börsenstar, das Liebkind von Anlegerinnen und Anlegern, doch die Geschichte resultierte im spannendsten Kriminalfall der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Seit Dezember läuft in München der Prozess unter anderem gegen den ehemaligen Chef Markus Braun. Von der schillerndsten Figur in der Sache fehlte bis vor kurzem jede Spur: Jan Marsalek. Der ehemalige Finanzchef ist auf der Flucht, Medienberichten zufolge soll er sich in Russland aufhalten, bestätigt wurde das aber nie.

Jan Marsalek soll sich in Russland aufhalten, bestätigt wurde das aber nie.
APA/AFP/Police Munich/HANDOUT

Nun hat er sich über seinen Verteidiger schriftlich an das Landgericht München gewendet und zu dem Verfahren Stellung genommen, berichtet die "Wirtschaftswoche". Sowohl die Sprecher der Staatsanwaltschaft als auch des Gerichts hätten das bestätigt, jedoch zum Inhalt des Schreibens nicht Stellung bezogen. Marsalek soll nicht auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe eingegangen sein, heißt es in dem Medienbericht. Allerdings soll er zu verstehen gegeben haben, dass das Drittpartnergeschäft des Konzerns existiert habe.

1,9 Milliarden fehlten

Zur Erinnerung: Im Juni 2020 hat es Wirecard zerrissen, weil 1,9 Milliarden Euro aus dem Drittpartnergeschäft gefehlt haben. Laut der Staatsanwaltschaft hat es dieses Geschäft nie gegeben, Braun bestreitet das. Marsalek, der für das Asien-Geschäft verantwortlich war, würde damit also Brauns Position stützen. In Justizkreisen heißt es laut der "Wirtschaftswoche" überdies, dass Marsalek in dem Schreiben vor allem Oliver Bellenhaus belastet. Dieser war lange Zeit Dubai-Statthalter für Wirecard, ist nun der Kronzeuge der Staatsanwaltschaft und hat den milliardenschweren Betrug eingeräumt. Marsalek habe in dem Schreiben seines Anwalts zu verstehen gegeben, dass Bellenhaus in mehreren Punkten nicht die Wahrheit sage. Warum sich Marsalek genau jetzt zu Wort meldet, ist unklar. Es sei jedoch nicht ausgeschlossen, dass er sich zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal melde.

Vom Börsenstar wurde Wirecard zum Skandalkonzern.
APA/dpa/Peter Kneffel

Die Staatsanwaltschaft wirft Braun und zwei weiteren Angeklagten Bilanzfälschung, Marktmanipulation, Untreue und Betrug vor. Eine kriminelle Bande um Braun habe jahrelang die Bilanzen des einstigen Dax-Konzerns gefälscht und das Trugbild eines erfolgreichen Unternehmens gezeichnet. Das Geschäft mit der Abwicklung von Zahlungen für Partner vor allem in Asien machte einen Großteil des Umsatzes und praktisch den gesamten Gewinn von Wirecard aus. Dafür hätten Braun und seine Komplizen milliardenschwere Geschäfte mit sogenannten Drittpartnern (Third-Party-Acquirers, TPA) erfunden und mit erfundenen Gewinnen die Kreditgeber des 2020 zusammengebrochenen Dax-Konzerns um 3,1 Milliarden Euro geprellt. 

Die langjährige Chefjuristin von Wirecard hält das Drittpartner-Geschäft für erfunden. "Nach meinem Eindruck, nach den Untersuchungen hat es das nicht gegeben", sagte Andrea Görres als Zeugin im Prozess. Görres arbeitet immer noch für das Unternehmen. Zurzeit versucht sie für Insolvenzverwalter Michael Jaffe unter anderem die Händler ausfindig zu machen, mit denen Wirecard angeblich zusammengearbeitet hatte.

"Leben auf Pump"

Ein früherer leitender Buchhalter bestätigte ebenfalls einen zentralen Vorwurf der Anklage - aber mit Einschränkung. Der letzte "gute" Wirecard-Konzernabschluss sei derjenige des Jahres 2014 gewesen, sagte der damals für die Bilanzen der Wirecard-Tochtergesellschaften zuständige Manager. Danach sei die Erstellung der Konzernabschlüsse immer langwieriger und aufwendiger geworden. Den in den Wirecard-Bilanzen verbuchten Forderungen an Geschäftspartner und Tochterfirmen standen demnach immer weniger tatsächliche Einnahmen gegenüber. 

Der Buchhalter schätzte, dass in der finalen Phase vor der Wirecard-Pleite nur noch fünf bis zehn Prozent dieser Forderungen auch tatsächlich beglichen wurden. In seiner polizeilichen Vernehmung hatte der Manager bereits ausgesagt, dass der Konzern nach seiner Einschätzung auf Pump von den Geldern der Kreditgeber lebte. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.(and, 18.7.2023)