Fabian Wolff gab sich lange als streitbarer Jude aus, jetzt schreibt er in "Zeit Online", dass er doch kein Jude sei.
Foto: imago images/Alexander Pohl

Er schrieb für die "Zeit", die "Jüdische Allgemeine", die "Süddeutsche Zeitung", auch für den "Spiegel" oder den "Tagesspiegel": In Deutschland wird derzeit heftig über den freien Journalisten und Autor Fabian Wolff debattiert. Wolff gab und sah sich als Jude, kritisierte in seinen Beiträgen die jüdische Community in Deutschland und liebäugelte mit der umstrittenen BDS-Bewegung. Er war einer, der sich streitbar gegen den jüdischen Mainstream wandte und gerne – aus seiner vermeintlich jüdischen Perspektive – an israelkritischen Debatten und Diskussionen über Antisemitismus teilnahm. In seinem Beitrag "Mein Leben als Sohn", der am 16. Juli auf "Zeit Online" erschienen ist, berichtet er jetzt, dass er nach eigenen Recherchen nicht Jude sei – im Gegensatz zu dem, was ihm seine 2017 verstorbene Mutter jahrelang versichert habe. Aufgrund von Schilderungen seiner Mutter habe er sich jahrelang für jüdisch gehalten.

Die "Süddeutsche Zeitung" hat seine Beiträge mittlerweile offline genommen. "Zeit Online" arbeitet den Fall Wolff im Transparenzblog "Glashaus" auf und versah Beiträge, die dort aus Wolffs vermeintlich jüdischer Perspektive veröffentlicht wurden, mit einem Hinweis. Weitere Recherchen würden laufen.

"Fundierte Spekulationen"

"Wir können Fabian Wolff bisher nicht nachweisen, an anderer Stelle bewusst die Unwahrheit gesagt zu haben. Unsere Recherchen zeigen allerdings, wie er die spärlichen, von seiner Mutter erfundenen Informationen zu seinem vermeintlichen Jüdischsein durch weitere 'fundierte Spekulationen', wie er sie selbst bezeichnete, ergänzt hat. Diese 'fundierten Spekulationen' sind von bewussten Täuschungen teilweise nur mit gutem Willen zu unterscheiden", so "Zeit Online". Und weiter: "Vor dem Hintergrund unseres heutigen Wissens bedauern wir zudem sehr, dass wir seinen Artikel 'Nur in Deutschland' 2021 veröffentlicht haben." Darin schreibt Wolff von einer übertriebenen "Israel-Liebe", von der sich Deutschland "eine Art Transzendenz deutscher Schuld" erhoffen würde.

"Das schwache Fundament von Fabian Wolffs vermeintlicher, spät entdeckter jüdischer Identität steht in starkem Kontrast nicht nur zu seinem Privatleben, in dem diese Identität für ihn eine bestimmende Rolle spielte, sondern auch zu seinen teilweise scharfen Äußerungen in der Öffentlichkeit aus einer dezidiert jüdischen Perspektive", so "Zeit Online".

In der "Jüdischen Allgemeinen" wurde Wolff als "Hochstapler und Lügner" bezeichnet, "der sich jahrelang … wider besseres Wissen als Jude ausgegeben" habe, in der "Süddeutschen Zeitung" als "Täuscher".

Schon länger Zweifel

Zweifel an Wolffs jüdischer Identität habe es schon seit 2021 gegeben, schreibt der "Spiegel". Und in der "FAZ" erzählte die Autorin Mirna Funk am Dienstag von Dokumenten einer – mittlerweile an Suizid verstorbenen – Ex-Freundin von Wolff, die sie 2021 erhalten habe und in denen der Verdacht geäußert worden sei, dass sich Wolff seine jüdische Biografie nur konstruiert habe. Laut Funk hatte die Frau auch erwähnt, dass sie von Wolffs Freunden eingeschüchtert worden sei. Ein Anwalt habe ihr – im Auftrag von Fabian Wolff – nahegelegt, Nachstellungen zu unterlassen.

Funk habe, so schreibt sie jetzt in der "FAZ", "im September 2021 E-Mails und Beweise für Fabian Wolffs Lügen" an Wortführer der jüdischen Community und an einige Redaktionen weitergeleitet. Man habe entschieden, die Geschichte nicht publik zu machen, auch vor dem Hintergrund, dass im Sommer 2019 die Bloggerin Marie Sophie Hingst Suizid begangen hatte, nachdem der "Spiegel" darüber berichtet hatte, dass ihre angebliche jüdische Herkunft eine Erfindung gewesen sei.

"In Journalistenkreisen war nicht die Frage, wann Fabian Wolffs Kostümjudentum auffliegen würde, sondern nur, wer es zuerst publik macht", schreibt dazu die "Jüdische Allgemeine".

Zweifel an Wolffs jüdischer Identität seien damals auch an die "Zeit"-Redaktion herangetragen worden. "Vorwerfen müssen wir uns, dass wir die seit Herbst 2021 kursierende E-Mail vor Veröffentlichung des Textes 'Mein Leben als Sohn' nicht kannten. Dies wiegt umso schwerer, als die Autorin der E-Mail in privatem Kontakt mit einer Person in unserem Haus stand und über die Jahre mindestens zweimal von ihren Zweifeln berichtet hat. Der Frage, warum uns diese Information nicht erreicht hat, gehen wir in einer internen Prüfung weiter nach", schreibt die "Zeit Online"-Chefredaktion im Blogbeitrag. "Hätten wir den Inhalt der E-Mail gekannt, hätten wir bei der Publikation von Fabian Wolffs Beitrag deutlich mehr Vorsicht walten lassen."

Der Fall des Fabian Wolff erinnert auch an den "Spiegel"-Reporter Claas Relotius, der jahrelang Geschichten fälschte. Im Dezember 2018 hatte das Hamburger Nachrichtenmagazin den Skandal um seinen damaligen Autoren bekannt gemacht, eine Kommission arbeitete ihn akribisch auf. (ae, 2.8.2023)