Überschwemmungen, Murenabgänge und Hangrutschungen – der Süden Österreichs wird aktuell von verheerenden Unwetterfolgen heimgesucht. Die durch Starkregen verursachten Hangrutschungen treten nicht so häufig auf wie Überflutungen oder Lawinen, dafür ist ihre Zerstörungskraft umso gewaltiger. Wie es dazu kommt und welche Rolle der Klimawandel dabei spielt, beschäftigt Forschende seit langem. Was in Österreich laut Fachleuten fehlt, ist ein langfristiges Monitoring für Hangrutschungen und Hangmuren.

Warnschild für Hangrutschung
Die Vorhersage von Hangrutschungen ist äußerst schwierig. Durch zunehmende Extremwetter ist eine Zunahme solcher Ereignisse zu befürchten.
Getty Images/iStockphoto

Frage: Wie kommt es zu Hangrutschungen?

Antwort: Prinzipiell sind drei Zutaten erforderlich, damit es zu Hangrutschungen kommen kann: ein Gefälle, bewegbares Material und große Wassermengen. Bei den aktuell im Süden Österreichs auftretenden Hangrutschungen handelte es sich vor allem um oberflächennahe Ereignisse, sagt Marc Ostermann, der bei Geosphere Austria zu gravitativen Naturgefahren forscht. "Das betrifft die obersten fünf bis zehn Meter." Hauptsächlich ist es zu Rutschungen von Schuttmassen und Erdreich, jedoch ohne festen Felsen, gekommen. Durch den Starkregen im Süden Österreichs sind große Wassermengen in die Poren des Lockergesteins eingedrungen. "Wenn dort die Porenwassersättigung ansteigt, dann kommt es zu Rutschungen", sagt Ostermann.

Video: Die Situation in den südösterreichischen Überschwemmungsgebieten bleibt weiter instabil.
APA

Frage: Was ist der Unterschied zwischen einer Hangrutschung und einer Mure?

Antwort: Muren treten im Zusammenhang mit Fließgewässern und nicht frei am Hang auf. Es kann aber auch bei Hängen zu Muren kommen, wo sonst kein Bach- oder Flusslauf ist. Solche Hangmuren sind eine Mischung aus Lockergestein und Wasser. "Bei einem Wassergehalt von mindestens 40 Prozent spricht man von einer Mure", sagt Ostermann. Liege der Wasseranteil bei unter 40 Prozent, werde das Ereignis als Hangrutsch bezeichnet. Typischerweise werde das Material bei Hangrutschungen um Zentimeter bis dutzende Meter vertragen, manchmal auch um 100 Meter, sagt Thomas Glade, Professor am Institut für Geografie und Regionalforschung an der Universität Wien. Muren könnten sich dagegen deutlich weiter bewegen.

Frage: Wie lassen sich Risiken für Hangrutschungen frühzeitig erkennen?

Antwort: Bei der Entstehung von Hangrutschungen spielen die drei Faktoren Gefälle, Material und Wassermengen zusammen. Je größer das Gefälle ist, umso leichter komme es zu Hangrutschungen, sagt Ostermann. Beim Material ist vor allem das obere Lockergestein und Erdreich relevant, weniger der Fels darunter. Was die Wassermengen angeht, fallen natürlich Starkregenereignisse schwer ins Gewicht. Was aktuell im Süden Österreichs dazukommt, ist, dass es auch schon in den vergangenen Wochen in vielen betroffenen Regionen große Niederschlagsmengen gab. Der aktuelle Starkregen ist daher vielerorts auf einen ohnehin schon sehr wassergesättigten Boden gefallen. "Dann kann es leichter passieren, dass Schwellenwerte überschritten werden und es zu Hangrutschungen kommt", sagt Ostermann.

Frage: Warum sind Hangrutschungen schwerer vorherzusagen als beispielsweise Hochwasser?

Antwort: Ein großer Unterschied zwischen Hangrutschungen und Hochwasserereignissen oder Lawinen ist für Thomas Glade, dass Wasser und Schnee immer wieder nachkommen. Wenn es bei einem Hang zu einer Rutschung kommt, ist das Material aber weg und kommt nicht mehr nach. "Daher ist die Vorhersage viel schwieriger", sagt Glade. "Aus diesem Grund ist es wichtig, dass man Monitoring stärker etabliert." Für Hochwasser, Lawinen und Vulkane seien Monitoringsysteme seit langem etabliert. Für Hangrutsche fehle es aber an entsprechenden mittel- und langfristigem Monitoring, was Vorhersagen und Frühwarnungen besonders schwer mache.

Frage: Wie häufig sind Hangrutschungen in Österreich, und handelt es sich bei den aktuellen Ereignissen um eine Ausnahmesituation?

Antwort: Die genaue Anzahl an jährlichen Hangrutschungen in Österreich lässt sich kaum beziffern, weil es zu Hangrutschungen kein flächendeckendes Monitoring gibt. Mehrere Tausend Hangrutschungen pro Jahr in Österreich ist eine grobe Größenordnung, die von Ostermann genannt wird. Die aktuell auftretenden Hangrutschungen in der Steiermark und in Kärnten sind für den Experten durchaus ein "Extremereignis". Auch in der Vergangenheit sei es aber in den betroffenen Gebieten immer wieder zu Hangrutschungen gekommen, wenn auch nicht in dieser Häufigkeit. "Gerade in der Steiermark, aber auch in Kärnten haben wir in den vergangenen Jahren immer wieder beobachtet, wie eine Vielzahl von mehreren hunderten Rutschungen mit einem Extremwetter in Zusammenhang stehen", sagt Ostermann. Ungewöhnlich am aktuellen Ereignis war jedenfalls auch der Zeitpunkt der starken Regenfälle. "Für mich als Wissenschafterin war der Zeitpunkt dieses Niederschlag mitten im Sommer sehr überraschend. Das ist schon außergewöhnlich, damit rechnet man nicht", sagt Kirsten von Elverfeldt, Geografin an der Universität Klagenfurt, die selbst in Kärnten in einer betroffenen Region wohnt.

Frage: Werden Hangrutschungen durch den Klimawandel häufiger?

Antwort: "Es lässt sich eindeutig sagen, dass mit der Zunahme der Extremwetterereignisse durch den Klimawandel auch die Anzahl der Hangrutschungen zunimmt", sagt Ostermann. Auch sei zu beobachten, dass Trockenperioden oder Regenlagen länger anhalten. "Auch dadurch kommt es zur Verstärkung von Hangrutschungen", sagt Ostermann. Für das Einzelereignis lässt sich zwar kaum sagen, ob dieses durch den Klimawandel verursacht sei oder nicht, "das wäre unseriös", sagt von Elverfeldt. "Aber dieses Ereignis ist natürlich ein Vorgeschmack darauf, was in Zukunft noch öfter passieren wird. Dass solche Starkregenereignisse zunehmen werden, ist ganz klar und entspricht auch den Klimawandelmodellen." Auch die steigenden Meerestemperaturen spielen dabei eine Rolle: Durch die aktuell ungewöhnlichen hohen Temperaturen an der Adria nimmt die Atmosphäre mehr Feuchtigkeit auf, die dann in Form von Starkregen und Hagel wieder entladen wird. Auch für Thomas Glade ist die aktuelle Situation im Süden Österreichs "ein Extremereignis", auch im Rahmen des Klimawandels sei es so, "dass die Extreme immer extremer werden".

Frage: Muss die Flächennutzung angesichts der aktuellen Unwetterschäden überdacht werden?

Antwort: Laut Geografin Kirsten von Elverfeldt muss die Flächennutzung überdacht werden, auch angesichts dessen, dass in Österreich ohnehin rekordmäßig viele Flächen versiegelt werden und die Böden entsprechend weniger als Puffer für Starkregen dienen können. "Ich appelliere an die verantwortlichen Politiker und Politikerinnen, sich anzusehen, wie das Wasser aktuell steht", von Elverfeldt. Sie berichtet von angedachten Bauprojekten wie etwa einem Saunahaus in Klagenfurt, wobei der geplante Baugrund aktuell unter Wasser stünde.

Frage: Was empfehlen Wissenschafterinnen und Wissenschafter, um die Schäden durch künftige Hangrutschungen zu minimieren?

Antwort: "Da kann ich nur wiederholen, was Klimawissenschafter und -wissenschafterinnen seit Jahren weltweit predigen: Jedes Zehntel Grad zählt", sagt von Elverfeldt. Es müsse alles daran gesetzt werden, die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. "Das ist wie die sprichwörtliche Klippe, auf die man mit dem Auto zufährt – und je später man zu bremsen beginnt, umso schwieriger wird es." (Tanja Traxler, 8.8.2023)