Johannes Dieterich aus Johannesburg

Den Stein, der ihr vom Herzen fiel, wusste Südafrikas Regierung gleich in ein Denkmal für sich zu verwandeln. Die Absage der persönlichen Teilnahme des russischen Präsidenten Wladimir Putin am Gipfeltreffen der Brics-Staaten Ende August in Johannesburg wird in Pretoria als Triumph gefeiert. Präsident Cyril Ramaphosa habe durch beharrliche Gespräche eine für alle Seiten befriedigende Lösung für ein hochexplosives Problem gefunden, teilte das südafrikanische Außenministerium einen Tag nach der Bekanntgabe der Entscheidung Putins am Donnerstag in Johannesburg mit. Gleichzeitig sieht Pretoria seine in Washington scharf kritisierte Politik der "aktiven Blockfreiheit" bestätigt: Ohne sie hätte Ramaphosa weder Putin zu einer Absage seiner Teilnahme bewegen noch den afrikanischen Friedensplan für ein Ende des Kriegs in der Ukraine vorantreiben können, sagte Außenamtssprecher Clayson Monyela vor der Presse.

Putins Teilnahme am Gipfeltreffen der fünf Brics-Staaten, denen neben Südafrika und Russland auch China, Indien und Brasilien angehören, hatte die Regierung in Pretoria vor das größte außenpolitische Dilemma ihrer fast 30-jährigen Geschichte gestellt. Putin wurde vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt, zu dessen Mitgliedsstaaten Südafrika gehört: Putin hätte deshalb bereits bei seiner Ankunft in Johannesburg verhaftet werden müssen. Südafrikas Dilemma sorgte in den vergangenen Monaten für erhöhte diplomatische Aktivität: Moskau wies eine virtuelle Teilnahme Putins zunächst entschieden zurück, während Indien eine Verlegung des Gipfels nach China ablehnte.

Zeitpunkt der Absage unklar

Für Überraschung sorgte nun die Behauptung der südafrikanischen Regierung, Putin habe sich bereits am Rand des Besuchs der afrikanischen Friedensdelegation am 17. Juni in St. Petersburg zu einer rein virtuellen Teilnahme am Brics-Gipfel bereiterklärt. Ramaphosa habe dies nicht öffentlich bekanntgeben können, weil er zunächst das Einverständnis der anderen Brics-Mitglieder habe einholen müssen. Diese Darstellung widerspricht allerdings einem Affidavit, das Ramaphosa vor wenigen Tagen vor Gericht vorlegte. Darin heißt es, Moskau habe eine Verhaftung des russischen Präsidenten als "Kriegserklärung" bezeichnet, wobei selbst der Einsatz nuklearer Waffen nicht ausgeschlossen wurde. Die Erklärung des Präsidenten wurde im Rahmen eines von der Demokratischen Allianz (DA) angestrengten Gerichtsverfahrens abgegeben, mit dem die Oppositionspartei die Regierung zwingen wollte, sich zur Verhaftung Putins im Fall seiner Teilnahme am Brics-Gipfel zu verpflichten.

Russlands Präsident Wladimir Putin (links) Mitte Juni mit seinem südafrikanischen Amtskollegen Cyril Ramaphosa (rechts) in St. Petersburg.
Russlands Präsident Wladimir Putin (links) Mitte Juni mit seinem südafrikanischen Amtskollegen Cyril Ramaphosa (rechts). Ob Letzterer damals schon wusste, dass der Kreml-Chef nicht persönlich am Brics-Gipfel teilnehmen wird, ist unklar.
AFP/RIA NOVOSTI/RAMIL SITDIKOV

Die Frage, warum Ramaphosa diese Erklärung abgab, obwohl er Putins Entschluss, nicht teilzunehmen, angeblich bereits kannte, vermochte das Außenministerium am Donnerstag nicht zu beantworten. Ramaphosas Behauptung war schon zuvor in Moskau zurückgewiesen worden: Putin habe gegenüber Ramaphosa niemals von einer Kriegserklärung gesprochen, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow.

Politik der aktiven Blockfreiheit

Unabhängig derartiger Ungereimtheiten feiert Pretoria die Absage Putins als Ergebnis der beharrlichen Bemühungen Ramaphosas und seiner zahlreichen Telefongespräche mit dem russischen Präsidenten. Auch Südafrikas Politik der aktiven Blockfreiheit ("active non-alliance") sei dabei entscheidend gewesen: Darauf basiere sowohl die Verständigung mit Putin als auch die afrikanische Friedensinitiative für die Ukraine, deren Wortführer Ramaphosa ist.

Zane Dangor, Generaldirektor im südafrikanischen Außenministerium, trat der vor allem in Washington geäußerten Klage über eine zu enge Verbindung Pretorias zu Moskau mit dem Hinweis entgegen, Südafrikas Regierung habe seit Beginn des Ukraine-Konflikts auf der Einhaltung des in der UN-Charta formulierten Prinzips der "territorialen Integrität" bestanden, mit der sich die russische Invasion nicht vereinbaren lasse. Dass sich Südafrika den von Washington angeregten Verurteilungen Russlands in der UN-Vollversammlung nicht angeschlossen habe, lag nach Dangors Worten an der US-Regierung, die eine Debatte über die scharfen Formulierungen der Resolutionen nicht zugelassen habe. "Verurteilung und Isolierung bringt uns einer Lösung des Konflikts nicht näher", so Dangor. "Unsere Position hat den Vorteil, dass wir mit allen Seiten reden können."

Dass der am 22. August beginnende dreitägige Johannesburger Brics-Gipfel von der Nichtteilnahme Putins beeinflusst werde, hält Südafrikas Außenamt für ausgeschlossen: Der russische Präsident nehme an allen wichtigen Terminen des Gipfels virtuell teil, hieß es: Persönlich wird an seiner Stelle Außenminister Sergej Lawrow dabei sein. (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 20.7.2023)