Junge Männer auf einer Straße, viele haben die Gesichter mit bunten T-Shirts verhüllt.
Demonstrierende in Port-au-Prince.
EPA/Johnson Sabin

Port-au-Prince – In der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince weiten sich die Proteste gegen die Kriminalität im Land aus. Tausende Demonstranten gingen am Montag auf die Straße, um gegen die Bandengewalt zu protestieren, die in der vergangenen Woche zum Tod eines Polizisten geführt hatte. "Wir können so nicht mehr leben. Alle umliegenden Viertel sind fest in der Hand der Gangs", sagte ein junger Demonstrant. "Die Leute haben ihre Häuser schon verlassen."

Die Demonstranten beklagten die Todesfälle im Zusammenhang mit der Bandenkriminalität und den Mangel an medizinischer Versorgung. Es brauche eine "Intervention" gegen die Bandenaktivitäten, sagten die Demonstranten der Nachrichtenagentur Reuters. "Wir fordern Panzer", sagte einer der Teilnehmer.

Entführungen von Frauen und Kindern

Laut Unicef gab es in dem Inselstaat zuletzt einen "alarmierenden Anstieg" der Entführungen von Frauen und Kindern. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres seien fast 300 registriert worden – in etwa so viele wie im gesamten vergangenen Jahr und fast dreimal so viele wie 2021, teilte das UN-Kinderhilfswerk am Montag mit. In den meisten Fällen entführten bewaffnete Gruppen Kinder und Frauen zu finanziellen oder taktischen Zwecken, hieß es.

"Die Opfer, denen es gelingt, nach Hause zurückzukehren, haben mit tiefen physischen und psychischen Narben zu kämpfen, möglicherweise über viele Jahre hinweg", beklagte Unicef. Haiti leidet unter Kämpfen zwischen Banden, die nach UN-Schätzung 80 Prozent der Hauptstadt Port-au-Prince kontrollieren und die Bevölkerung mit brutaler, auch sexueller Gewalt terrorisieren. Zuletzt kam es zu einer Selbstjustizbewegung der Bewohner gegen die Banden. Die Gewalt verschärft auch die ohnehin schon prekäre Versorgungslage. Fast die Hälfte der elf Millionen Bewohner des armen Karibikstaats leidet laut Uno unter akutem Hunger.

Internationales Einschreiten gefordert

Seit der Ermordung des Staatspräsidenten Jovenel Moïse vor gut zwei Jahren hat Haiti eine Interimsregierung. Diese bat die internationale Gemeinschaft im Oktober um Hilfe durch eine bewaffnete Truppe – dazu kam es bisher nicht. Kenia bekundete kürzlich, eine multinationale Truppe anführen und 1.000 Polizisten nach Haiti schicken zu wollen. Eine Beurteilungsmission und ein UN-Mandat stehen noch aus.

Nach Angaben der christlichen Hilfsorganisation El Roi wurden am 27. Juli auf ihrem Gelände bei Port-au-Prince eine US-amerikanische Krankenschwester und ihr Kind entführt. Laut dem Uno-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (Unodc) wurden im vergangenen Jahr in Haiti 1.359 Entführungen gezählt – mehr als doppelt so viele wie im Jahr zuvor und knapp sechsmal so viele wie 2020. (APA, red, 8.8.2023)