Wolf Österreich Abschuss
Überall, wo er auftaucht, sorgt der Wolf für hitzige Debatten.
APA/dpa/Christian Charisius

Sorgen habe er sich gemacht über die vielen Meldungen aus Österreich: über Wolfssichtungen und Menschen, die sich nicht mehr in den Wald trauten. So erzählt es der EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius im ORF-"Morgenjournal". Dann aber habe er sich informiert. Und jetzt sei er eher verwundert: 20 Wölfe habe Österreich bisher lediglich nach Brüssel gemeldet. "In Österreich sterben mehr Menschen nach Kuhattacken als nach Begegnungen mit dem Wolf", sagte Sinkevičius. Die "Alarmstimmung" finde er "unverhältnismäßig".

Die EU plane vorerst nicht, den Schutz des Wolfes – EU-weit eine geschützte Art – "aufzuweichen", hielt der Litauer fest. Das EU-Recht erlaube ja, Wölfe zu schießen, wenn sie zu nahe an Menschen herankommen. In vielen Ländern funktioniere das: "Ich weiß nicht, welche Hürden Österreich daher sieht, aber es ist wohl immer leichter, Brüssel die Schuld zu geben."

Schwarz-grüner Zwist um Schutzstatus

20 Wölfe sind in Österreich offiziell nachgewiesen, zwischen 50 und 80 sind es Schätzungen zufolge. Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) will den EU-weiten Schutz lockern, zum Schutz von Herden. Beim Wolf gehe die Argumentation aus Brüssel "an der Realität in den EU-Mitgliedsstaaten vorbei", meinte Totschnig in einer Stellungnahme. "Fakt ist, der Wolf ist in Europa nicht mehr vom Aussterben bedroht und vermehrt sich mittlerweile pro Jahr um bis zu 30 Prozent", hielt Totschnig fest. Rund 80 Wölfe hätten 2022 österreichweit 800 Tiere gerissen, 2021 seien es 500 gewesen. "Er verliert zunehmend die Scheu vor dem Menschen. Konflikte zwischen 'Mensch und Tier' sind vorprogrammiert. Ich habe kein Verständnis dafür, dass zuerst etwas passieren muss, bevor wir handeln dürfen. Die EU-Kommission muss die Sorgen der Menschen ernst nehmen", warnte der aus Osttirol stammende Minister.

Leonore Gewessler hingegen, Ministerin für Klima und Umwelt, verteidigt den Schutzstatus. Die grüne Ministerin hat sich etwa gemeinsam mit elf weiteren EU-Amtskollegen in einem Brief im Februar auf EU-Ebene für den Wolf starkgemacht. In Zeiten einer Biodiversitätskrise "ist die Tendenz der Entschließung, den rechtlichen Schutz des Wolfes zu schwächen, eindeutig" abzulehnen, heißt es in dem von der Slowakei initiierten Brief.

Das EU-Recht erlaubt bereits jetzt den Abschuss von Wölfen, wenn diese zu nahe an den Menschen herankommen, so der EU-Kommissar. Und einige Bundesländer haben so eine Ausnahme bereits: Tirol, Salzburg und Kärnten haben solche Abschussverordnungen erlassen. Dies kann nach Einschätzung von EU-Rechtsexperten möglicherweise rechtswidrig sein.

Abschüsse in Österreich

Ob die EU-Kommission ein Strafverfahren gegen Österreich plane, fragte der ORF den litauischen EU-Kommissar Sinkevičius. Darüber habe er keine Informationen, aber er verriet: Die EU-Kommission arbeite an einer Art Gebrauchsanleitung, wie sich Ausnahmeabschüsse konkret umsetzen lassen können, berichtet Ö1 in dem Beitrag. Letzteres dementiert ein Sprecher der Kommission. Kommissar Sinkevicius habe diese Äußerung nicht getätigt.

Erst am vergangenen Sonntag war im Virgental in Osttirol zum ersten Mal ein Wolf nach der neuen Maßnahmenverordnung der Tiroler Landesregierung erlegt worden. Diese war seit Ende Mai in Kraft und erlischt nach dem Abschuss mit sofortiger Wirkung, teilte das Land Tirol am Sonntag in einer Aussendung mit. Damit sind in Tirol noch sechs Abschussgenehmigungen für einen Wolf aufrecht, davon vier in Osttirol. Dort wurden heuer bisher 90 Weidetiere durch Wölfe getötet, weitere 150 werden vermisst.

Dornauer will "ganzjährige Bejagung von Wolf, Bär und Luchs"

Scharfe Kritik an EU-Kommissar Sinkevičius übte auch Tirols Landeshauptmann Anton Mattle (ÖVP). "Dass der Umweltkommissar fast 1.000 Schafe, die aufgrund von Großraubtieren im vergangenen Jahr in Tirol nicht mehr sicher im Tal angekommen sind, als unverhältnismäßig abtut, kann ich nicht nachvollziehen", erklärte Mattle. Im Jahr 2022 seien im Bundesland nachweislich über 400 Schafe gerissen worden, über 500 habe man nach Wolfssichtungen erst gar nicht mehr gefunden. Wolf und Bär würden den Menschen im dichtbesiedelten Alpenraum Angst machen: "Das kann der Kommissar nicht einfach ignorieren." Indes sprach auch Mattle eine Einladung an Sinkevičius aus: Und zwar zu einem Lokalaugenschein und Gesprächen "mit besorgten Bürgerinnen und Bürgern sowie betroffenen Almbauern" in Tirol.

Noch einen Schritt weiter ging in einer Reaktion auf den EU-Kommissar indes Tirols Landeshauptmannstellvertreter Georg Dornauer (SPÖ). "Es braucht die ganzjährige Bejagung von Wolf, Bär und Luchs. Das ist unser erklärtes Ziel. Mit oder ohne EU", erklärte Dornauer gegenüber der APA. Der Schutzstatus des Wolfs auf EU-Ebene sei in der aktuellen Situation "nicht mehr nachvollziehbar". Die Europäische Union und der Umweltkommissar seien "angehalten, das Gespür für die Bedürfnisse der Menschen nicht zu verlieren".

Der Umgang mit dem Wolf ist in der EU seit 30 Jahren in der sogenannten Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie), die den Artenschutz gewährleisten soll, geregelt. Der Wolf ist darin als "streng zu schützende Tierart von gemeinschaftlichem Interesse" gelistet und darf damit nur in ganz wenigen Ausnahmen abgeschossen ("entnommen") werden. (red, APA, 24.7.2023)