Jo Angerer aus Moskau

Die Videos werden im Netz vielfach geteilt: Lange Fahrzeugkolonnen, Militärlaster, Busse, Pkws und Lieferwagen, sind unterwegs in Richtung Belarus. Dies bestätigt auch das belarussische Hackerkollektiv Hajun Project, das militärische Aktivitäten im Land überwacht. Die Fahrzeuge würden Nummernschilder aus Donezk und Luhansk tragen, jenen schwer umkämpften Teilen der Ostukraine, in denen die Söldner von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin stationiert waren.

"Wagner ist in Belarus", erklärte auch Andrej Demtschenko, ein Sprecher der ukrainischen Grenzbehörde, auf Telegram. Und die Söldner sind dort bereits tätig. Das belarussische Verteidigungsministerium hat am vergangenen Freitag ein Video veröffentlicht, das zeigen soll, wie Wagner-Söldner belarussische Soldaten in einem Militärcamp ausbilden. Wagner wird wohl zunächst in Belarus bleiben. "Ich mache mir absolut keine Sorgen darüber, dass wir eine bestimmte Anzahl dieser Kämpfer stationiert haben werden", sagte der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko. "Wenn wir diese Einheit zur Verteidigung des Staates einsetzen müssen, wird sie sofort aktiviert. Und ihre Erfahrung wird gefragt sein." Auch Prigoschin erklärte am Mittwoch via Telegram, dass die Söldner eine Weile in Belarus bleiben werden.

In Moskaus Sold

Langsam lichtet sich der Nebel um die Zukunft der Wagner-Truppe. Berichtet wird, die Söldner würden sich als eigenständige Einheit der belarussischen Armee anschließen. Finanziert allerdings wird Wagner aus der russischen Staatskasse. Eine offizielle Bestätigung dafür gibt es weder aus Minsk noch aus Moskau. Käme es so, dann wären Prigoschins Kämpfer Machthaber Lukaschenko als Oberbefehlshaber unterstellt. Spätestens seit Russland im Sommer 2020 Lukaschenko geholfen hat, die Proteste hunderttausender Demonstranten zu zerschlagen, ist dieser von Kreml-Chef Wladimir Putin abhängig. Putin hätte wohl nach wie vor das Sagen, was zukünftige Einsätze der Wagner-Truppe betrifft.

Diese Lösung wäre ganz im Sinne von Prigoschin. Schon vor seinem Marsch auf Moskau hatte dieser erklärt, er ordne sich Putin durchaus unter, nicht aber dem russischen Verteidigungsminister Sergei Schoigu und dessen Generalstabschef Waleri Gerassimow. Schoigu könne über das Ministerium und die regulären Soldaten bestimmen, der Minister sei aber schon bisher nicht in der Lage, seine eigenen Truppen zu führen. Wagner werde daher keine Verträge mit Schoigu unterzeichnen.

Wagner in Belarus
In Zeltstädten wie diesen sollen die Söldner unterkommen.
REUTERS/MAXIM SHEMETOV

Für die Integration der Wagner-Truppe in die belarussische Armee gibt es auch schon eine Art "Fahrplan", schreibt das Verteidigungsministerium in Minsk auf seinem Telegram-Kanal. "Wir teilen Ihnen mit, dass die Militärabteilung und die Unternehmensleitung einen Fahrplan für die nahe Zukunft für die Ausbildung und den Erfahrungstransfer zwischen Einheiten verschiedener Teilstreitkräfte der Streitkräfte entwickelt haben."

Basis für Afrika-Missionen

Die kampferfahrenen Wagner-Soldaten werden zunächst als Militärausbildner eingesetzt. Ein entsprechendes Video verbreitete ein örtlicher Fernsehsender. Das Wagner-Camp in Belarus wird auch als Basis für die Einsätze der Söldner in Afrika dienen, heißt es im Netz. Von dort aus werden Truppen ausgetauscht. "Die Jungs ruhen sich aus und gewinnen an Kraft. Jetzt ist es sehr wichtig, das afrikanische Kontingent zu rotieren, das seit mehreren Jahren ohne Rotation ist", heißt es auf dem einschlägigen Militärblogger-Kanal "belarussischer Silowik".

Die Wagner-Söldner könnten aber auch jederzeit wieder in der Ukraine eingesetzt werden. Das befürchtet zumindest Swetlana Tichanowskaja, die die belarussische Opposition im Exil anführt. "Die Präsenz von Wagner bedroht nicht nur die Unabhängigkeit und Souveränität von Belarus, sondern auch unsere Nachbarn." Für sie besteht kein Zweifel, dass "Lukaschenko die Wagner-Söldner nicht kontrollieren wird".

Angst, dass Belarus in die Kämpfe mit dem Nachbarland Ukraine hineingezogen werden könnte, haben viele im Land. Auf dem Onlinekanal "Euroradio.FM", in Belarus als extremistisch eingestuft, bringt es eine Anwohnerin, die anonym bleiben will, auf den Punkt. "Wir haben alle Angst, nicht nur ich. Wir alle leben in Angst. Wir bitten Gott nur, dass wir Frieden haben. Das ist das Wichtigste." (Jo Angerer aus Moskau, 19.7.2023)