Johann Schmidberger arbeitet gerade drinnen, in seiner Schmiede im oberösterreichischen Molln, an einem Degen. Zum Gespräch bittet er in die Stube des Schmidberger-Hauses vis-à-vis, die voll ist mit schönen alten Dingen.

STANDARD: Die Schmiede, die Sie und Ihr Bruder hier betreiben, existiert seit 1350 und gehört seit rund 200 Jahren Ihrer Familie. Hätten Sie beruflich überhaupt eine andere Wahl gehabt?

Schmidberger: Unser Vater hat uns zu nichts gezwungen. Er selbst hat Schmied lernen müssen, weil er der Älteste war, er wollte das eigentlich gar nicht. Aber uns hat er gefragt, ob wir das wollen – und wir wollten. Wir waren als Kinder schon in der Schmiede, haben mit fünf, sechs die ersten Verbrennungen gehabt. Für mich war klar, dass ich was Handwerkliches mache. Mit den Händen etwas zu schaffen, das ist schon das Beste, fürs Büro bin ich nichts. Und noch zu unserer Familie: Die Schmidberger-Linie lässt sich bis ins 14. Jahrhundert in die Schweiz zurückverfolgen, zu drei Brüdern, die in dem Ort namens Schmidberg Schmiede waren. Von dort stammt auch unser Name. In Molln taucht der erste Schmidberger 1587 auf.

Der Schmied Johann Schmidberger mit einem Helm in der Hand, hinter ihm ein Harnisch und eine alte Rüstung.
"Moderne Maschinen brauchen wir nicht": Johann Schmidberger.
Regine Hendrich

STANDARD: Wie die Habsburg-Lothringens: Die Habsburg steht auch in der Schweiz.

Schmidberger: Genau. (lacht)

STANDARD: Sie haben auch zwei Schwestern. Gibt es eigentlich viele Schmiedinnen?

Schmidberger: Es gibt welche. Bei uns hat einmal eine ein Praktikum gemacht, sie hat dann aber später auf Krankenschwester umgelernt. Bitte nicht falsch verstehen, aber man braucht als Schmied schon sehr viel Kraft.

STANDARD: Workout im Fitnessstudio brauchen Sie nicht?

Schmidberger: Nein, Gott sei Dank nicht.

STANDARD: Was ist denn das Faszinierende an Eisen?

Schmidberger: Das Faszinierende am Eisen? Dass es geduldig ist. Mit Eisen kann man mehr machen als mit jedem anderen Material. Ich kann es verformen, in alle Richtungen biegen, wenn es 900 bis 1.300 Grad warm ist, immer wieder daran weiterarbeiten, bis es passt. Ganz anders als etwa bei Holz: Wenn ich mich da verschneide, muss ich's wegschmeißen.

STANDARD: In Schmieden ist es recht dunkel: Damit man an der Farbe des Eisens erkennt, wie heiß es ist?

Schmidberger: Ja, wir erkennen das an der Glühfarbe. Bei 900 Grad ist Eisen kirschrot, das kennen Sie vielleicht vom Grillen, wenn der Schürhaken heiß wird, und es geht bis zur Weißglut bei 1.300 Grad. Da ist es hellgelb und kurz vorm Schmelzen. Beim Damastschmieden arbeitet man genau in dem Bereich.

Der Schmied Johann Schmidberger steht am Ofen und hält eine Klinge ins Feuer.
An der Glühfarbe erkennt der Schmied die Temperatur des Eisens.
Regine Hendrich

STANDARD: Sie und Ihr Bruder sind je zur Hälfte an Ihrer Offenen Gesellschaft, OG, beteiligt und teilen sich auch die Arbeit. Fürs Damastschmieden etwa, bei denen zwei Stahlsorten verwendet werden, sind Sie zuständig, er für Restaurierungen.

Schmidberger: Genau, jeder hat sein Spezialgebiet und seine Kunden. Mein Bruder ist zum Beispiel Spezialist fürs Restaurieren antiker Schusswaffen und für komplizierte Schließmechanismen antiker Eisentruhen, die feuerfest waren und in denen wichtige Dokumente aufgehoben wurden. Die Schlösser konnte man mit damaligen Mitteln nicht knacken. Und ich hab grad wieder einen Offiziersdegen mit einer Damastklinge an den Vatikan geliefert.

STANDARD: Was ist das älteste Gerät, das Sie noch verwenden?

Schmidberger: Ein Amboss aus der Gotik, der ist rund 600 Jahre alt. Den haben wir aber grad verliehen, der ist bei der Maximilian-Ausstellung in Innsbruck.

STANDARD: 600 Jahre.

Schmidberger: Ja. Was hat heute noch 600 Jahre Bestand? Was hält so lang?

Geräte und ein Ofen im alten, geschützten Schmiedegebäude in Molln.
Das Gebäude der ursprünglichen Schmiede, die "Schmidten bei der Lacken", dient als Museum und ist als internationales Kulturdenkmal geschützt.
Regine Hendrich

STANDARD: Beschäftigen Sie Themen wie KI, die Wirtschaft und Leben verändern trotzdem? Welche modernen Mittel nützen Sie?

Schmidberger: Schon, aber es verursacht mir ein eher unangenehmes Gefühl. Es ist schon viel Wissen verloren gegangen, auch im Handwerk. Aber natürlich verwenden auch wir Geräte wie Bohr- oder Schleifmaschine, sonst könnten wir ja nicht wirtschaftlich arbeiten. Wir nützen auch gewisse Fortschritte, wenn wir zum Beispiel Serienteile brauchen, kaufen wir die bei Firmen, die das schneller und günstiger als wir herstellen. Das heißt aber nicht, dass wir nicht auch die alten Techniken behalten und anwenden. Moderne Maschinen brauchen wir nicht: Was nützt mir eine computergesteuerte Maschine, wenn ich fürs Programmieren länger brauche, als wenn ich etwas mit der Hand herstelle?

STANDARD: Ihr größter Auftrag ist auch Ihr bekanntester: Sie beliefern seit 2008 exklusiv die Schweizergarde im Vatikan, also die rund 140 Personenschützer des Papstes, mit Harnischen, Helmen, Hellebarden, Degen. Ist der Auftrag schon abgearbeitet?

Schmidberger: Wir arbeiten nach wie vor für die Schweizergarde. Bis jetzt haben wir rund 80 Harnische gemacht, die tragen die Gardisten aber nur zu bestimmten Anlässen, etwa bei ihrer Angelobung.

STANDARD: Die findet immer am 6. Mai im Damasus-Hof statt, Sie waren schon öfter dabei?

Schmidberger: Ja, heuer zum fünften oder sechsten Mal. Ich hab gleich auch zehn Hellebarden, acht Schwerter und drei Offiziersdegen runtergebracht. Es wurden aber wenig Gardisten angelobt, rund 26.

STANDARD: Für die gibt es auch strenge Anforderungen: Genommen werden nur unverheiratete, katholische Schweizer zwischen 19 und 30, die größer als 1,74 Meter sind und sich für mindestens 26 Monate verpflichten.

Schmidberger: Das wollen sie jetzt lockern. Es gibt nicht mehr viel Junge mit entsprechender Motivation.

Schweizergardisten auf dem Petersplatz in Rom in ihren gelb-blau-roten Uniformen, mit Helmen und Harnischen und Hellebarden. 
Die Helme und Harnische der Schweizergarde des Papstes kommen seit 2008 aus Molln und werden an hohen Feiertagen ausgeführt, wie hier zu Weihnachten auf dem Petersplatz.
Imago/Ulmer Pressebildagentur

STANDARD: Haben Sie bei allen Gardisten selbst Maß genommen?

Schmidberger: Wir haben die Schneidermaße bekommen und acht verschiedene Größen hergestellt, damit sie eine Auswahl haben. Für den größten Gardisten, der ist 1,97 Meter, haben wir aber eine Sonderanfertigung gemacht. Jetzt liefern wir ihnen noch Helme. Da hab ich einen Musterhelm geschickt bekommen, und dann musste ich schauen, wie ich den hinkrieg. Ich hab zwei Monate gearbeitet und dann alles wieder weggeworfen, aber irgendwann hat's geklappt. Und vorige Woche hab ich einen Anruf bekommen, dass ich einen Offiziershelm machen muss – der geht nach Amerika.

STANDARD: Nach Amerika?

Schmidberger: Ja, der Großteil der Garde-Ausrüstung wird von Sponsoren finanziert, ein Helm oder ein Harnisch kostet ja rund 5.000 Euro netto. Dieser Helm geht an einen Sponsor, der in den USA ein Museum hat und ihn unbedingt haben will.

STANDARD: Sie arbeiten hundert Stunden an einem Harnisch?

Schmidberger: Ja, auch an einem Helm und bei den Offiziersharnischen haben wir bis zu 400 Stunden Arbeitszeit, weil die sind millimetergenau maßgefertigt und komplett verziert. Da zeichne ich die Entwürfe, frage nach, ob das Muster gefällt, weil man kann da ja nicht irgendwas draufmalen.

STANDARD: Sie könnten ja heimlich kleine erotische Motive eingravieren.

Schmidberger: Na, das tät ich mich nicht trauen. Florale Ornamente kommen drauf, die Wappen des jeweiligen Papstes oder Heiligenfiguren. Und jetzt dürfen sich auch die Sponsoren verewigen lassen, natürlich nur dezent, und der Kommandant muss das genehmigen. Cola-Werbung dürfen wir keine reinmachen, ein Familienwappen schon.

STANDARD: Wer sponsert die Garde, das hat ja keinen Werbewert?

Schmidberger: Es gibt ganz unterschiedliche Sponsoren überall auf der Welt, vom Schweizer Kanton über Großindustrielle, Konzerne bis hin zu Anwälten oder ehemaligen Gardisten. Und in der Waffenkammer, die man besichtigen kann, steht sehr wohl bei jedem Helm dabei, wer den gesponsert hat. Andere machen eine Tierpatenschaft – und bei so einem Schweizergarde-Sponsoring hat man sich vielleicht für 400 oder 500 Jahre verewigt.

STANDARD: Wenn Sie ankommen im Apostolischen Palast: Werden Sie da genau gefilzt?

Schmidberger: Schon lang nimmer. Heuer im Mai hatte ich ein paar Freunde mit, und als wir zum Tor kamen, hat mich der Gardist mit "Hej, unser Waffenschmied!" begrüßt und durchgelassen. Das sind schon Privilegien.

STANDARD: Sie statten auch Theater, Opernhäuser und Filmproduktionen mit Waffen aus, haben Rüstungen für Plácido Domingo als Othello, Klaus Maria Brandauer als Wallenstein und Bruno Ganz als Odysseus geschmiedet. Ich dachte immer, auf der Bühne gibt's Kunststoffschwerter.

Schmidberger: Es ist umgekehrt: In den Theatern muss das Publikum den Ton beim Kämpfen hören, bei Filmaufnahmen kann der nachher eingespielt werden, daher kann man Plastikwaffen nehmen. Für die Schauspieler und Domingo hat mein Vater damals gearbeitet. Der Ärmste war sicher Brandauer: Er ist Stunden in unserer Rüstung auf der Bühne gestanden, "Wallenstein" dauert ja so lang. Das war sicher nicht lustig. In Genf haben wir für den gesamten "Ring der Nibelungen" alle Requisiten gemacht, von den Waffen bis zu den Schmiedehämmern – die aber hohl sein mussten, damit sie nicht zu schwer sind. Das war auch ein verrücktes Projekt.

Eine alte Eisentruhe mit geöffnetem Deckel, in dem man ein kompliziertes Schlösserwerk sieht.
Das Restaurieren von antiken Eisentruhen mit ihren hochkomplizierten Schlössern ist vor allem die Aufgabe von Georg Schmidberger.
Regine Hendrich

STANDARD: Was war denn Ihr schrägster Auftrag?

Schmidberger: Wir haben für den Künstler Günter Kaltenecker vor der Schmiede eine acht Meter hohe Skulptur angefertigt, die in Losenstein im Ennstal steht. Gefertigt ist die aus den Überresten der Elisabeth-Brücke in Losenstein, die die Deutschen im Krieg gesprengt haben und die Kaltenecker geborgen und aufgehoben hat.

STANDARD: Und für wen haben Sie die Zugbrücke gebaut?

Schmidberger: Für jemanden, der sein Unternehmen verkauft und sich dann hier in der Nähe eine Burg hingestellt hat. Für die haben wir fast zwei Jahre lang alle Schmiedeeisen-Arbeiten gemacht, von den Türbeschlägen bis hin zur Zugbrücke. Die kann man per Fernbedienung öffnen und schließen, die ist vier Tonnen schwer.

Die beiden Brüder Johann und Georg Schmidberger in ihrer Schmiede.
2007 haben Johann und Georg Schmidberger die Schmiede von ihren Eltern übernommen. Der Vater ist 2019 gestorben, Mutter Hildegard hilft mit.
Regine Hendrich

STANDARD: Wie sehr treffen Sie eigentlich die Preissteigerungen?

Schmidberger: Das Gute ist bei uns, dass der Großteil der Wertschöpfung in unserer Arbeitszeit steckt. Ein Helm wiegt ein Kilo. Ein Kilo Eisen kostet drei Euro. Wenn der Preis auf 3,50 Euro steigt, ist das eigentlich egal. Die Energiekosten und die Lieferzeiten treffen uns natürlich schon. Für die Fechtklingen, die ich gerade schmiede, brauche ich einen speziellen Stahl, den hab ich früher binnen zwei Wochen nach der Bestellung bekommen. Den such ich seit einem Jahr in ganz Europa, jetzt macht ihn die Voest für mich. Normalerweise bestelle ich von dem Stahl 100 bis 200 Kilo, jetzt muss ich eine halbe bis eine Tonne nehmen. Sonst greift die Voest den Auftrag nicht an. Das reicht dann halt für drei, vier Jahre.

STANDARD: Sie arbeiten mit Ihrem Bruder Georg und Ihrem Neffen Maximilian als Lehrling, erzeugen alles vom Nagel übers Grabkreuz bis zur Zugbrücke für Burgherren. Wollen Sie mit dem Betrieb noch weiterwachsen?

Schmidberger: Nein, ich bin zufrieden, unsere Auslastung ist ideal. Wären wir mehr Leute, müssten wir bei jeder Ausschreibung und jedem Preiskampf mitmachen, das würde dem Spaß an der Arbeit schaden.

STANDARD: Sie sind groß genug?

Schmidberger: 1,87 Meter. (lacht)

(Renate Graber, 23.7.2023)