"Inferno Italia" – Hölle Italien: So kurz und dramatisch fasste die Turiner Zeitung La Stampa am Mittwoch die Schreckensmeldungen auf ihrer Frontseite zusammen. Illustriert wurde der Bericht mit einem Bild, das die vom Rauch der Waldbrände teilweise verhüllten antiken Tempelanlagen von Segesta in Westsizilien zeigte. Weiter hinten im Blatt wurde dann die "Apokalypse von Palermo" beschrieben: Siziliens Hauptstadt war am Dienstag von Waldbränden, die auch am Mittwoch noch nicht vollständig unter Kontrolle waren, fast vollständig eingekreist. Italiens Regierung unter Giorgia Meloni erwog daher am Mittwoch gar die Verhängung des Notstands für die ganze Insel und zugleich auch in vier weiteren Regionen Italiens.

Waldbrand bei Palermo
Waldbrände in der Nacht auf Mittwoch im Umland der sizilianischen Hauptstadt Palermo
AP

Besonders dramatisch ist nach wie vor die Situation in Catania an Siziliens Ostküste, wo die Lufttemperatur seit zehn Tagen über der 40-Grad-Marke liegt und auch schon auf 46 Grad im Schatten kletterte. Die Hitze und der intensive Gebrauch der Klimaanlagen haben das Stromnetz praktisch in der ganzen Stadt lahmgelegt – und damit zugleich die Wasserversorgung, deren Pumpen auf Strom angewiesen sind. Die Folge: 300.000 Menschen in der Stadt waren mit Stand Mittwoch bereits seit über 100 Stunden ohne Elektrizität und Wasser.

Kampf gegen die Flammen

Aber auch in anderen Regionen Süditaliens – vor allem in Kalabrien und Apulien – kämpften Feuerwehren, Zivilschutz und die Piloten der Canadair-Löschflugzeuge mit den Flammen. In Vieste auf der Gargano-Halbinsel mussten 2000 Urlaubende vor den Flammen in Sicherheit gebracht werden.

Während der Süden weiterhin unter der extremen Hitze und den nur allzu oft von der Mafia gelegten Waldbränden leidet, wird Norditalien seit fast zwei Wochen praktisch jeden Tag von heftigen Unwettern heimgesucht. In Mailand wurden in der Nacht auf Dienstag von einem Gewittersturm mitten in der Stadt Hunderte von Bäumen entwurzelt; in einem Wald in der Nähe von Brescia wurde in der gleichen Nacht eine 16-jährige Pfadfinderin in ihrem Zelt im Schlaf von einer umstürzenden Tanne erschlagen. Ihre Kameradinnen erlitten einen Schock.

Ein Pärchen postet auf Twitter Videos nach ihrer Rückkehr aus Mailand nach Palermo.

Meist kommt es bei diesen heftigen Stürmen auch zu Starkregen: In Mailand fielen in wenigen Minuten 40 Liter Regen pro Quadratmeter – so viel wie sonst im ganzen Juli.

"Downburst" und "Superzellen"

Die Italienerinnen und Italiener lernen in diesem Sommer neue Begriffe kennen. "Downburst" zum Beispiel: explosionsartige Fallwinde. Oder "Superzellen" mit "Meso-Zyklonen" in ihrem Innern. Und sie erleben jeden Tag Wetterphänomene, die sie zwar schon lange kennen, die aber früher nur alle fünf oder zehn Jahre auftraten – etwa Hagelstürme mit Körnern in der Größe von Tennisbällen, die alles kurz und klein schlagen. In Venetien wurden dadurch vor wenigen Tagen bei einem einzigen Gewitter 110 Menschen verletzt.

Wer dagegen bereits in die Ferien ans Meer gefahren ist, wundert sich über die Wassertemperaturen: Sie liegen im Mittelmeer derzeit bei durchschnittlich 28,7 Grad: fünf Grad höher als normalerweise in dieser Jahreszeit. Von einem erfrischenden Bad kann längst keine Rede mehr sein. Diese Häufung der Extremwetter-Ereignisse bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die nationale Psyche: Im persönlichen Gespräch zeigen sich die Italienerinnen und Italiener verunsichert und oft auch ernsthaft besorgt über die Entwicklung.

Feuer an einem Campingplatz in Vieste (Gargano-Halbinsel, Apulien). 2000 Touristen müssen zeitweise in Sicherheit gebracht werden.
Tele Sveva

Spätes Einsehen

Zu Beginn der aktuellen Hitzewelle Mitte Juli hatte der Fernsehmann Andrea Giambruno, Lebenspartner von Regierungschefin Giorgia Meloni, bei Außentemperaturen in Rom von 43 Grad noch hinausposaunt, dass es ja wohl normal sei, wenn es im Sommer warm ist: "Das ist für mich keine Nachricht."

Dies haben bis vor wenigen Tagen noch viele so gesehen, denn das Umweltbewusstsein ist in Italien traditionell wenig ausgeprägt. Doch das ändert sich gerade: Was derzeit passiert, erschreckt die meisten Menschen im Land zutiefst.

Das geht bis hinauf in die Regierung. Jahrelang hatten sich Melonis postfaschistische Fratelli d’Italia, aber auch die rechtspopulistische Lega von Matteo Salvini, über die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg lustig gemacht und Umweltschützer pauschal als nervige Spinner abgetan.

"Tropikalisierung"

Das ist jetzt plötzlich anders. "Die extreme Hitze im Süden und die verheerenden Unwetter im Norden sind zwei Seiten der gleichen Medaille: Diese nennt sich ,tropicalizzazione‘", betonte etwa Zivilschutzminister Nello Musumeci von den Fratelli. Was der Sizilianer damit meinte: Italien wechselt wegen des Klimawandels gerade von der subtropischen in die tropische Klimazone. "Die Wahrheit ist doch, dass wir uns immer noch an alte Fakten und Argumente klammern, obwohl nichts mehr so sein wird wie früher", fuhr Musumeci fort. "Wenn wir so weitermachen, werden wir noch viele Tote betrauern."

Ausgebrannte Häuser des Dorfes Romitello bei Palermo.
Ausgebrannte Häuser des Dorfes Romitello bei Palermo.
REUTERS/STRINGER

Solche Töne hat man in Italien bisher selten gehört, schon gar nicht von einem Politiker der aktuellen Rechtskoalition.

Ein italienisches Canadair-Löschflugzeug im Einsatz in den Hügeln vor Siziliens Hauptstadt Palermo. (Dominik Straub aus Rom, 26.7.2023)