Istanbul – Es war im Morgengrauen, als der Überfall auf das Widerstandscamp Akbelen begann. Ein Großaufgebot der Gendarmerie rückte an, um das Camp zu umzingeln und gleichzeitig hunderten von Waldarbeitern Deckung zu geben, die im Akkord gegen den Wald von Akbelen vorrückten. Über Telefonketten mobilisierte Unterstützer wurden bereits Kilometer vor dem Camp aufgehalten.

Auch die Handyverbindung zwischen den Aktivisten im Camp und ihren Unterstützerinnen von außerhalb wurde durch elektronisches Störfeuer teilweise unterbrochen. Die Abholzung des Waldes von Akbelen konnte beginnen.

Seit zwei Jahren versuchen die Anrainer die Abholzung des Waldes zu verhindern.
Seit zwei Jahren versuchen die Anrainer, die Abholzung des Waldes zu verhindern.
IMAGO/Kenan Gurbuz

Das Widerstandscamp in Akbelen wurde vor gut zwei Jahren gegründet, um eine weitere Ausweitung des extrem umweltschädlichen Braunkohleabbaus in den Hügeln entlang der Ägäisküste zu verhindern. Vier Dörfer, der Wald von Akbelen und jahrhundertealte Olivenhaine sollen verschwinden, damit die riesigen Abräumbagger der oberirdischen Kohlegruben sich weiter in die Landschaft fressen können. Als Erstes widersetzten sich die Olivenbauern den Plänen des Braunkohlekonzerns YK Enerji, einer Tochter der Limak Holding, einer von fünf Großkonzernen, denen die engsten Kontakte zu Präsident Recep Tayyip Erdoğan nachgesagt werden. Die Sprecherin der Dörfler, Necla Işık, wurde türkeiweit bekannt, als sie sich dem Konzern entgegenstellte.

Hotspot des Umweltschutzes

Aktivisten aus der Provinzhauptstadt Muğla, der nächstgrößten Stadt Milas und aus dem bekannten Küstenort Bodrum unterstützten die Dörflerinnen mit juristischer Expertise und sorgten für eine gute Öffentlichkeitsarbeit. Als im Sommer 2021 Großbrände an der Ägäisküste tausende Hektar Wald vernichteten und YK Enerji das Chaos nutzen wollte, um schnell auch den Wald von Akbelen abholzen zu lassen, wurde das Widerstandscamp zum Schutz des Waldes gegründet. "Seit Juni 2021", erzählt Nihat Gençosman, einer der Aktivisten aus Milas, "war unser Camp immer besetzt." Seitdem entwickelte sich das Camp von Akbelen zum bekanntesten Hotspot des Umweltschutzes in der ganzen Türkei. Die Opposition, nicht nur die Grünen und Linken, sondern auch die kemalistisch-sozialdemokratische CHP unterstützte die Aktivisten.

Die Polizei setzte Wasserwerfer gegen die Demonstranten ein.
Die Polizei setzte Wasserwerfer gegen die Demonstranten ein.
AFP/BULENT KILIC

Besonders wichtig für die Umweltschützerinnen war und ist die Solidarität der von der CHP regierten Kommunen in Muğla, Milas und Bodrum. Sie spendeten Sachleistungen und stellten in den letzten Tagen sogar kommunale Busse zur Verfügung, die Unterstützer des Widerstandscamps nach Akbelen transportierten.

So ist es kein Wunder, dass die Rodung des Waldes jetzt, zwei Monate nach der Wiederwahl Erdoğans zum Präsidenten, losging. "Erdoğan hat offenbar Druck von der Limak Holding bekommen", mutmaßt nicht nur Nihat.

Machtdemonstration

Umweltaktivisten und die Opposition sollen nicht länger den Ausbau des Braunkohlereviers verhindern. "Das war auch eine Machtdemonstration", glaubt Nihat. Das Ganze war generalstabsmäßig vorbereitet. Nicht nur überraschte man die Camper im Schlaf, auch die Straßen nach Akbelen wurden vorübergehend gesperrt und einige wichtige Leute der Bewegung, wie der Umweltanwalt İsmail Hakkı Atal, vorsorglich in U-Haft genommen. Die Leute kamen zwar nach einer Nacht wieder frei, dafür wurden dann immer wieder andere festgenommen.

Der Braunkohletagebau an der Ägäisküste, nur wenige Kilometer von den bekannten Touristenzentren in Bodrum und Marmaris entfernt, zerstört eine uralte Kulturlandschaft, die seit 2.500 Jahren vom Olivenanbau geprägt ist.

Ein gefällter Baum beim Braunkohleabbau
Zahlreiche Bäume müssen dem Braunkohleabbau weichen.
AFP/BULENT KILIC

Dazu kommt, dass die drei Kraftwerke in der Region, die die Braunkohle verfeuern, uralte Dreckschleudern sind, die vor ihrer Stilllegung privatisiert wurden und nun ihre Betriebsgenehmigung von der AKP-Regierung noch einmal verlängert bekommen haben. Dabei hat die Region ein großes Potenzial für Wind – und Sonnenenergie, das teilweise auch genutzt wird, aber die Regierung will aus Profitgründen und weil die Abhängigkeit von Energieimporten reduziert werden soll, auf die Braunkohle nicht verzichten.

Der Akbelen-Wald neben der Braunkohlegrube in der Provinz Mugla.
Der Akbelen-Wald neben der Braunkohlegrube in der Provinz Mugla.
AFP/BULENT KILIC

So ist Akbelen zu einem nationalen Symbol für die Auseinandersetzung um die türkische Energiepolitik geworden. Am Freitag letzter Woche bekamen die Aktivisten sogar Besuch von Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu, dem nur knapp gescheiterten Gegenkandidaten Erdoğans bei den Präsidentschaftswahlen.

Trotz der bereits fortgeschrittenen Rodung des rund 740 Hektar großen Akbelen-Waldes ist "die Stimmung bei uns im Camp dennoch ganz gut", meint Nihat Gençosman. "Die große öffentliche Unterstützung motiviert uns, nicht aufzugeben." Noch ist das Camp selbst nicht geräumt und als Fixpunkt für alle Unterstützerinnen aus der ganzen Türkei weiterhin in Funktion. "Wir können immer noch den weiteren Ausbau des Tagebaus verhindern", hofft Nihat. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul, 2.8.2023)