REPORTAGE: Johannes Dieterich aus Kamilombe (Kongo)

In Kamilombe scheint ein Bombenteppich niedergegangen zu sein. Das kahle ehemalige Waldgebiet ist mit Hunderten von Trichtern übersät: Sie klaffen wie tiefe Wunden in dem rotbraunen Boden. Dazwischen wuseln Hunderte von Menschen, von denen manche in Säcke gepackte Schätze aus dem Trümmerfeld schleppen. Wer genauer hinschaut, nimmt in den Trichtern Löcher mit kaum einem Meter Durchmesser wahr, aus denen zuweilen Männer mit vor sich hergeschobenen Säcken kriechen – manche der Männer stellen sich als Teenager heraus.

Freiberufliche Kumpel beim Einstieg in eine Kobaltmine im Kongo
Der informelle Abbau von Kobalt beschäftigt im Kongo an die 200.000 Menschen, darunter viele Jugendliche und sogar Kinder. Nicht nur der Einstieg in die Minen ist gefährlich. Die Arbeit ist auch ungesund.
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Obwohl die Schächte nach den Gesetzen des Landes höchstens 30 Meter tief sein dürfen, sollen viele mehr als dreimal so tief sein: Immer wieder, heißt es, würden Männer oder Jugendliche in den Stollen verschüttet. Kamilombe ist eine der größten Minen in der Demokratischen Republik Kongo, in der jeder Interessierte Kobalt schürfen darf. Auf diese Weise kann ein hemdsärmeliger Kumpel rund 400 US-Dollar (rund 364 Euro) im Monat verdienen – viermal mehr als ein Lehrer.

Rund 200.000 freiberufliche Kumpel

"La minière artisanale", der informelle Abbau von Bodenschätzen, ist in kongolesischen Minengebieten allgegenwärtig. Rund 200.000 freiberufliche Kumpels buddeln mit Spitzhacken, Schaufeln oder bloßen Händen 15 Prozent aller in dem Riesenland im Herzen Afrikas geförderten Rohstoffe aus dem Boden.

Landkarte von der Republik Kongo
Landkarte
Demokratische Republik Kongo, Kamilombe
Der Standard

Nicht immer geht es dabei wie in Kamilombe nahe der südkongolesischen Minenstadt Kolwezi rechtmäßig zu. Oft fallen die selbstständigen Bergleute auch in die Abbaugebiete ausländischer Lizenznehmer ein – wie in die gut 100 Kilometer östlich von Kamilombe gelegene Mine Tenke Fungurume. Dort fördern mehr als 7000 von der chinesischen Firma Molybdenum angestellte Bergleute jährlich rund 40.000 Tonnen Kobalt.

Das Abbaugebiet, eine der größten Kobalt-Minen der Welt, erstreckt sich über ein Gebiet, das so groß wie Los Angeles ist. Ein derartiges Areal kann selbst eine Hundertschaft bewaffneter Sicherheitsleute nicht kontrollieren. Vor allem nachts wird die Megamine von in Sandalen, zerfetzten Jeans und T-Shirts gekleideten Kumpels überflutet. Sie tragen "in beachtlichem Umfang" zum globalen Kobalt-Handel bei, weiß James Nicholson vom Schweizer Rohstoffhandelskonzern Trafigura. Der Kongo bedient mehr als zwei Drittel des weltweiten Bedarfs des für die Herstellung von Batterien benötigten Schwermetalls: In den kommenden 20 Jahren könnte sich dieser Bedarf wegen der steigenden Zahl von Elektroautos noch auf das Zwanzigfache steigern.

Begriff "Blutkobalt" macht die Runde

Doch die hemdsärmeligen Kumpels drohen dem kongolesischen Rohstoff-Eldorado das Geschäft zu vermasseln. Die "mineurs artisanals" sind ins Gerede gekommen – nicht nur weil unter ihnen unzählige Minderjährige schuften. Der Beruf der informellen Bergleute gilt auch als gefährlich, ungesund und wird von eklatanter Ausbeutung überschattet.

Der Begriff "Blutkobalt" macht die Runde – in Anlehnung an die Blutdiamanten, denen Leonardo DiCaprio im gleichnamigen Film nochmals zu zweifelhaftem Ruhm verhalf. Der Reputationsverlust des Schwermetalls hat verheerende Auswirkungen auf die Kobaltindustrie. Weil das bläulich schimmernde Metall vor allem zur Herstellung von Batterien benötigt wird, kommt der gesamte globale Energiewandel ins Gerede. Neben Autobauern wie Tesla, VW und Mercedes geraten auch IT-Firmen wie Microsoft, Apple oder Google unter Druck. Sie alle sind, mehr oder weniger direkt, von Kobalt abhängig.

Nur nicht anstreifen

Die Verantwortlichen dieser Konzerne sahen bisher drei Wege, dem Problem zu begegnen. Die einen wollen sicherstellen, dass in ihren Produkten nur Kobalt aus offiziellen Bergwerken und nicht aus den Schmuddel-Minen verwendet wird. Fachleute halten das für Augenwischerei, weil das gute Kobalt spätestens in China gemeinsam mit dem bösen weiterverarbeitet wird. Andere gehen dazu über, gar kein kongolesisches Kobalt mehr einzukaufen, was in Indonesien einen Boom des seltenen Bodenschatzes ausgelöst hat. Schließlich beauftragen Wirtschaftskapitäne wie Elon Musk ihre Forschungsteams, nach Materialien zu suchen, die das Kobalt in Batterien ersetzen können. Nur eine Frage der Zeit, heißt es.

Frauen waschen Erz in einem Fluss nahe der Mine von Kamilombe im Kongo.
Auch Frauen sind beim Abbau von Kobalt im Kongo beschäftigt. Im Foto wird Erz in der Nähe der Mine von Kamilombe gewaschen.
AFP/EMMET LIVINGSTONE

In allen drei Fällen sind die Hauptgeschädigten die hemdsärmeligen Kumpels, die im Fall eines Abzugs globaler Unternehmen ihre Beschäftigung verlieren. Die Weltkonzerne halten auf diese Weise ihre Weste auf Kosten der am untersten Ende der Lieferkette stehenden Menschen sauber, die von den Bodenschätzen ihrer Heimat gar nichts mehr haben.

"Der Westen sucht das Problem nur zu umgehen", klagt Dorothée Baumann-Pauly, Direktorin des Genfer Center for Business and Human Rights. "Statt dass der Frage nachgegangen wird, wie das Leben der Bevölkerung mit der ethisch verantwortlichen Beschaffung von Bodenschätzen verbessert werden kann."

Ethisch verantwortbar würde bedeuten, dass die Arbeitsbedingungen an den informellen Minenstandorten verbessert werden, Kinder zur Schule gehen und nicht schuften müssen und dass die "mineurs artisanals" eine gerechte Vergütung ihrer Arbeit erhalten. Bisher bleibt den Kumpels keine andere Wahl, als ihre Ausbeute an chinesische Mittelsmänner zu verkaufen, die sich in den Minengebieten des Kongos ein Monopol gesichert haben. Viele der Bergleute fühlen sich von den Agenten aus China übers Ohr gehauen: entweder durch gezinkte Waagen oder starken Preisdruck aufgrund der Monopolstellung.

Zweifel an Verbesserungsabsichten

An dieser Stelle will sich die kongolesische Regierung in Kinshasa zur Abwechslung einmal nützlich machen. Sie profitiert von der ausländischen Ausbeutung der Bodenschätze fast allein, während die Bevölkerung weitgehend leer ausgeht. Bereits vor vier Jahren gründete Kinshasa die Entreprise General du Cobalt (EGC) – eine staatliche Agentur, die für den Einkauf, die Verarbeitung und die Vermarktung allen informell gewonnenen Kobalts verantwortlich sein soll. Eigentlich hätte das EGC Anfang dieses Jahres seine Türen öffnen sollen. Doch noch immer warten in Kolwezi fast 100 Warenhäuser darauf, das Kobalt der informellen Kumpels einzukaufen.

Dem Vernehmen nach ist vielen Verantwortlichen in der Hauptstadt gar nicht daran gelegen, den Verkauf des Schwermetalls gerechter und transparenter zu gestalten. Auf diese Weise kämen ihnen die Zahlungen der korrumpierenden chinesischen Mittelsmänner abhanden. "Die ECG ist für uns die größte Hoffnung, die nötigen Verbesserungen in der Kobaltgewinnung zu erzielen", meint James Nicholson von Trafigura. Würden das alle so sehen, müsste von Blutkobalt bald keine Rede mehr sein. (Johannes Dieterich aus Kamilombe, 1.8.2023)