Eine junge und eine ältere Frau, die gemeinsam mit  ihrem Bizeps posieren.
Die Wechseljahre sind ein längerer Prozess, und die meisten Frauen durchleben sie zwischen 45 und 60. Doch das heißt noch lange nicht, dass sie damit von der gesellschaftlichen Bildfläche verschwinden. Auch dafür setzt sich die Plattform "Wechselweise" ein.
Getty Images

Ein Drittel aller Frauen spürt die Wechseljahre gar nicht. Und das ist gut so. Doch rund zwei Drittel haben mit plötzlichen Schweißausbrüchen, schlaflosen Nächten, Herzrasen oder auch einem Gefühl der Antriebslosigkeit zu kämpfen. Die veränderte Hormonproduktion kann das Leben manchmal ganz schön auf den Kopf stellen.

Bis vor kurzem sind diese Frauen einfach von der gesellschaftlichen Bildfläche verschwunden. Doch das ändert sich gerade. Hollywoodstars wie Gwyneth Paltrow sprechen öffentlich über dieses Thema, Frauen die mitten im Leben stehen, wollen sich ihre Zukunftsperspektiven nicht vermiesen lassen.

Das wollte auch Veronika Pelikan nicht. Als die heute 62-Jährige in den Wechsel kam, fühlte es sich an, als würde auf einmal ein grauer Schleier über allem liegen. Das wollte sie nicht hinnehmen, sie recherchierte und stieß auf neue Erkenntnisse zur Hormonersatztherapie. Nicht nur für sich selbst, auch für andere Frauen – und für die gesamte Gesellschaft – will sie dieses Thema sichtbarer machen. Deshalb gründete sie vor zwei Jahren, in Eigenregie, die unabhängige Plattform "Wechselweise". Ihr Ziel: Frauen alles Wissen, das sie für diese Lebensphase brauchen, an die Hand zu geben. Und den gesellschaftlichen Diskurs aufzumischen. Denn das Thema ist kein rein weibliches, es hat starken Einfluss auf die gesamte Volkswirtschaft.

Im Interview erzählt die ehemalige Journalistin und nunmehrige Aktivistin, warum Hormonersatztherapie kein Schreckgespenst ist, wie sich die gesellschaftliche Wahrnehmung gerade verändert und was sich auch in der Ärzteschaft noch tun muss.

STANDARD: Mit den Wechseljahren, hat man hat immer noch den Eindruck, verschwinden viele Frauen zumindest von der gesellschaftlichen Bildfläche. Woran liegt das?

Pelikan: Ich denke, das hat viele Gründe, die nicht klar abgrenzbar sind. Aber einer ist sicher, dass unsere Sehgewohnheiten darauf hintrainiert sind, junge, hübsche Frauen zu sehen, die auch als potenzielle Mütter von Familien infrage kommen. Salopp gesagt, eignet sich die Frau nach der Menopause wohl eher nicht mehr dafür, auf einer Motorhaube zu posieren. Das zeigt sich auf mehreren Ebenen. Für die Gründung von "Wechselweise" haben wir uns zum Beispiel auf die Suche nach Bildern gemacht. Junge Frauen haben wir in den entsprechenden Datenbanken zu Hauf gefunden. Dann ist es aber abgerissen, und es kam lange nichts, erst wieder die lustige Oma mit den Apfelbäckchen. Dazwischen gab es einfach kaum Bildmaterial. Jetzt wird die Gesellschaft aber älter, 80 Jahre und mehr sind ganz normal. Das führt dazu, dass auch Frauen in dieser "Zwischenphase" sich als mitten im Leben stehend betrachten und ihre Unsichtbarkeit nicht länger hinnehmen wollen. Dass sie bisher kaum wahrgenommen wurden, ist ohnehin ein riesiger Schaden.

STANDARD: Warum ein Schaden?

Pelikan: Das ist natürlich ein Problem für jede einzelne Frau, weil diese Nichtsichtbarkeit dazu führt, dass sie womöglich nicht die medizinische Hilfe bekommt, die sie in dieser Lebensphase braucht. Aber daraus entsteht auch ein enormer volkswirtschaftlicher Schaden. Stellen Sie sich vor, jeder zehnte Mann würde seinen Job kündigen. 13 Prozent würden überlegen, den Job zu kündigen und 17 Prozent würden ihre Arbeitszeit reduzieren. Das ist bei Frauen im Wechsel nämlich der Fall. Diese Zahlen sind keine Fantasieprodukte, genau das hat eine britische Umfrage gezeigt, die die Situation von Frauen in den Wechseljahren am Arbeitsplatz untersucht hat. Die Gründe, warum sie dem Arbeitsmarkt verloren gehen, wurden auch abgefragt und sind relativ einfach. Man nimmt ihre Beschwerden nicht ernst, man macht sich lustig über sie, man bemüht sich nicht, ihnen ein Arbeitsumfeld zu bieten, das auf Wechselbeschwerden Rücksicht nimmt, sie bekommen keine ausreichende Aufklärung und auch nicht die richtige ärztliche Versorgung. Und das nimmt man bei den Frauen alles einfach hin.

STANDARD: Tatsächlich wissen immer noch erstaunlich wenige genauer über den Wechsel Bescheid, auch viele Frauen sind völlig unvorbereitet. Wie definiert man diese Lebensphase genau?

Pelikan: Am verbreitetsten ist wohl der Begriff "Wechsel". Und der trifft es auch recht gut, es ist eine Phase der Veränderung. Grob gesagt geht die von Mitte 40 bis etwa 60 Jahre. Das heißt, ein Viertel aller Frauen befindet sich gerade in dieser Phase. Den Wechsel unterteilt man in mehrere Phasen, ein wichtiger Moment ist da die Menopause. Das ist an sich ein sehr kurzer Moment, nämlich wenn klar ist, die Periode bleibt jetzt endgültig aus. Das ist der Zeitpunkt, an dem die Regel ein Jahr lang ausgesetzt hat, das passiert durchschnittlich mit 51 Jahren. Davor ist man in der Prämenopause, die beginnt Jahre zuvor. Die Hormonproduktion verändert sich ja schon viel früher, das ist ein fließender Prozess ab etwa 40 Jahren, spätestens aber ab Mitte 40. Das Progesteron wird weniger, das führt zu kürzeren oder unregelmäßigeren Zyklen oder auch stärkeren Blutungen. Mit der Menopause stellen die Eierstöcke ihre Arbeit dann komplett ein und produzieren auch kein Östrogen mehr, man kommt in die Postmenopause.

STANDARD: Spricht man vom Wechsel, assoziiert man damit in erster Linie Hitzewallungen. Und manchmal hört man, dass es den Frauen schlechtgeht. Gilt das für alle?

Pelikan: Nein, bei weitem nicht alle Frauen haben Beschwerden in dieser Zeit. Etwa ein Drittel geht sogar relativ unbeschwert durch diese Phase und hat keine größeren Probleme. Ein weiteres Drittel hat mittelmäßige Probleme wie Schwitzen, Hitzewallungen, schlechteren Schlaf – das ist übrigens ein Symptom des Wechsels, das vielen nicht bewusst ist –, manche haben öfter Herzklopfen, und auch eine gewisse innere Unruhe oder Antriebslosigkeit kann auftreten. Und etwa ein Drittel der Frauen hat wirklich starke Beschwerden. Sie können nicht schlafen, bekommen Herzrasenattacken bis hin zu Panikstörungen. Auch Depressionen können durch die Hormonveränderung auftreten. Dann ist man übermüdet, kann sich nicht mehr konzentrieren, fühlt sich völlig erledigt. Und genau für diese zwei Drittel der Frauen, die den Wechsel sehr wohl spüren, wollen wir eine Anlaufstelle sein. Es gibt hier nämlich wirklich sehr gute und effiziente Hilfe.

STANDARD: Sie sprechen von Hormonersatztherapie? Aber erhöht die nicht das Brustkrebsrisiko?

Pelikan: Nein, das tut sie nicht. In vielen Fällen verbessert sie die Gesundheit sogar. Aber man muss diese Therapie richtig einsetzen. Genau das ist lange nicht passiert, und daher kommt auch diese große Angst vor Hormonen. In den 1990er-Jahren wurde die Hormonersatztherapie als große Errungenschaft gefeiert, wirklich viele Frauen haben sie oft recht wahllos bekommen. Dann wurde in den Nullerjahren eine sehr große Langzeitstudie publiziert, die gezeigt hat, dass Hormonersatztherapie das Brustkrebsrisiko erhöht. Also hat man damit aufgehört. Und dieser Mythos hält sich hartnäckig bis heute, auch bei einigen Ärztinnen und Ärzten. In den 2010er-Jahren hat man aber viele der Daten noch einmal neu ausgewertet und gesehen, dass mehrere Faktoren nicht berücksichtigt wurden. Man hat zum Beispiel ganz willkürlich allen möglichen Frauen Hormone verschrieben, ohne die genauen Voraussetzungen zu prüfen. Das hat dazu geführt, dass auch ältere Frauen mit 65 oder sogar 70 Jahren noch behandelt wurden. Da kann die Therapie aber tatsächlich negative Effekte haben. Auch hat man damals keine bioidenten Hormone verwendet, die biochemisch genau so aufgebaut sind wie die im eigenen Körper produzierten. Sondern man hat Hormone aus Stutenurin hergestellt, das haben viele Frauen aber nicht gut vertragen. Die Neubewertung hat aber ganz klar gezeigt, dass die Hormonersatztherapie, wenn man sie zur richtigen Zeit einsetzt, also rund um die Menopause bis maximal zehn Jahre nach der letzten Regelblutung, und wenn jene Frauen sie bekommen, die Probleme haben, sogar gesundheitsfördernde Effekte hat.

STANDARD: Ist diese Neubewertung schon bei allen Ärztinnen und Ärzten angekommen?

Pelikan: Nein, das muss man ganz klar feststellen. Das erleben wir in der Praxis immer wieder. Wir bewegen uns ja viel auf Social Media, in speziellen Frauengruppen, da berichten viele Betroffene, dass sie nicht ernst genommen werden von Ärzten und auch Ärztinnen und dass sie nicht richtig behandelt werden. Beim Wechsel heißt es immer noch viel zu oft: "Das ist normal, das gehört dazu, da müssen Sie jetzt durch." Das stimmt aber einfach nicht mehr und diese fehlende Aufklärung ist ein großes Problem, finde ich. Und ich rate allen Frauen, dass sie sich in so einer Situation unbedingt einen Arzt oder eine Ärztin suchen sollen, die wirklich auf ihre Beschwerden eingeht und sie nicht abtut.

STANDARD: Warum wird das erst jetzt so thematisiert? Den Wechsel hat es ja im Leben der Frau immer schon gegeben.

Pelikan: Na ja, früher sind einfach ganz viele Frauen gar nicht in die Menopause gekommen. Noch um 1900 lag die Lebenserwartung der Frau irgendwo zwischen 40 und 50 Jahren. Jetzt werden wir aber viel älter, dadurch entstehen auch noch andere gesundheitliche Probleme. Osteoporose etwa oder kardiovaskuläre Erkrankungen. Man lernt hier im Moment wahnsinnig viel dazu und das wäre es wert, im Sinne vieler gesunder Lebensjahre und damit besserer Lebensqualität, hier noch viel genauer hinzusehen. Das betrifft ja nicht nur die Frauen, auch auf das Gesundheitssystem und die Gesellschaft wirkt sich das massiv aus. Auch Altersarmut ist ein Problem, wenn die Frauen nicht lang genug arbeiten, das zieht also einen ganzen Rattenschwanz an Problemen nach sich.

Porträt Veronika Pelikan
Veronika Pelikan (62) hat die unabhängige Plattform Wechselweise gegründet. Sie will damit mehr Bewusstsein schaffen und Wissen weitergeben über eine Lebensphase, in der sich gerade ein Viertel aller Frauen befindet.
Credit: Caro Strasnik

STANDARD: Sie haben die Plattform Wechselweise auch aus einer sehr persönlichen Motivation heraus gegründet. Wie war Ihre Wechselerfahrung?

Pelikan: Ich war schon auch stärker betroffen, ich würde mich wahrscheinlich zum mittleren Drittel zählen. Als ich in die Menopause gekommen bin, ist gerade meine Mutter gestorben. Da war es für mich ganz normal, dass es mir nicht so gut gegangen ist, ich habe ja um sie getrauert. Aber zwei Jahre später ist irgendwie immer noch ein grauer Schleier über allem gelegen ist, das hat mich dann stutzig gemacht. Zuerst habe ich mir gedacht, okay, ich bin Anfang 50, das Leben ist jetzt offenbar vorbei. Das hätte ich nicht so schnell erwartet, aber gut. Es war so ein Gefühl von "Wenn mir jetzt ein Ziegelstein auf den Kopf fällt, ist es auch egal". Ich würde nicht sagen, dass ich eine Depression hatte. Aber eine Zukunftsperspektive hatte ich auch nicht. Irgendwann habe ich aber angefangen, mich damit auseinanderzusetzen, habe mich eingelesen und festgestellt, das man mit Hormonen viel verbessern kann. Also habe ich das probiert und es war, wie wenn jemand einen Schalter umgelegt hätte. Der graue Schleier war weg und auf einmal hatte ich mein Leben zurück, ich hatte wieder eine Zukunft.

STANDARD: Wo sehen Sie bei dem Thema noch Baustellen?

Pelikan: Ich denke, man muss immer noch viel mehr darüber sprechen, damit sich das kollektive Denken über den Wechsel verändert. Wenn zum Beispiel eine Frau Anfang 50 zum Hausarzt kommt, weil sie Schlafstörungen hat, dann sollte der einmal einen Hormonstatus machen, anstatt ihr gleich Schlafmittel zu verschreiben. Wir wollen mit unserer Initiative mehr Diskurs schaffen und im Fokus bleiben. Ich meine, wir sind die Generation Sex, Drugs and Rock 'n' Roll. Warum sollten wir ausgerechnet im Wechsel den Mund halten? Tatsächlich hat sich auch schon einiges getan. Als wir vor zwei Jahren gestartet sind, haben viele potenzielle Kooperationspartner noch gesagt, nein, das ist eigentlich keine Zielgruppe für uns. Und mittlerweile haben sie den Bedarf erkannt und haben sogar eigene Berater, wie sie diese Altersgruppe erreichen können. Im angelsächsischen Raum ist das natürlich schon viel größer, der deutschsprachige Bereich hinkt, wie bei vielem, ein bisschen hinterher. Aber jetzt nimmt das Thema Fahrt auf. Und mir persönlich ist ein riesiges Anliegen, dass die Wechseljahre nicht nur dafür stehen, dass den Frauen ein bisschen heiß ist, sondern dass sie als gesamtgesellschaftliches Phänomen wahrgenommen.

STANDARD: Trotzdem reden auch viele Frauen, die mittendrin stecken, nicht gern über den Wechsel. Liegt das vielleicht daran, dass man das Gefühl hat, dann gehöre man zum alten Eisen?

Pelikan: Ja, das ist sicher ein Grund. Wenn ich an manche Werbeschaltungen im Abendprogramm denke, wo Frauen in diesem Alter mit braver Kurzhaarfrisur gezeigt werden, gekleidet in gedämpfte Farben, dann fühle ich mich auch überhaupt nicht angesprochen. Der Wechsel beginnt ja auch schon mit Mitte 40, da machen Frauen Karriere, erziehen Kinder, schlagen sich mit Schulproblemen herum und organisieren Zahnspangen. Sie stehen mitten im Leben. Und trotzdem ist da diese Veränderung, die viele bemerken. Das heißt, dieses alte Bild des Wechsels muss man korrigieren. Das passiert mittlerweile, auch weil viele starke Frauen wie zum Beispiel Hollywoodstars darüber sprechen. Wenn Gwyneth Paltrow sich hinstellt und sagt: "Ja, ich bin auch im Wechsel. Und ich habe jetzt diesen Stuhl ausprobiert, der den Beckenboden trainiert, und das ist großartig", dann bewirkt das einfach wahnsinnig viel. (Pia Kruckenhauser, 31.7.2023)