Paraclimber Zeller klettert nur aus den Armen eine Felswand hinauf.
Angelino Zeller beim Felsklettern im Klettergarten der Adlitzgräben auf dem Semmering. Wenn die Wand steil genug ist, klettert er gern im Vorstieg.
David Schickengruber

Angelino Zellers Karriere begann kurz nach seinem Paragliding-Unfall. "Davor war ich eher zum Genuss klettern und nicht in so hohen Schwierigkeiten", sagt der 27-Jährige. Im Rahmen seiner Therapie nahm er in Graz am Inklusionsklettern im City Adventure Center teil. "Ich wollte das einfach ausprobieren und war überrascht, wie gut das ging." Schulmäßige Klettertechnik verlangt den Einsatz der Füße. Doch Zeller lernte, dass er auch rein mit den Armen klettern kann.

Beim Inklusionsklettern kam er auch mit Mitgliedern des österreichischen Nationalteams für Paraclimbing in Kontakt. Sie sahen Potenzial in ihm und luden Zeller zu einem Trainingslager nach Innsbruck ein, das als Zentrum des Wettkampfkletterns in Österreich gilt. Aus Neugierde stellte er sich einem Anforderungstest für die Teilnahme an der Paraclimbing-Weltmeisterschaft, den der prompt bestand. "Damals war das Paraclimbing-Team noch im Aufbau, und die Kriterien waren noch nicht so hart", sagt Zeller. Das sei seine Chance gewesen, "und dann ist es eigentlich voll losgegangen".

Sein WM-Debüt gab Zeller 2018 in Innsbruck. Athleten mit Rollstuhl mussten damals noch gemeinsam mit anderen Klassen antreten. Zellers Kategorie nennt sich AL1, daran können Menschen teilnehmen, die ihre Beine nicht einsetzen können. Doch es gibt nur eine begrenzte Zahl an Teilnehmern, die mit dieser Einschränkung klettern, weshalb Klassen zusammengelegt werden. "Wenn Teilnehmer krank werden oder bestimmte Nationen nicht anreisen, kann das passieren." Dann klettert er mit Menschen mit Beinkraft, aber etwa begrenzter Muskelkraft.

Bereits bei der WM 2020 in Paris wurde AL1 als eigene Klasse geführt. Zeller: "Dort ist es sich dann ausgegangen mit dem Weltmeistertitel." 2021 in Moskau konnte der Steirer seinen Titel verteidigen – obwohl wieder Klassen zusammengelegt wurden.

Angelino Zeller in einer Wettkampfroute beim Weltcup in Salt Lake City 2022.
Jan Virt

Kein geborener Wettkampftyp

Eigentlich sei er nicht der Typ für Wettkämpfe gewesen, erzählt Zeller. Er war Hobbykletterer und interessierte sich für verschiedenste andere Outdoorsportarten, der Leistungsaspekt war für ihn nachrangig, ja sogar negativ besetzt. Dass er heute gern an Wettkämpfen teilnimmt, habe hauptsächlich mit der Community zu tun. "Die ist irrsinnig lässig." Das schließe auch die Profis abseits des Para-Bereichs ein, man sei eine Gemeinschaft. "Das Gewinnenmüssen rückt dabei komplett in den Hintergrund", sagt Zeller. Sein größter Gegner ist, in guter Klettertradition, immer die Route. "Wer der Beste ist, ist ja eigentlich nebensächlich."

Hang
Der Dokumentarfilm „Hang“ erzählt die Geschichte von Angelino Zeller.
Österreichischer Alpenverein

Das Training ist blockweise organisiert und nimmt etwa 15 bis 20 Stunden pro Woche in Anspruch. Ein Teil ist Klettern mit Seil, ein Teil Bouldern, und ein Teil findet in der Kraftkammer statt. Die meiste Zeit trainiert er in Graz, wo sich vor allem die Boulderhalle Bloc House als Zentrum des Wettkampfkletterns etabliert hat. Beim Krafttraining wird besonderes Augenmerk auf Ausgleichsübungen gelegt, um kletterspezifische Fehlhaltungen, etwa typische nach vorn gezogene Schultern, zu vermeiden. Mittwoch und Sonntag sind Ruhetage. Das Training ähnelt in vieler Hinsicht dem Training anderer Kletterprofis, bei denen sich ein großer Teil ebenfalls auf den Oberkörper konzentriert. "Anfangs hatten wir Probleme mit den Bizepssehnen." Für Zeller war es eine Herausforderung, sich aufgrund der einseitigen Belastung des Oberkörpers nicht zu überlasten und sich in kleinen Schritten zu steigern. Motivationsprobleme kennt er nicht, durch die Abwechslung sei die Motivation immer extrem hoch. Das Ergebnis sind, neben den zwei Weltmeistertiteln, Seriensiege im Paraclimbing-Weltcup.

Zellers Kunst machte inzwischen auch Medien und Sponsoren aufmerksam. Eine Aufnahme als Heeressportler steht im Raum. Derzeit arbeitet er noch geringfügig bei einem Arbeitssicherheits- und Industriekletterunternehmen in Graz, bei dem er auch vor seinem Unfall beschäftigt war.

Das Siegerpodest eines Paraclimbing-Weltcups. Die drei am Podium haben Medaillen umhängen, Angelino reckt einen Blumenstrauß in die Höhe.
Zeller gewann dieses Jahr den Weltcup in Villars.
Nils Lang

Menschen aufwecken

Dabei war ihm die große Öffentlichkeit anfangs eher unangenehm. Das viele Publikum bei der ersten WM sei eine Herausforderung gewesen. Inzwischen ist die Arbeit mit den Medien zur Routine geworden. Er bemerkt zunehmend, dass er als Inspirationsquelle wahrgenommen wird. Für ihn ist es eine Motivation, Leute "aufzuwecken", egal ob sie Einschränkungen haben oder gesund sind.

Dieser Weg führte ihn aus den Kletterhallen hinaus an den Fels, wo das Sportklettern herkommt. "Das ist eine ganz andere Ebene und hat noch mehr Reiz", sagt Zeller. Das Felsklettern sei eine besondere Herausforderung, Kletterwände sind oft abgelegen, er muss sich Gedanken um den Zugang machen. Zudem braucht er steile Wände, damit die Beine frei hängen können. Überhängende Routen sind aber in der Regel schwieriger.

Aufhalten lässt er sich davon nicht. Gewisse Züge sind für ihn unmöglich, aber Felsklettern wird künftig für Zeller eine größere Rolle spielen. Er hat verschiedene Klettergebiete und Routen, die ihn ansprechen. "Ich habe eine Liste, wo es europaweit Routen gibt, die für mich möglich sind."

Doch erst steht noch die WM in Bern an. Zeller könnte zum dritten Mal en suite Weltmeister werden. Die Quali steigt am 8. August, das Finale zwei Tage später. ORF Sport+ und der Weltverband IFSC übertragen. Zeller wird die Aufmerksamkeit und den Konkurrenzdruck ausblenden. Er wird die Route zu seinem Gegner machen, die Zeit mit Freunden genießen und dabei vielleicht, ganz nebenbei, Menschen inspirieren. (Reinhard Kleindl, 2.8.2023)