Der Widerstand mehrt sich. Aufgrund der dem autoritär regierenden serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić oft entgegenkommenden Politik des Westens haben nun zahlreiche Politiker aus den USA, Großbritannien, aber auch aus Deutschland und Österreich einen Protestbrief an die wichtigsten westlichen Balkanbeauftragten geschrieben. Sie warnen darin vor gefährlichen Konsequenzen der amerikanischen und europäischen Appeasement-Politik gegenüber Serbien. Der Brief wurde von der ukrainischen Zeitung "Kyiv Post" veröffentlicht.

Aleksandar Vučić und ein serbischer General
Eine Gruppe europäischer Politker und Experten warnt vor dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić (re.).
AP/Darko Vojinovic

Der Brief ging an Miroslav Lajčák, der die EU-Kosovo-Serbien-Verhandlungen leitet; außerdem an den US-Balkan-Sondergesandten Gabriel Escobar und den britischen Balkan-Sondergesandten Lord Peach. Unterzeichner – unter anderem US-Senator Bob Menendez, der deutsche Abgeordnete und Ex-Minister Michael Roth, die britische Abgeordnete Alicia Kearns, der ukrainische Abgeordnete Olexandr Mereschko, der österreichische Abgeordnete Helmut Brandstätter und die österreichischen EU-Abgeordneten Lukas Mandl und Thomas Waitz – fordern von den Westbalkan-Beauftragten, ihren Politikansatz zu überdenken, weil durch den auf Serbien konzentrierten Ansatz der regionale Frieden bedroht sei.

"Eskalationsgefahr"

"Die jüngsten Entdeckungen von Waffenlagern im Norden des Kosovo und Berichte über anhaltenden Waffenschmuggel über die Grenze zwischen Serbien und dem Kosovo verdeutlichen die Gefahr einer weiteren Eskalation", heißt es in dem Schreiben. Der Kosovo sei ein souveränes Land und eine funktionierende Demokratie. Serbien müsse dafür zu Rechenschaft gezogen werden, dass es versuche, die demokratischen Wahlen im Kosovo zu stören. "Wir müssen Abschreckungsdiplomatie betreiben, wenn die aktuelle Krise gelöst werden soll. Wir fordern die Wiederherstellung von Ausgewogenheit und Verhältnismäßigkeit im Umgang mit Kosovo und Serbien", so das Schreiben, das von 55 Politikern, darunter sehr viele Briten und Britinnen, unterzeichnet wurde.

Der Mangel an Druck, der auf Serbien nach der willkürlichen Inhaftierung von drei kosovarischen Polizisten ausgeübt wurde, und das Versäumnis, die Verantwortlichen für Angriffe auf die Nato-Truppen der KFOR zur Rechenschaft zu ziehen, würden den derzeitigen Mangel an Unparteilichkeit deutlich machen, meinen die Autoren, unter denen sich vor allem wichtige Außenpolitiker, auch aus dem Baltikum, befinden. "Der aktuelle Ansatz funktioniert nicht. Wir bitten die internationale Gemeinschaft, aus unserer Vergangenheit zu lernen und sicherzustellen, dass wir keine auf Belgrad ausgerichtete Politik für den Balkan verfolgen."

Seit Monaten wird bereits das Regime von Vučić vor allem von den US-Diplomaten Christopher Hill, Gabriel Escobar, Dereck Chollet und James O'Brien auf verschiedene Art und Weise unterstützt. Und dies, obwohl die serbische Regierung ein wichtiger Verbündeter des Kreml ist, das Land sich immer weiter von der Demokratie entfernt und sich immer stärker in die Politik der Nachbarstaaten einmischt – wie in den 1990er-Jahren. Einer der Hintergründe für die Ausrichtung der US-Politik dürfte sein, dass die entscheidenden US-Diplomaten bereits in den 1990er-Jahren auf dem Balkan waren und in einem hegemonialen und anachronistischen Denken der 1990er-Jahre verhaftet sind.

Sie glauben, dass die entscheidende Politik für die Region in ethnisch definierten Einflusszonen gemacht werden soll und dass Serbien, Albanien und Kroatien die anderen kleineren Staaten beeinflussen sollen. Seit diese US-Politik verfolgt wird, wird allerdings die Region immer instabiler, weil die völkischen Nationalisten, die ein Großserbien, Großalbanien und Großkroatien schaffen wollen, sich durch diese Politik bestärkt fühlen. Der Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Bosnien-Herzegowina sollen den Preis dafür bezahlen. Offensichtlich ist auch, dass die USA nicht mehr an eine Demokratisierung der Region glauben, weil sie nicht in demokratische Kräfte inverstieren, die seit Monaten in Serbien auf die Straße gehen, sondern in autoritäre Nationalisten.

Große Verunsicherung

Ein anderer Grund für die Unterstützung des Regimes von Vučić ist, dass er – zwar nicht offiziell, aber immerhin über ein paar Ecken – wichtige Munition aus Serbien an die Ukraine liefert. Militärexperten zufolge sind aber die Waffenlieferungen Serbiens für die Ukraine nicht kriegsentscheidend. Die US-Politik führt vor allem in Bosnien-Herzegowina, das permanent von völkischen Nationalisten angegriffen wird, und im Kosovo zu großer Verunsicherung. Dies geht so weit, dass Escobar, der US-Gesandte für den Balkan, die gleichen Sätze sagt wie der russische Botschafter in Bosnien-Herzegowina.

Die US-Diplomaten unterstützen auch, dass der Einfluss Serbiens und Kroatiens in Bosnien-Herzegowina immer größer wird – der Einfluss genau jener beiden Staaten, die in den 1990er-Jahren Bosnien-Herzegowina zerstören und untereinander aufteilen wollten. Diese Einmischung geht mittlerweile so weit, dass zwei "Sicherheitsexperten" aus der Regierung Serbiens als Berater für das bosnische Sicherheitsministerium in Sarajevo tätig sind. Das bosnische Sicherheitsministerium wird derzeit von einem extrem rechten Minister namens Nenad Nešić geleitet, der mit dem Drei-Finger-Gruß durch Sarajevo geht.

Aleksandar Vučić spricht mit Miroslav Lajčák.
Aleksandar Vučić (re.) mit Miroslav Lajčák, der die EU-Kosovo-Serbien-Verhandlungen leitet.
APA/AFP/Serbia's Presidential pr

Gleichzeitig mit den Angriffen auf die territoriale Integrität und Souveränität Bosnien-Herzegowinas finden auch vermehrt Angriffe auf die territoriale Integrität und Souveränität des Kosovo statt. So traten auf Anweisung von Vučić im November 2022 nicht nur alle serbischen Polizisten aus der kosovarischen Polizei aus: Auch die Bürgermeister der vier mehrheitlich serbischen Gemeinden im Kosovo verließen ihre Ämter. Dadurch entstand ein Sicherheitsvakuum und eine politische Krise. Vučić will seit vielen Jahren den Kosovo teilen und will, dass der Norden zu Serbien kommt. Unterstützt wird er von dem autokratisch regierenden Premier von Albanien, Edi Rama, der ebenfalls Einfluss im Kosovo will.

Rolle Belgrads

Die kosovarische Regierung unter Albin Kurti hat mehrmals auf Wunsch der Quint (USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien) eingelenkt und die notwendig gewordenen Bürgermeisterwahlen verschoben, aber auch die Abschaffung von serbischen Nummerntafeln im kosovarischen Staatsgebiet mehrmals verschoben. Im März wurde dann doch gewählt, die westlichen Kräfte unterstützten dies auch. Doch die Serbinnen und Serben im Nordkosovo boykottierten die Wahlen – auch auf Anweisung Belgrads hin –, deshalb gewannen Albaner die Wahlen in den mehrheitlich serbischen Gemeinden.

Als die neuen Bürgermeister ihre Ämter beziehen wollten, kam es zu Gewalt. Militante serbische Extremisten griffen die Nato-geführte KFOR an und verletzten 30 Soldaten schwer. Doch nicht das Regime in Belgrad wurde zur Verantwortung gezogen: Viele westliche Diplomaten beschuldigten Kurti, daran schuld zu sein, weil er die Bürgermeister in ihre Ämter geschickt hatte. In der Folge wurde die kosovarische Regierung auch vom Westen bestraft. Die Teilnahme des Kosovo an der Nato-Übung Defender Europe 23 wurde abgesagt. Und die EU-Staaten vereinbarten am 14. Juni einstimmig "umkehrbare und vorübergehende Maßnahmen" gegen die kosovarische Regierung. Kooperationen wurden auf Eis gelegt und Geld eingefroren.

Obwoh Vučić nicht einlenkte und auch nicht das von der EU vorgelegte Abkommen mit dem Kosovo unterschreiben wollte, bleibt dies ohne Konsequenzen. Nur der Kreml-Freund und Geheimdienstchef Aleksandar Vulin wurde jüngst unter US-Sanktionen gestellt, was Vučić sogar nützen könnte, weil er sich damit von Vulin abgrenzen kann. Vergangene Woche besuchten übrigens Vučić und der serbisch-orthodoxe Patriarch Porfirije den völkischen Nationalisten und Chef der größten bosnisch-serbischen Partei SNSD, Milorad Dodik, in Bosnien-Herzegowina.

Bei einer Ansprache war hinter Dodik, der über geflüchtete Serben nach der Operation Sturm in Kroatien im Jahr 1995 sprach, ein Bild einer geflüchteten Frau mit einem Kind zu sehen. Es handelte sich aber keineswegs um eine Serbin, die aus Kroatien flüchten musste, sondern um eine Bosniakin aus Ostbosnien, die vor den Schergen der Armee unter dem Massenmörder und Kriegsverbrecher Ratko Mladić flüchten musste. Diese Geschichtsverfälschung durch Dodik über dieses Foto wurde in Bosnien-Herzegowina von bosniakischen Opferorganisationen heftig kritisiert.

Drohungen und Angriffe

Emir Suljagić, der Direktor des Gedenkzentrums zum Völkermord an den muslimischen Bosniaken im Jahr 1995, warnte kürzlich, dass die Drohungen und Angriffe gegen Leute, die auf den Völkermord aufmerksam machen, stark gestiegen seien. Das Regime von Dodik leugnet den Völkermord und versucht mit allen möglichen Mitteln, die Verbrechen zu relativieren und eine Geschichtsrevision durchzuführen. Betroffen von den Attacken seien auch muslimische Rückkehrerfamilien, so Suljagić.

Suljagić warnte vor einem "beunruhigenden Muster des Hasses, das von bestimmten lokalen Medienkanälen geschürt" werde. "Die Sicherheitslage hat sich so weit verschlechtert, dass einige Leute möglicherweise aus Sicherheitsgründen umziehen müssen." Zu den Völkermord-Leugnern gehört auch der kroatische Präsident Zoran Milanović, der mit Dodik zusammenarbeitet. (Adelheid Wölfl, 8.8.2023)