Der 23-jährige Tom Holland aus dem Südwesten Englands (nicht der Spiderman-Schauspieler) lebte im vergangenen Jahr meinen Traum. Der fußballverrückte Brite besuchte nicht weniger als 108 Spiele in 24 Staaten, 53 in 16 Ländern Eurasiens, 55 Matches in acht südamerikanischen Ländern. "Ich reise gern, bin an Geografie interessiert und mag Fußball", schildert er dem STANDARD per Videogespräch seine Motivation. Und weil er das TV-Format "Race Across the World" ebenfalls gerne mag, versuchte er zumindest den eurasischen Teil des Abenteuers ohne Flieger hinzubekommen – die klimatischen Bedenken seiner Generation im Hinterkopf.

Gescheitert ist dieses Vorhaben letztendlich an der aserbaidschanischen Bürokratie, weil diese seit Corona Touristen nur mehr per Flugzeug und nicht über die Landesgrenze am Boden ins Land lassen will. Und wenn zwischen dem finalen, meisterschaftsentscheidenden Spiel in der kasachischen Premjer-Liga und dir nur mehr das Kaspische Meer liegt, dann greift der geneigte Groundhopper halt doch auch mal zum schnelleren Flieger. Man dankte es ihm mit einem langweiligen 0:0. Aber zumindest sangen die paar wenigen Ultras einen Song zur selben Melodie wie bei einem seiner lokalen Teams, dem Plymouth Argyle FC.

Bei Kaspij Aqtau in Kasachstan.
Tom Holland

Es sind die kleinen Freuden des Groundhopperlebens, die Typen wie Holland zu diesen Abenteuern motivieren. Oder auch die Gratis-Bar bei Abdish-Ata Kant am Rande der kirgisischen Hauptstadt Bischkek. Das Team gehört einer Brauerei, und es war ebenfalls das meisterschaftsentscheidende Match. Einige Locals sollten die Bar für das Spiel nie verlassen. Andere forderten indische Studenten auf, ihnen frisches Bier auf die Tribüne zu bringen. Und nach der Partie gab es einen Kugelhantel-Bewerb, um zu sehen, wer der Stärkste auf den Rängen ist. Holland kann auch hier von keinem Sieg erzählen. Der Gewinner erhielt aber ein Balance-Board.

Stillere Türkei dank Erdoğan

Die Stimmung in Zentral- sowie Südosteuropa sei mit der in Zentralasien freilich nicht zu vergleichen. In Kontinentaleuropa dominiere die Ultras-, vereinzelt auch die Hooligankultur. Die Leidenschaft sei unvergleichlich. Pyros brennen laufend. Legia Warschau, die Spiele in Griechenland sowie das Belgrader Derby waren im Nachhinein die stimmungsgeladenen Highlights. Holland erzählt aber auch von den Gegensätzen, wenn er sich etwa an einem Wochenende die Spiele von Tennis Borussia Berlin und Dynamo Berlin ansieht, deren Fanszenen an unterschiedlichen Enden des politischen Spektrums angesiedelt sind. Er berichtet aber auch von der Türkei, wo – als Reaktion auf die gemeinschaftlichen Ultra-Proteste gegen Recep Tayyip Erdoğan im Gezi-Park – der Staat eine immer striktere Überwachung einführte und die Stimmung abseits der großen Istanbuler Großklubs seither einschlief.

Tom (links) mit Papa Holland (Mitte) bei den Excursionistas.
Tom Holland

Holland stimmt der allgemein geltenden Formel, wonach Buenos Aires die Fußballwelthauptstadt sei, zu. "Ich wollte zwei Wochen bleiben, dann wurden es drei und später sogar vier." Je nach Stadtviertel wisse man anhand der Klubfarben und Graffitis ganz genau, wo man sich befinde. Es sei der Himmel für Groundhopper, und dennoch spüre man den Fanatismus der argentinischen Bevölkerung auf dem Land teils noch heftiger. Die südamerikanischen Barra Bravas, wie die lateinamerikanischen Fußballfanclubs heißen, und auch die Allgemeinheit befinden sich laut Holland nach wie vor in einem Art "Fußballfieber" nach dem WM-Erfolg 2022 – abseits, trotz oder gerade wegen aller gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme.

Südamerikanische Ekstase

Das einschneidendste Erlebnis in Buenos Aires sei ein Cupauswärtsspiel von CA Excursionistas gewesen. Der Verein, der aus einem nobleren Viertel stammt, musste in einem der ärmeren Viertel antreten – einer Gegend, vor der sicher Touristen wohl untereinander warnen würden, ob nun zu Recht oder nicht. Im Gegensatz zu Ligaspielen dürfen beim Cup auch Auswärtsfans mit. Der Klubpräsident hatte ihn und seinen Freund spontan persönlich zur Busfahrt eingeladen. Diese dauerte zwei Stunden statt der vorhergesehenen 45 Minuten. Entlang der Route wartete schwerstbewaffnete Polizei. Die Bustüren blieben selbst auf der Autobahn geöffnet. Der berauschte Bus sprang mit den singenden und hüpfenden Fans laufend auf und ab. Als nach einer Vollbremsung und herausströmenden Fans Holland schon an einen Raubüberfall dachte, realisierte er, dass nur die herausgefallene (oder herausgetretene?) Heckscheibe wieder reingedrückt wurde. Nachdem der Viertligist überraschend im Elfmeterschießen gewann, war die Rückfahrt keineswegs ruhiger. "Es war wohl der beste Fußballtag meines Lebens", sagt der angehende Lehrer, der zu Hause im Südwesten Englands Torquay United unterstützt.

In Ushuaia besuchte er den südlichsten Fußballplatz, auf dem regelmäßig semiprofessionell Fußball gespielt wird – mit Gletschern im Hintergrund. In Bolivien, in El Alto, brachte ihn eine Zahnradbahn zu einem Spiel in der höchstgelegenen Stadt der Welt. Vor dem Stadion wurden auf einem regulären Markt Bügeleisen und weiterer Krimskrams verkauft. Das merkwürdigste Stadionessen? Chicharrón in Bolivien: gebratene Schweineschwarten am Spieß mit reichlich Haar und peruanische Anticuchos ("nicht gerade das beste Stück"), Rinderherzen am Spieß ("zart und lecker").

Runter in die unteren Ligen

Seine Groundhoppingtipps: immer in Städte fahren, wo man die Chance hat, mehrere Spiele zu sehen, sodass man nicht enttäuscht wird, falls eines abgesagt wird. Ich kann das aus schmerzhafter Erfahrung in Casablanca übrigens nur bestätigen. Es gäbe zudem auf Facebook zahlreiche Gruppen, die stets mit Tickets helfen, sagt Holland. Auch die Social-Media-Teams der Vereine würden meist unterstützen. Bei der infrastrukturellen Planung sollte man stets Hotels mit Stornomöglichkeit buchen, weil immer etwas abgesagt werden kann. Er empfiehlt auch, mutig zu sein und sich die kleineren Matches abseits der großen Ligen anzusehen. Da würden oftmals die besten Überraschungen warten, man sehe Stadtviertel, die man bisher nicht kannte. Bei den Großen sei die Erwartungshaltung zudem oft ohnehin zu hoch, und man laufe Gefahr, enttäuscht zu werden.

Südamerika. Ekstase.
Fußball-Ekstase in Südamerika.
Tom Holland

Warum er dann letztlich doch aus Südamerika zurückkehrte? Die Sommervorbereitung für die Herbstsaison seines lokalen Heimatvereins geht los. Am Ende siegte also doch wieder König Fußball. (Fabian Sommavilla, 26.7.2023)