illustration of an angry gamer screaming at his phone, bright colours
Dieses Bild wurde mit der KI Midjourney erstellt. Der Prompt lautete: "illustration of an angry gamer screaming at his phone, bright colours. --ar 3:2"
Midjourney/Stefan Mey

"Apex Legends" ist "garbage", also Müll, meint der Steam-User "green amogus". Die Server seien Müll, die Entwickler, das Balancing, das Matchmaking, das Audio, die Skins, die Map-Rotation und "everything else" – alles "garbage".

Bemerkenswert an dieser negativen Steam-Review mit dem knallroten Daumen nach unten: "green amogus" hat "Apex Legends" trotzdem nicht so wenig Lebenszeit geopfert. 2.017,2 Stunden insgesamt hat der Spieler gebraucht, um zu seinem vernichtenden Urteil zu kommen. Das sind ziemlich exakt 84 volle Tage Spielzeit oder umgerechnet 50 ganze Vollzeitarbeitswochen.

Wer sich auf Steam auch nur kurz weiter umsieht, findet jede Menge ähnlicher Fälle. Ein Spieler mit dem zugegeben gelungenen User-Namen "ElFishPresley" kommt nach 2.462 Stunden mit "Path of Exile" in seiner Negativrezension zum prägnanten Fazit: "Tut euch das nicht selbst an." User "big_senora-2nd" bemüht nach 1.019 Stunden "Destiny 2" einen drastischen Vergleich: "Von diesem Spiel wegzukommen fühlt sich an wie die Flucht aus einer missbräuchlichen Beziehung."

Irgendwann reicht es

Die Spiele, von denen man sich irgendwann nur mit viel Energie und wachsendem Ekel losreißen kann, sind dabei nicht einmal wie oben immer nur jene klischeehaften MMOs oder Free-to-Play-Moloche, bei denen die Abhängigkeitsmaximierung des Publikums fixer Teil des Designs ist. Bei Nachfragen im Bekanntenkreis stellt sich heraus, dass auch Klassiker wie "Skyrim", "Sims", "Civilization" oder "Animal Crossing" zu jenen Spielen gehören, auf die manche eher mit einem Gefühl der Scham zurückblicken.

Die Jahre, die manche "WoW" geopfert haben, dieser eine Winter, in dem hunderte Stunden in "XCOM" oder "Stellaris" geflossen sind, der Sommerurlaub, der mit "Battlefield" zerronnen ist – so manche Zeitgenossen, die objektiv betrachtet "viel" Zeit in einzelne Spiele investiert haben, schauen nicht mit positiven Gedanken auf diese Zeitspannen zurück. Das mag an den jeweiligen Spielen liegen – oder aber auch an den sozialen Wertvorstellungen der Gesellschaft, die zum Beispiel auf die mit anderen Medien verbrachte Zeit viel wohlwollender blickt als auf die "verzockte".

"Verschwende deine Jugend – aber nicht so!"

Irgendwie ungerecht: Wer überdurchschnittlich viel liest, bingewatcht, sich mit Musik beschäftigt oder sich auch nur anderen Spielen als elektronischen widmet, muss eher nicht befürchten, von breiten Teilen der Gesellschaft dafür reflexhaft negativ beurteilt zu werden. Dass die mit Videospielen verbrachte Lebenszeit prinzipiell "verschwendet" ist, ist ein Vorurteil, das – jede Wette – auch in den Kommentaren zu diesem Text wieder fröhliche Urständ feiern wird.

Videospielfans verdrehen bei so viel Ignoranz gegenüber einem vielfältigen Medium zu Recht die Augen. Umso schwerer fällt es trotzdem, sich angesichts dieses jahrelang bekämpften gesellschaftlichen Stigmas selbst einzugestehen, dass nicht jede Minute, die mit dem Levelgrinding in diesem oder jenem Dungeon zugebracht wurde, hätte sein müssen.

Der Verteidigungsreflex sitzt tief, immerhin wird man als Spielefan seit Jahrzehnten von Ahnungslosen geringgeschätzt. Da fällt Selbstkritik manchmal schwer, weil sie scheinbar Wasser auf die Mühlen unsympathischer Zeitgenossen mit wenig Ahnung, aber vielen Vorurteilen sein könnte. Einfache Faustregel, nicht nur für Videospiele: Wenn das "echte" Leben leidet, wenn Wichtiges zu kurz kommt, weil das aktuelle Faszinosum allzu sehr lockt, ist Vorsicht angebracht.

Videospiele sind nix Besonderes mehr

Darin unterscheiden sich Games kaum von anderen Dingen, mit denen man unter Umständen gar zu viel Zeit verbringt. Videospiele sind längst ein "ganz normales" Medium geworden, das den Zusatz "Mitte der Gesellschaft" absolut nicht mehr braucht. Es gibt gute, schlechte, mittelmäßige und natürlich auch hervorragende und solche, die man exakt bis zum Überdruss genießt – und danach nicht mehr. Ja, manche Spiele verschwenden unsere Zeit; das ist in gewisser Weise der Sinn dahinter.

Die allwöchentliche Autowäsche, der stundenlange Instagram-Scrollmarathon, der sonntägliche "Tatort", Band 53 von Rosamunde Pilcher, der B-Promi-Podcast oder "Germany’s Next Topmodel" Staffel zwölf – das Schöne am Leben im (relativen) Luxus unserer westlich-europäischen Gesellschaft ist immerhin, dass man nicht jede Sekunde seines Lebens einer Verwertungslogik unterwerfen muss und durchaus hin und wieder einmal Zeit "verschwenden" will – und darf.

Obacht: Addiction by Design

Aber trotzdem: Vielleicht ist im Sinn des oben genannten "Verteidigungsreflexes" dennoch hin und wieder etwas Selbstreflexion angebracht, was die Besonderheiten mancher Videospiele betrifft. Wenn Spieler weltweit gar zu begeistert davon reden, dass sie nach Spiel XY gar zu "süchtig" seien – auf gewisse Weise ein hohes Lob –, ist der später auftretende Kater samt Ekel angesichts des eben noch genossenen Exzesses schon vorprogrammiert. In gar nicht so wenigen Games, besonders in den eingangs erwähnten kostenlosen Spielen, die ihre Milliarden mit Verkäufen in diversen Item-Shops machen, ist das Herbeiführen einer psychischen Abhängigkeit nicht nur ein Nebeneffekt, sondern kühl kalkuliert; ein Synergieeffekt, der mit dem Einfließen psychologischer Mechanismen aus der Toolbox des Glücksspielbusiness ins Gamedesign eingeschlichen hat.

Die meisten brauchen allerdings, siehe oben, nicht 2.000 Stunden und mehr, um zu dem Schluss zu kommen, dass die eigene Lebenszeit für manche Endlosspiele, die zu wenig Zeit für Besseres übrig lassen, dann doch zu kurz ist. Nicht zuletzt vielleicht: für andere Videospiele, die sorgsamer mit ihren Anforderungen an unsere Aufmerksamkeit umgehen. Wie geht’s Ihnen damit? (Rainer Sigl, 22.7.2023)