Jonas Vingegaard fuhr womöglich schon den zweiten Tour-de-France-Sieg ein.
EPA/CHRISTOPHE PETIT TESSON

Jonas Vingegaard ersparte seinem Rivalen Tadej Pogacar immerhin das demütigende Überholmanöver: Der Titelverteidiger der Tour de France hat im Kampf um das Gelbe Trikot eine Vorentscheidung erzwungen und seinen ärgsten Verfolger Pogacar in einem denkwürdigen Fernduell deklassiert.

Vingegaard dominierte am Dienstag das anspruchsvolle Bergzeitfahren der 16. Etappe nach Combloux in 32:36 Minuten und baute seine Führung in der Gesamtwertung deutlich aus. Pogacar wurde mit einem deutlichen Rückstand von 1:38 Minuten Zweiter.

Gall zurück in Top Ten

Felix Gall gelang der Sprung in die Top Ten. Der Osttiroler legte die 13.-beste Zeit auf der bergigen Strecke hin, im Ziel hatte er 3:40 Minuten Rückstand auf Vingegaard. In der Gesamtwertung machte Gall damit einen Platz gut und ist nun Zehnter.

"Ich habe mich auf die zwei Anstiege konzentriert und jetzt gar nicht groß versucht, in die Flachstücke zu viel Energie reinzustecken. Das ist mir gelungen", erzählte der 25-Jährige, der am letzten Anstieg vom Zeitfahr- aufs Straßenrad wechselte. "Aber das ist superschnell gegangen."

"Ich kann mehr als zufrieden sein mit dem heutigen Tag, jetzt wieder zurück in den Top Ten. Mittlerweile sind da die Abstände doch recht groß. Da müssen wir sehen, wie viel noch möglich ist."

22,4 Kilometer

"Es war eine unglaubliche Etappe für uns, er hat viel Zeit gutgemacht", sagte Vingegaards Teamkollege Wout van Aert, der Dritter wurde (+ 2:51): "Das konnten wir uns nicht vorstellen, dass der Vorsprung nun so groß ist. Es zeigt, wie viel er noch in den Beinen hat."

Vor der Königsetappe in den Alpen am Mittwoch liegt der Däne vom Team Jumbo-Visma in der Gesamtwertung 1:48 Minuten vor Pogacar. Der Slowene ist abermals zum Angriff gezwungen. Angesichts der zuletzt gezeigten Leistungen in den Bergen deutet wenig auf eine erfolgreiche Wende hin.

"Es war ein extrem schweres Zeitfahren, es ist nicht für die reinen Zeitfahrspezialisten", sagte der deutsche Zeitfahrmeister Nils Politt, der am Ende auf Rang 68 landete.

Dagegen war die Strecke ganz nach dem Geschmack der Superstars. Ihm gefalle das Zeitfahren, hatte Pogacar im Vorfeld gesagt, "es liegt mir sehr gut". Auch Vingegaard versicherte: "Ich mag solche kurzen Zeitfahren mit vielen Rhythmuswechseln." Am Ruhetag am Montag waren beide Rivalen die Strecke nochmals abgefahren.

Um 16.58 Uhr ging Pogacar als Gesamtzweiter und vorletzter Fahrer auf den 22,4 Kilometer langen Kurs, genau zwei Minuten später rollte Vingegaard von der Startrampe: An seinem elften Tag in Gelb wurde der Däne vom Gejagten zum Jäger – und er füllte diese Rolle mit Leben.

Umstrittener Radwechsel 

Mehr als 600 Höhenmeter lagen zwischen Start und Ziel. Nur zwei Kilometer nach dem Start waren die Kletterkünste auf der giftigen Cote de la Cascade de Couer erstmals gefordert. Die anschließende technische Abfahrt überstanden beide schadlos. Vingegaard, der in den Kurven ins Risiko ging, lag früh auf Siegkurs. An der zweiten Zeitmessung rund sechs Kilometer vor dem Ziel betrug der Vorsprung bereits 31 Sekunden.

Zur Schlüsselstelle wurde die Cote de Domancy, ein kurzer, aber steiler Anstieg der 2. Kategorie kurz vor dem Ziel. Pogacar und sein UAE-Team entschieden sich am Fuße des Anstiegs für einen Wechsel von der Zeitfahrmaschine auf das leichtere Rennrad für die Berge. Auf etwa fünf Sekunden bemaß UAE-Teamchef Mauro Gianetti den Vorteil der Maßnahme.

Gall
Felix Gall lieferte ein starkes Zeitfahren ab.
IMAGO/Nico Vereecken

Vingegaard dagegen blieb auf dem Spezialrad für das Zeitfahren. Die Wahl erwies sich nicht als nachteilig. "Hol dir die Tour", funkte der deutsche Sportdirektor Grischa Niermann an Vingegaard. Der Mann in Gelb ließ auf der Straße Taten folgen.

Vingegaard überrascht sich selbst

"Ich habe mich großartig gefühlt. Das war das beste Zeitfahren, das ich jemals gefahren bin. Ich bin sehr stolz, was ich geschafft habe", so Vingegaard. "Das habe ich überhaupt nicht erwartet. Heute habe ich mich selbst überrascht." Der 26-Jährige sagte: "Unterwegs dachte ich, mein Leistungsmesser spinnt. Die Zahlen waren so hoch."

Von einer Vorentscheidung wollte sein Teamchef Richard Plugge noch nicht sprechen: "Die Tour ist erst entschieden, wenn der Bus mit Pogacar Richtung Slowenien abfährt." Enttäuscht zeigte sich der Kontrahent: "Heute hatte ich nichts mehr entgegenzusetzen. Es war nicht mein bester Tag", meinte Pogacar.

Königsetappe am Mittwoch

Am Mittwoch heißt es bei der Tour de France erneut "alle Karten auf den Tisch". Auf der letzten Alpenetappe sind insgesamt vier Anstiege auf den 165,7 Kilometern nach Courchevel zu überwinden. Höhepunkt ist der Col de la Loze, das Dach der Tour (2.304 Meter) und ein echtes Biest mit bis zu 24 Prozent Steigung. Der Berg sei einer der "härtesten Anstiege der Welt", sagte Pogacar. Im Kampf um den Gesamtsieg ist er dort zum Handeln gezwungen. (sid, red, APA, 18.7.2023)

Ergebnisse Tour de France vom Dienstag:

16. Etappe, Passy–Combloux (22,4 Kilometer/Einzelzeitfahren):

1. Jonas Vingegaard (DEN) Jumbo 32:36 Min.
2. Tadej Pogacar (SLO) UAE +1:38 Min.
3. Wout van Aert (BEL) Jumbo +2:51.

Weiter: 13. Felix Gall (AUT) AG2R +3:40 - 54. Gregor Mühlberger (AUT) Movistar +5:54 - 57. Felix Großschartner (AUT) UAE +5:59 - 72. Michael Gogl (AUT) Alpecin +6:24 - 116. Patrick Konrad (AUT) Bora +7:05 - 119. Marco Haller (AUT) Bora +7:14

Gesamtwertung:

1. Vingegaard 63:06:53 Std.
2. Pogacar +1:48 Min.
3. Adam Yates (GBR) UAE +8:52.

Weiter: 10. Gall +18:19 - 24. Großschartner +1:20:09 Std. - 47. Mühlberger +2:20:08 - 78. Konrad +3:07:35 - 86. Haller +3:17:02 - 127. Gogl +4:05:36