Der Radweg beim Melk an der Donau.
Auf einem Aufeld bei Melk an der Donau will der Chemiekonzern Jungbunzlauer künftig Zitronensäure produzieren. Eine höchstgerichtliche Entscheidung hat das vorerst verhindert.
Jörg Bauer

Noch ist es ruhig auf dem Aufeld in Bergern, Niederösterreich. Dort, westlich des Stifts Melk, sollten eigentlich längst tausende Tonnen Zitronensäure produziert und in die ganze Welt verschifft werden. Doch der Widerstand der "Ritter der Au", einer lokalen Bürgerinitiative, verzögert den Bau des geplanten Chemiewerks länger als gedacht: Nach einer überraschenden Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH) muss das Vorhaben warten – ein vorübergehender Sieg für die Ritter.

Der Chemiekonzern Jungbunzlauer mit Hauptsitz in der Schweiz beliefert aus seinem bestehenden Werk im Weinviertel halb Europa mit Zitronensäure – hauptsächlich als Zusatzstoff für Nahrungsmittel. Die Kapazitäten der bisherigen Produktionsstätte reichen aber für die wachsende Nachfrage nicht mehr. Im Jahr 2017 begann Jungbunzlauer deshalb mit der Planung eines neuen Werks, dessen Bau 2020 bewilligt und 2021 vom Verwaltungsgericht bestätigt wurde. Jetzt, mehr als fünf Jahre nach Beginn des Verfahrens, heißt es zurück zum Start: Aus Sicht des VwGH hätte das Gericht die Einwände der Ritter stärker berücksichtigen müssen.

Umwelt und Tourismus

Die Ritter der Au, viele derer wohnen am gegenüberliegenden Donauufer, kritisieren, dass Jungbunzlauer das Wasser zur Produktion aus der Donau nehmen und als salzhaltiges Abwasser wieder zurück in den Fluss leiten darf. Vor Gericht stützen sie sich aber vor allem auf Nachbarrechte: Vom Werk würden Licht-, Lärm- und Geruchsemissionen ausgehen, welche die Lebensqualität und den Tourismus der Region gefährden könnten. Dass keine mündliche Verhandlung stattfand, um diese Nachbarrechte genauer zu erörtern, war der Hauptgrund für die Entscheidung des Höchstgerichts, das Vorhaben erneut prüfen zu lassen.

Für Jungbunzlauer kam die Entscheidung "überraschend", sagt Manager Josef Gaß auf STANDARD-Anfrage. Die neue Verhandlung werde jedoch am "Ergebnis des Verfahrens, dass das Vorhaben umweltverträglich und genehmigungsfähig ist, nichts ändern". Man werde an der Projektumsetzung festhalten.

Kritikerinnen und Kritiker sehen im Fall Jungbunzlauer ein Beispiel für den "Not in my backyard"-Effekt ("Nimby"), der zuletzt etwa beim Abbau von kritischen Rohstoffen diskutiert wurde. Demnach wollen Konsumentinnen und Konsumenten zwar billige Produkte – aber nicht die Umweltauswirkungen von deren Produktion in ihrer Nachbarschaft zu spüren bekommen.

"Not in my backyard?"

In diesem Sinn argumentiert Jungbunzlauer. Im Vergleich zu Zitronensäure etwa aus China sei die Produktion in Europa umweltschonend, sagt Gaß. Denn zur Stromerzeugung werde in China Kohle eingesetzt. Ein Problem sieht Gaß zudem in der langen Verfahrensdauer in Österreich. "Wir haben in Kanada ein Werk in der Nähe der Niagara-Fälle. Dort hat es bis zur Genehmigung acht Monate gedauert."

Auch bei den kritischen Rohstoffen wie Lithium oder Cobalt, die etwa für Elektroautos benötigt werden, stellen sich ähnliche Fragen: Die Europäische Union ist weitgehend von Zulieferern aus Asien und Afrika abhängig, ernsthafte Bestrebungen für einen eigenen Abbau gibt es jedoch nicht. Dort, wo es sie gibt, scheitern Vorhaben mitunter an Umweltauflagen oder am Protest der Anrainerinnen und Anrainer.

Die Ritter der Au wollen sich den Nimby-Vorwurf allerdings nicht gefallen lassen. Die Region sei speziell, ein Naturschutzgebiet in der Nähe und der Standort grenze direkt an das Weltkulturerbe Wachau. Es gebe in Niederösterreich einen enormen Leerstand an Industrieflächen, die genutzt werden könnten, ohne neue Grundstücke zu versiegeln.

Ob das die Richter des Verwaltungsgerichts im neuen Verfahren ähnlich sehen, bleibt abzuwarten. Bis dahin müssen die Baumaschinen auf dem Aufeld weiter ruhen. (Jakob Pflügl, 23.7.2023)