Johannes Dieterich aus Johannesburg

Szenen wie aus einem Hollywood-Apokalypse-Streifen. Minibusse fliegen durch die Luft, mitten in der Stadt reißt eine Straße auf und hinterlässt eine klaffende Spalte, Menschen rennen kreischend durch die Straßen. Was sich am Mittwochnachmittag im alten Geschäftsviertel der südafrikanischen Metropole Johannesburg abspielte, ist als Attraktion des Jahres in Dutzenden von Videos in den sozialen Netzwerken zu sehen: Angesichts des choreografiert wirkenden Synchronflugs von vier Minibussen meint man es mit einem Film-Trick oder einem "Deepfake" zu tun zu haben.

Doch die Bilder sind echt – so echt wie die 48 Menschen, die von der Explosion unter einer Hauptverkehrsstraße im Zentrum von Johannesburg durch die Luft gewirbelt wurden und teilweise schwer verletzt im Krankenhaus endeten. Ein Mann wurde von einem Minibus zerquetscht. Die dreispurige Lilian-Ngoy-Straße ist über 400 Meter wie nach einem Erdbeben aufgerissen. Aber in Johannesburg bebt die Erde nicht, zumindest nicht in dieser Stärke.

Mehrere Theorien

Selbst zwei Tage nach dem Unglück steht noch immer nicht fest, worauf die Explosion zurückzuführen ist. Manche Augenzeugen glauben an einen Terroranschlag, andere machen die Straßenhändler verantwortlich, die ihre organischen Abfälle in die Kanalisation werfen, wo sie sich unter Freisetzung von Methan-Gas zersetzen würden. Wieder andere schieben die Schuld Obdachlosen in die Schuhe, die in der Kanalisation zu übernachten pflegen, oder illegalen Bergarbeitern, die in verlassenen Stollen rund um Johannesburg nach Goldresten suchen. Das städtische Gaswerk will mit der Explosion nichts zu tun haben: Sein Netzwerk habe keinerlei Druckverlust erlitten, hieß es. Fest steht indessen, dass die Explosion von einem Gas verursacht worden sein muss: Doch welches Gas es war und wie es freigesetzt wurde, steht in den Sternen.

Apokalyptische Szenen in Johannesburg.
EPA/KIM LUDBROOK

Überrascht ist trotzdem niemand. Fachleute verweisen auf die heruntergekommene Infrastruktur der Sechs-Millionen-Stadt, in der regelmäßig veraltete elektrische Substationen in Flammen aufgehen, allein im Jahr 2021 wurden den Wasserwerken 55.000 Lecks gemeldet, in den Straßen der Stadt wurden kürzlich mehr als 30.000 offene Schlaglöcher gezählt. Jahrzehntelang legte die Verwaltung der Metropole keinerlei Wert auf die Wartung ihrer Infrastruktur: Ihr vier Milliarden Euro umfassendes Budget wird zur Hälfte für Gehälter ausgegeben. Obdachlose bevölkern Parks, Friedhöfe und offene Räume, Diebe klauen alle möglichen Kabel aus der Erde oder von den Masten, Häuser werden besetzt und selbst Ampeln gestohlen. Die illegalen Minenarbeiter sollen in den stillgelegten Stollen sogar Sprengstoff verwenden, außerdem haben Chemikalien aus den einstigen Minen das Grundwasser verseucht. "Aus der Stadt des Goldes ist eine Stadt des Elends und des Niedergangs geworden", klagt die Johannesburger Journalistin Mandy Wiener.

Fachkräftemangel

Verantwortlich werden vor allem die Kommunalpolitiker gemacht, denen die eigene Bereicherung wichtiger als die Zukunft der Metropole sei. Die Stadtbehörde ist in Sachen Kompetenz vollkommen ausgeblutet: "Wir suchen dringend Gas-Experten, Bau-, Elektro- und Wasseringenieure", flehte die Verwaltung nach der Explosion in einer Whatsapp-Botschaft. Johannesburg beschäftige 40.000 Angestellte, weiß der Onlinedienst Daily Maverick: Doch die Personalpolitik des regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), der Parteimitgliedern statt Fachleuten die Jobs zuschustert, hat das Sachverständnis auf den Hund gebracht. Auch Bürgermeister Kabelo Gwamanda zeigt sich von der Krise heillos überfordert: Der Politiker der Kleinstpartei Al-Ja’amah verdankt sein Amt einer Koalitionsvereinbarung des ANC mit den linkspopulistischen Economic Freedom Fighters (EFF): Weil sich diese nicht auf einen ihrer Kandidaten verständigen konnten, bestimmten sie den abiturlosen Gwamanda als farblosen Frontmann. Das Krisenmanagement hat unterdessen der Premierminister der Gauteng-Provinz, ANC-Mann Panyaza Lesufi, übernommen.

Zahlreiche Autos wurden umgeworfen.
REUTERS/STAFF

Die Bevölkerung der Innenstadt muss sich jetzt auf noch härtere Zeiten gefasst machen. Die Häuser in der Nähe der Unfallstelle wurden zumindest vorübergehend geräumt, die Straßen großräumig abgesperrt, die Strom-, Wasser- und Gasversorgung wird für Wochen, wenn nicht für Monate unterbrochen sein. Als "A World Class African City" pries sich Johannesburg einst selbst – "Vorhof der Hölle" wäre passender gewesen. (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 21.7.2023)