Zerstörung in Samandağ in der türkischen Provinz Hatay
Auch Monate nach dem Erdbeben ist die Zerstörung noch deutlich sichtbar, etwa vor zwei Wochen in Samandağ in der türkischen Provinz Hatay.
AFP/OZAN KOSE

Sechs Monate nach den Erdbeben in der Türkei und im Nordwesten Syriens stellt sich nach Angaben der internationalen Kinderhilfsorganisation World Vision die humanitäre Lage "schlimmer dar als je zuvor". Die durch Geldmangel bedingte Reduktion von Lebensmittelrationen verursache weitverbreiteten Hunger, hieß es in einer Aussendung am Mittwoch. Zudem sorge unerträgliche Hitze für viele Krankheitsfälle und Brände.

An eine Rückkehr zum Alltag sei nicht zu zu denken, hieß es diese Woche von der Hilfsorganisation Care: "Hunderte werden noch vermisst. Gleichzeitig hat das Beben die Lebensgrundlage von vielen zerstört", berichtete Andrea Barschdorf-Hager, Geschäftsführerin von Care Österreich. "Der Bedarf an humanitärer Hilfe hält an und wird angesichts des Ausmaßes der Zerstörung so schnell nicht weniger."

Immer noch großer Bedarf

Care leistet mit der EU und lokalen Partnerorganisationen Nothilfe. Es gehe vor allem darum, dass Betroffene Grundbedürfnisse wie Wasser, Nahrung, Unterkünfte und sanitäre Versorgung decken können, sagte Devrig Velly, Leiter des Büros für humanitäre Hilfe der EU in der Türkei.

Die Bilanz der Katastrophe vom 6. Februar war verheerend: Allein in der Türkei waren 9,1 Millionen Menschen betroffen, darunter 1,7 Millionen Syrerinnen und Syrer, die vor dem Krieg geflohen waren. In Syrien waren die Gebiete im Nordwesten am schlimmsten betroffen, vor allem rund um Aleppo, Latakia und Hama – dort leben viele infolge des Bürgerkriegs Vertriebene. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) spricht von der schlimmsten Naturkatastrophe in Europa in 100 Jahren.

Bei null anfangen

Die Provinz Hatay im Süden der Türkei war besonders stark betroffen. Rund 270.000 Gebäude wurden zerstört, über 23.000 Menschen starben, mehr als 30.000 wurden verletzt. Elçin Ezel war 81 Stunden unter der eingestürzten Decke ihres Hauses gefangen: "Ich habe an diesem Tag meine beiden Kinder und meine Mutter verloren." Sie lebt in einem Container als Notunterkunft. "Sechs Monate nach dem Erdbeben ist nichts wieder in Ordnung. Der Wiederaufbau wird sehr lange dauern." Infrastruktur wurde beschädigt, die Wasserversorgung ist eine Herausforderung, es gibt kaum Einkommensmöglichkeiten, schildern die Helferinnen und Helfer von Care.

Mit Unterstützung der EU und Partnerorganisationen habe Care in der Türkei und Syrien bisher rund 700.000 Menschen mit Nothilfe erreicht, darunter Familie Güler, deren Haus teilweise eingestürzt war. "Wir hatten Glück, wir schliefen im Wohnzimmer", so Hüsameddin Güler, das Schlafzimmer sei zerstört worden. Er lebt mit seiner Frau und den Kindern in einem Zelt. "Wir müssen wieder bei null anfangen. Es gibt keine Schulen für meine Kinder."

Laut Diakonie leben in der Türkei bis heute 2,3 Millionen Menschen in Lagern, davon 1,5 Millionen sogar in informellen Einrichtungen. Dort sei vor allem der Zugang zu Wasser und Sanitäreinrichtungen prekär.

Krankheitsgefahr steigt

Auch im Nordwesten Syriens leben viele Familien noch immer in Notunterkünften, World Vision spricht von etwa 265.000 Betroffenen. Erschwerend komme hinzu, dass die extreme Sommerhitze eine Reihe verheerender Brände ausgelöst hat, zwischen dem 15. und 17. Juli allein kam es zu über 40 Bränden. In den vergangenen Monaten wurden World Vision zufolge mehr als 180 Brände gemeldet, bei denen fünf Menschen starben und über 220 Zelte beschädigt wurden.

In zahlreichen Wohngebäuden sei die Wasserversorgung beschädigt und die Gefahr der Verschmutzung groß. "Jetzt im Sommer, wenn es teils weit über 40 Grad hat, wird das Wasser knapp, und die Gefahr von Cholera steigt dadurch auch wieder", sagt Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser.

Die nächste Herausforderung für die Menschen in Notunterkünften wird der Winter sein. "Es ist nichts mehr übrig. Wenn der Winter kommt, müssen wir eine bessere Unterkunft haben", hofft Hüsameddin Güler. (APA, maa, 6.8.2023)