Es war seit dem kolumbianischen Drogenboss Pablo Escobar wohl die aufwendigste Jagd auf einen Mafiapaten. Die Ermittler scheuten keine Mühe, um der "Operation Pfau" zum Erfolg zu verhelfen: 2.250 Polizisten, 23 Hausdurchsuchungen und zwölf Festnahmen führten sie in ein Villenviertel in der bolivianischen Wirtschaftsmetropole Santa Cruz. Doch als sie am Wochenende das Anwesen stürmten, trafen sie auf erbitterten Widerstand der Leibwächter – was dem Gesuchten die Gelegenheit bot, wieder zu entkommen.

Gebäude in Santa Cruz, in dem sich Sebastian Marset aufgehalten hat
In diesem Gebäude im bolivianischen Santa Cruz hielt sich Sebastian Marset unter falschem Namen auf. Die Polizei fand dort am Wochenende Waffen, Drogen, exotische Tiere – aber nicht den Drogenboss.
AFP/MIGUEL SURUBI

Sie konnten der Presse lediglich ein beeindruckendes Arsenal an Schnellfeuerwaffen, Drogen, exotischen Tieren und Luxuslimousinen präsentieren. Die Nachbarn waren konsterniert. Sie kannten den Gesuchten als Luis Paulo Santos Amorim, einen brasilianischen Geschäftsmann, Eigentümer des Zweitligisten Los Leones, in dessen Team er manchmal mitspielte.

Staatsanwalt ermordet

Sein wahrer Name ist Sebastian Marset. Er ist klug, reich, gewalttätig, politisch gut vernetzt und gilt als der Drahtzieher des Mordes an dem paraguayischen Staatsanwalt Marcelo Pecci. Dieser wurde im Mai 2022 während seiner Flitterwochen von zwei Auftragskillern ermordet. Seither sind Interpol, Europol, die US-Antidrogenbehörde DEA und Staatsanwaltschaften aus vier südamerikanischen Ländern dem 32-Jährigen auf den Fersen.

Er soll mindestens 16 Tonnen Kokain nach Europa exportiert haben. Die Killer Peccis, die 340.000 US-Dollar für den Mord erhalten hatten, wurden inzwischen festgenommen, ebenso wie zwei kolumbianische Hintermänner. Doch Marset, der mutmaßliche Auftraggeber, entkommt immer wieder.

Marset hat mehrere Pässe und stammt aus einem Land, das eigentlich nicht mit Drogen in Verbindung gebracht wird: Uruguay. Das kleine Land ist eigentlich ein Musterknabe in einer sonst turbulenten Region: Es ist wirtschaftlich stabil, hat eine solide Demokratie und gilt als relativ sicher. Doch der Hafen von Montevideo hat sich zu einem wichtigen Drogenumschlagplatz entwickelt. Und das hat mit Marset zu tun.

Ein undatiertes Archivbild von Sebastian Marset.
Ein undatiertes Archivbild von Sebastian Marset.
AFP/Bolivian Ministry of Governm

Mit 22 Jahren wurde er zum ersten Mal in Montevideo wegen Drogenhandels festgenommen. Damals ging es um eine Ladung Kokain, deren Spur zum Onkel des damaligen paraguayischen Präsidenten Horacio Cartes führte. Im Gefängnis knüpfte er dann internationale Kontakte. Fünf Jahre später kam er wieder frei, heiratete, wurde Vater von drei Kindern und arbeitete als Musikproduzent und Profifußballer.

Doch diese Betätigungen waren lediglich Fassade. Im Geheimen baute er ein Drogenimperium auf, das Kokain aus Bolivien über Paraguay nach Uruguay schmuggelte, um es von dort per Container nach Europa und Afrika zu exportieren. Marsets kriminelles Imperium nannte sich "Erstes Uruguayisches Kartell" – und es florierte dank einer ganzen Reihe korrupter Funktionäre in den beteiligten Ländern.

Bis Pecci 2021 in Paraguay auf seine Spur kam und Haftbefehl erließ. Doch Marset kam einer erneuten Festnahme zuvor und tauchte unter. Im November 2021 wurde er in Dubai mit gefälschtem paraguayischem Pass festgenommen. Den dortigen Behörden erzählte er, man habe ihn bei der Passausstellung betrogen.

Einige Wochen später bekam er dann auch wirklich auf Betreiben der uruguayischen Konsulin einen Pass, der ihm von einem Angehörigen persönlich ausgehändigt wurde. Später musste eine Staatssekretärin im Außenministerium zurücktreten, nachdem Chats bekannt wurden, aus denen hervorging, dass sie sehr wohl das Vorstrafenregister Marsets kannte.

In Bolivien reiste er den Ermittlern zufolge im September 2022 ein und etablierte sich in Santa Cruz als Geschäftsmann. Doch die Schlinge um ihn zog sich enger. Im Mai war sein paraguayischer Geschäftspartner Miguel Insfran in Brasilien festgenommen und nach Paraguay ausgeliefert worden.

Auch der paraguayische Abgeordnete Erico Galeano von der regierenden Colorado-Partei wurde inzwischen angeklagt. Er soll die Drogengelder der beiden gewaschen haben. Der Polizei zufolge ist Marset nun in einem Geländewagen mit seiner Familie unterwegs nach Cochabamba. "Wir kriegen Marset", sagte Boliviens Innenminister Eduardo Del Castillo.

Innenminister involviert?

Sicher ist das allerdings nicht, denn auch in Bolivien hat Marset gut geschmierte Netzwerke. Über diese ist bislang wenig bekannt. Doch das Terrain ist politisch vermint: Derzeit beschuldigen sich unterschiedliche Fraktionen der linken Regierung gegenseitig, ins Drogengeschäft involviert zu sein. Anhänger des ehemaligen Präsidenten Evo Morales werfen Del Castillo vor, Drogenhändler zu schützen. Dieser habe beschlagnahmte Drogenflugzeuge wieder freigegeben, und inzwischen seien die illegalen Landepisten sogar nachts beleuchtet, so die Anschuldigungen. (Sandra Weiss, 2.8.2023)