Die Jagd auf wildlebende Tiere entzweit Jägerschaft und Tierschützer über Fälle sogenannter Problemwölfe oder Problembären hinaus. So kritisiert etwa Clemens Purtscher, Ökologe und Biodiversitätsexperte an der Uni Wien, den Abschuss von Krähenvögeln in Österreich: eine althergebrachte Jagd, die mit Ausnahme von Wien in allen Bundesländern stattfindet – und der alljährlich Zehntausende solcher Vögel zum Opfer fallen.

Purtscher und andere hinterfragen die Motive der Jägerschaft. Gemeinsam mit Landwirtschaftsvertretern würden die Waidleute die Schäden durch die Vögel in den Vordergrund rücken: aufgepickte Silageballen am Feld etwa oder Fraß bei Obst- und Gemüseanbauten. Tatsächlich fungiert derlei in den von den Bezirkshauptmannschaften erlassenen Verordnungen für die Vogeljagd als Hauptgrund für die Nachstellungen.

Krähen auf einem Busch
Die Jagd auf Krähen wird vor allem mit Schäden gerechtfertigt, die die Vögel in der Landwirtschaft anrichten. Tierschützer raten zu alternativen Abwehrmaßnahmen.
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"Starkes Interesse der Jägerschaft"

Mindestens ebenso wichtig jedoch sei ein aus der Zeit gefallenes Konkurrenzdenken: "Rabenvögel sind Allesfresser, die auch einmal ein Nest ausnehmen oder ein kleines Säugetier erbeuten. Damit stören sie die Ansprüche der Jäger", sagt Purtscher. Auch Michaela Lehner von der NGO Tierschutz Austria beobachtet ein "starkes Interesse der Jägerschaft an der Krähenjagd".

Fakt ist, dass in Österreich alljährlich mehr als 80.000 Krähenvögel – Nebel- und Rabenkrähen, Elstern und Eichelhäher – durch Jägerinnen und Jäger getötet werden. Sie werden erschossen oder mit Fallen geködert, in denen Lockvögel eingesperrt sind. In einem Spruch bezeichnete das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich diese Fallen unlängst als "Tierquälerei".

Österreich bei Vogelschutzbericht säumig

Besagte Zahl stammt aus dem letzten österreichischen Vogelschutzbericht an die EU von vor vier Jahren. An sich sollte laut der unionsweit geltenden Vogelschutzrichtlinie ein solcher Bericht erstellt werden. Geschehen ist das seit 2019 nicht mehr.

Auch die Verordnungen zur Krähenjagd in Österreich würden dem EU- und dem Bundesrecht widersprechen, sagt Martin Balluch, Obmann des VGT: "Dabei geht man völlig unkaschiert vor. Offenbar war man bisher der Ansicht, es ohne Wahrnehmung der Öffentlichkeit tun zu können."

In einer kürzlich eingereichten Beschwerde an die Europäische Kommission listet der VGT 20 Krähenjagdverordnungen niederösterreichischer Bezirkshauptmannschaften aus dem heurigen Jahr auf. Sie regeln, wann die Vögel heuer und 2024 geschossen werden dürfen und wann für sie Schonzeit herrscht. Ähnliche Verordnungen gibt es auch in anderen Bundesländern.

Schuss- und Schonzeiten

Rechtlich seien diese Bestimmungen nicht haltbar, sagt Balluch, denn die Krähenvögel seien im niederösterreichischen Jagdgesetz nicht in der Liste der jagdbaren Federwildarten enthalten. Folglich könne es auch keine Schuss- und Schonzeiten für sie gaben. Tatsächlich hat Österreich beim Beitritt zur Vogelschutzrichtlinie darauf verzichtet, für Krähenvögel eine Ausnahme von den strengen Einschränkungen für die Jagd zu vereinbaren, die die Richtlinie vorsieht.

Balluchs Darstellung sei falsch, widerspricht die niederösterreichische Jagdverbands-Geschäftsführerin Sylvia Scherhaufer. Schon- und Schusszeiten für Krähenvögel seien wildbiologisch untermauert, sie nähmen auf die Brutgewohnheiten der Vögel Rücksicht.

Auch beim für Jagdangelegenheiten zuständigen niederösterreichischen Landesrat Stephan Pernkopf (ÖVP) wird auf das Vogelschutzrichtlinienargument nicht eingegangen. Die diesbezügliche Anfrage des STANDARD wurde an die Abteilung Agrarrecht weitergeleitet. Wie bei allen anderen Jagdverordnungen seien auch in Sachen Krähenjagd "vor der Erlassung von artenschutzrechtlichen Ausnahmen alle gesetzlichen Voraussetzungen durch die verordnungserlassende Behörde geprüft worden", heißt es nur.

Beschwerde des Wiener Tierschutzvereins

"Bislang kein Wissen" hat man beim niederösterreichischen Jagdverband auch über eine Beschwerde des Wiener Tierschutzvereins gegen die Krähenjagd. Am 20. Juli hat die Organisation Beschwerde beim niederösterreichischen Landesverwaltungsgericht gegen die entsprechende Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Mödling eingelegt. Diese lässt Abschüsse und Tötungen von Raben- und Nebelkrähen, Elstern und Eichelhähern vom heurigen Sommer bis Mitte oder Ende März 2024 zu – im Fall von Aaskrähen in "Junggesellengruppen" sogar in den Gesamtjahren 2023 und 2024.

Die Mödlinger Verordnung breche die Verpflichtungen Österreichs laut EU-Vogelschutzrichtlinie. Sie müsse außer Kraft gesetzt werden, heißt es in der Beschwerde. Im Unterschied zu früheren NGO-Eingaben hat sie Chancen auf Erfolg. Mitte Juni hat der Verwaltungsgerichtshof einer Tierschutz-NGO im Verordnungsverfahren um die Jagd auf Fischotter Zugang zu Gericht gewährt. Nun warten die Tierschützer in Sachen Krähenjagd auf den Entscheid des niederösterreichischen Landesverwaltungsgerichts. Die Frage ist, ob die neue rechtliche Transparenz des Fischotter-Spruchs auf die Krähenjagd übertragen wird. (Irene Brickner, 1.8.2023)