Wer dachte, die Gräben zwischen Israels Opposition und dem Regierungslager seien unüberwindbar, wurde nun eines Besseren belehrt: Ein umstrittenes Gesetz, das arabische Sexualverbrecher schärfer bestrafen soll als jüdische, wurde am Sonntag mit breiter Mehrheit im Parlament verabschiedet. Nur sieben Abgeordnete stimmten dagegen, davon entstammten sechs einer arabischen Liste. Die siebente Gegenstimme kam von Gilad Kariv, einem Reform-Rabbiner und Politiker der Arbeiterpartei. Karivs Parteikollegen blieben, wie auch sämtliche Abgeordnete der großen Oppositionsparteien, dem Votum fern.

Seit Jahren protestieren Frauen in Israel für mehr Schutz vor sexueller Gewalt (Archivbild 2022). Mit dem neuen Gesetz sehen sie sich allerdings politisch völlig instrumentalisiert.
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Der Vorstoß für die Gesetzesänderung kam von der rechtsextremen Partei Otzma Jehudit, wurde aber auch von der Oppositionspartei Israel Beitenu unter Avigdor Lieberman unterstützt. Ziel sei es, Sexualdelikte, die eine "nationalistische Grundlage" hätten, strenger zu bestrafen – bis hin zum doppelten Strafmaß eines vergleichbaren Sexualverbrechens ohne nationalistische Komponente.

Das Wort "arabisch" kommt im Gesetzestext zwar nicht vor. Die Kommentare der Proponenten der Reform machten aber klar, auf wen es abzielte: Als mögliche Anwendungsbeispiele wurden Delikte genannt, die durch Beduinen oder durch Palästinenser aus dem Westjordanland begangen wurden. Koalitionsabgeordnete, die das Gesetz ins Parlament brachten, sprachen von Sexualverbrechen als "terroristischer Waffe", die man mit schärferen Mitteln bekämpfen müsse.

"Erfundenes Phänomen"

Opfervertretungen wenden ein, dass das auch schon bisher möglich gewesen sei. Die Antiterrorgesetze umfassen Sexualdelikte schon seit längerer Zeit, wodurch Gerichte die Möglichkeit hatten, Vergewaltigungen in einem Terrorkontext besonders hart zu bestrafen. Angewendet wurde dieser Passus jedoch selten, da es sich bei terroristisch motivierten Vergewaltigungen in Israel um "ein erfundenes Phänomen" handle, meint Orit Sulitzeanu, Generalsekretärin bei ARCCI, der Vereinigung der Vergewaltigungsinterventionsstellen in Israel, die eine nationale Hotline für Vergewaltigungsopfer betreibt. "Wir sehen das bei uns nicht – Vergewaltigung als Form des Terrors", sagt Sulitzeanu.

Es gehe nicht darum, eine Gesetzeslücke zu füllen, heißt es bei ARCCI. "Den Gewaltbetroffenen bringt dieses Gesetz rein gar nichts", sagt Sulitzeanu im STANDARD-Gespräch. Vielmehr schaffe die neue Regelung eine "Abstufung zwischen Opfer und Opfer": "Eine Frau, die von ihrem jüdischen Vater vergewaltigt wurde, wird in Zukunft weniger ernst genommen als eine Frau, die von einem Araber angegriffen wurde. Das ist katastrophal", kritisiert die Opfervertreterin, die an den Ausschussberatungen im Parlament teilgenommen hat. Als Motiv für die Gesetzesänderung vermutet Sulitzeanu eine "rassistische Agenda", die auf dem Rücken von Gewaltbetroffenen ausgetragen werde.

Scharfe Kritik kommt auch von Frauenorganisationen. "Ich kann nicht glauben, dass ich in einem Land lebe, das heute die Körper und Seelen von Frauen zum nationalen Eigentum erklärt hat", kommentierte Nitzan Shilony vom israelischen Zentrum für Frauengleichstellung.

"Das ist eine Schande"

Während die Kritik an dem Gesetzesvorstoß außerhalb des Parlaments emotional geführt wurde, meldeten sich während der spärlich besuchten Plenardebatte in der Knesset lediglich Abgeordnete arabischer Listen kritisch zu Wort.

"Sie sagen, dass eine Vergewaltigung schwerer wiegt als die andere – aber nicht etwa, weil extreme Gewalt ausgeübt wurde, weil Leben in Gefahr war, weil es vor den Augen von Kindern geschah. Sondern allein aufgrund der Identität des Täters – das ist eine Schande", sagte Aida Touma-Sliman von der Liste Hadash, die sich seit längerem dem Thema Gewalt gegen Frauen verschrieben hat.

Eine klare feministische Politik verfolgt zwar seit jeher auch die Chefin der Arbeiterpartei, Merav Michaeli. Dass sie nicht gegen das Gesetz auftrat, verwundert nun die Opfervertretungen. Mehrere Anfragen bei ihrem Sprecher blieben bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

Wie und ob sich die Gesetzesänderung auf die Spruchpraxis der Strafgerichte auswirken wird, ist unklar. Einer Studie der Rechtsfakultät der Universität Haifa zufolge hat der kulturelle Hintergrund von Tätern schon jetzt Folgen für die Härte der Bestrafung: Arabische Täter landen demnach für dieselben Tatbestände häufiger im Gefängnis als jüdische Täter. (Maria Sterkl, 1.8.2023)